PERLEN DER SPIELKUNST

 

DICKE LUFT IN DER GRUFT

 

Vampire im Morgengrauen 

 

Sieh an, sieh an, die Gruft ist leer,

nun schnell hinein und Deckel zu,

auch keine Ratte haust hier mehr.

So find ich endlich meine Ruh’.

(Einstimmungsgedicht der Spielregel)

 

Nach dem ersten Regelstudium wird die Leserin sofort an das bewährte Memorysystem erinnert, den ungebrochenen Ravensburger Kassenschlager aus dem Jahre 1959. Seit damals hat diese Spielform weltweit enorme Popularität erlangt. Dafür gibt es natürlich gute Gründe. Zum einen sind reine Merkspiele leicht zu erlernen, zum anderen für praktisch jede Generation geeignet. Man muss nicht der geborene Spielprofi sein, um mit seinen Kindern und Enkelkindern die oft buntesten Plättchen aufzudecken und nach zwei Gleichen zu suchen. Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnis spielen die entscheidende Rolle. Und bei diesen Eigenschaften sind Kinder Erwachsenen oft sogar überlegen. Der erste geniale Einfall kam dem Schweizer Heinrich Hurter schon im Jahre 1946, als er seinen Enkelkindern ein selbst gebasteltes Kinderlegespiel nach London mitbrachte. Erst nach der Rückkehr in die Schweiz wurde schließlich ernsthaft an eine Veröffentlichung gedacht. Genaue Recherchen der Spielhistoriker haben allerdings ergeben, dass die Idee, verdeckte Bildpaare zu suchen, bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Eine Spielart namens „Kai-awase“ wurde in Japan aufgespürt. Auch in England und den USA des 19. Jahrhunderts sind ähnliche Spielformen unter den Namen „Pelmanism“, „Pairs“ und „Concentration“ aufgetaucht. [aus: WIN Juli 2004, HK] Das hier als „Spielperle“ präsentierte, moderne Meisterwerk der Merkkunst heißt  „Dicke Luft in der Gruft“, wo es um passende Gruftdeckel geht – und diese finden sich garantiert in Leopoldsdorf im Marchfeld, im Österreichischen Spielemuseum. www.spielen.at

 

Liebe Leserin, lieber Leser! Der Lichtkegel des Tagesanbruchs ist für echte Vampire das reinste „Morgengrauen“. Von hellem Entsetzen gepackt, hilft nur der Sprung ins kühle Dunkel. Aber kaum hat man mal eine passende Gruft gefunden, schwupp, schon liegt ein anderer drin! Nur wer hier kühles Blut bewahrt und sich nicht an Knoblauchknollen, Ratten und Holzpflöcken die Zähne ausbeißt, findet ein friedliches Plätzchen für den Schlummer bis zur nächsten Abenddämmerung.“ Mit diesen Worten werden die Spielerinnen in Norbert Proenas wunderbar düsterem Gedächtnisthriller auf eine halbe Stunde Nerv zerreißender Schlafplatzsuche eingestimmt. Alle eigenen Vampire müssen in den sechzig Gräbern des quadratisch ausgelegten Friedhofs zur Ruhe gebettet werden. Allerdings geht dies nicht so einfach, müssen für die Vampire doch zuerst die mit Fledermauswappen verzierten Gruftdeckel geöffnet und dabei noch die im düsteren Dämmerlicht reflektierenden Farben der passenden Deckelunterseiten gefunden werden. Wie gebannt starren alle um den Tisch Sitzenden bei jedem Grabplatz auf den Fledermausdeckel, haben sie doch vielleicht in wenigen Minuten selbst die Möglichkeit, für einen ihrer Vampire die passende Ruhestatt zu finden. So sieht sie nun mal aus, die Welt der Vampire, wie sie von Norbert Proena im Jahr 2004 geschaffen wurde. Exzellent ist auch das Spielmaterial, von der doppelten Kartonplatte, in die die Gräber eingelassen sind, der stimmigen Grabanlage des Vampirfriedhofs, bis zu den kindgerecht illustrierten Vampiren. Und besonders lobenswert: es gibt kaum Wartezeiten. Fast ist das Gegenteil der Fall, man scheint ständig vor der wichtigen Entscheidung einer glückhaften Grabdeckelöffnung zu stehen. Das Spieltempo passt hier ganz genau! Der Gruftplan mit seinem Kreuzweg und den 60 Vertiefungen machen das Begraben werden zu einer fast physisch spürbaren Erfahrung. Was will man mehr von einem Familienspiel.  

 

Rückmeldungen an: hugo.kastner@chello.at               

Homepage: www.hugo-kastner.at

 

EMPFEHLUNG # 88

Spieler: 2-6

Alter: 6+

Autor: Norbert Proena

Gestaltung: Victor Boden

Dauer: 20+

Preis: ca. 30 Euro

Jahr: 2004

Verlag: Ystari / Huch! & friends

www.ystari.com

 

Merkvermögen: 7 von 9

Info±: 0 von 9

Glück: 2 von 9

 

Dicke Luft in der Gruft“ ist eigentlich ein Hundert-Prozent-Merkspiel. Dennoch habe ich dem Glücksanteil zwei Ringe geschenkt, da im praktischen Spiel eine glückliche Grabdeckelhand nicht zu unterschätzen ist.   

 

Hugos EXPERTENTIPP

 

Mit welcher Taktik soll ich meine Vampire zur Ruhe bringen? Drei Ideen seien hier verraten: (1) Versuchen Sie zumindest beim eigenen Aufdecken ein gewisses Schema einzuhalten, auch wenn Ihnen die Mitspielerinnen immer wieder Gräber vor der Nase wegschnappen werden. (2) Platzieren Sie die Knoblauchknollen mit Bedacht. Sie sperren ja eine Gruft nicht nur für die Gegnerinnen sondern auch für sich selbst. (3) Gehen Sie entspannt an die Sache ran. Nach einem harten Arbeitstag ist bei Dicke Luft in der Gruft eine erfolglose Gräbersuche vorprogrammiert. Auch darf der Spieltisch für keine Sekunde verlassen werden – sonst ist alles aus dem Kurzzeitgedächtnisspeicher gelöscht, glauben Sie mir. 

 

Hugos BLITZLICHT

 

Dicke Luft in der Gruft ist ein wunderbares Familienspiel, im buchstäblichen Sinne des Wortes. Am meisten Spaß kommt dann auf, wenn Jung und Alt gemeinsam versuchen, Vampire zu begraben. Mit Kindern, besonders mit Unter-10-Jährigen, entsteht ein schaurig-wohliges Prickeln, das sich bisweilen in kleinen Freudenausbrüchen entlädt, wenn die Gegnerinnen auf ihrer fast verzweifelten Suche nach einem leeren Grab wieder mal auf eine Knoblauchknolle stoßen – dann herrscht wahrlich „dicke“ Luft in der Gruft.  

 

VORANKÜNDIGUNG

 

I’M THE BOSS

Sid Sacksons Vermächtnis