Unsere Rezension

 

Entscheidet Euch!

 

SPYRIUM

 

Der zweite Streich

 

Ende der 1970er-Jahre war die Auswahl der möglichen Entscheidungen noch überschaubar: Asterix oder Mickey Maus, Abba oder Kiss, Diplomacy oder Risiko, Erdbeer- oder Heidelbeer-Joghurt? Etwa seit der Jahrtausendwende gibt es aber auch im Bereich der Brettspiele einen nicht mehr bewältigbaren Output an Ideen, Varianten und Umsetzungen. Ein Meilenstein in den „Nuller-Jahren“ – und auch noch heute – war dabei sicherlich „Caylus“ (bei dem bis heute eigentlich niemand so recht weiß, wie man den Titel korrekt ausspricht), auch wenn es den darin zu einem ersten Höhepunkt geführten Worker-Placement-Mechanismus nicht erfunden hat (zumindest Mitbegründer soll ja vielmehr „Keydom“ [bzw. „Morgenland“, Hans im Glück, 2000] gewesen sein).

 

Nach rund einem Jahrzehnt provozieren Worker-Placement-Spiele aber primär einmal ein großes Gähnen, wenn auch im Vorjahr etwa „TZOLK’IN“ (Daniele Tascini und Simone Luciani; Heidelberger Spieleverlag/Czech Games Edition), „Keyflower“ (Sebastian Bleasdale und Richard Breese; R&D Games) und „Bora Bora“ (Stefan Feld; alea) dieses Genre wieder um schöne, innovative Facetten bereichern konnten. Und heuer findet sogar „Russian Railroads“ (Helmut Ohley und Leonhard Orgler; Hans im Glück) allgemeines Wohlgefallen, obgleich sich dessen Mechanismen im Wesentlichen auf das reine Arbeiter-Einsetzen konzentrieren.

 

Nach „Caylus“ (2005) hat William Attia noch mit dessen Kartenspielvariante „Caylus Magna Carta“ auf sich aufmerksam gemacht, die beiden Wortspiele „Djam“ (mit Buchstabenwürfel) und „Tai Chi Chuan“ (mit Buchstabenkarten) sind dagegen bei uns wohl nur wenigen bekannt geworden. Auch das somit erst zweite „richtige“ Spiel des Autors nutzt den Worker-Placement-Mechanismus als wesentlichen Bestandteil. Ergänzt wird dieser um eine Variante eines genialen Versteigerungsmechanismus, den erstmals Stefan Feld in „Die Speicherstadt“ (2010) verwendet hat: Dort platzieren die Mitspieler ihre Arbeiterfiguren reihum zu den gewünschten Angeboten (in Form von Karten). Der jeweils Erste hat dann das Vorkaufsrecht, müsste aber so viel zahlen wie insgesamt Figuren in der Warteschlange stehen. Ist oder erscheint das zu teuer, darf der Zweite kaufen, für den sich der Preis um eine Münze reduziert. Und so weiter, bis vielleicht erst der Letzte in der Reihe für nur eine Münze zum Zug kommt – sofern diese letzte Figur nicht bloß als Preistreiber für die Mitspieler gedacht war. 

 

Hier liegen die jeweils neun Karten pro Runde jedoch nicht nebeneinander aus, sondern in einem Rechteck von drei mal drei Karten, sodass die Mitspieler ihre Figuren stets zwischen zwei Karten setzen. Derart kann mit einer Figur das potentielle Interesse an zwei Karten bekundet werden und es gibt für diese so lange zwei Auswahlmöglichkeiten, bis jemand eine dieser Karten (weg-)kauft. Der Kauf einer Karte kostet auch hier umso mehr, je mehr Spielfiguren bei dieser Karte stehen. Und aufgrund des Karten-Rasters kann der Preis für eine bestimmte Karte durch Figuren an zwei bis zu vier verschiedenen Positionen in die Höhe getrieben werden. Anstelle des Kaufes einer Karte kann eine Figur nunmehr auch dafür genutzt werden, so viel Münzen nach Hause zu bringen, wie weitere Figuren insgesamt um dieselbe Karte herumstehen.

 

Auf diese Weise erhöht sich auf elegante Weise das Spekulations- und Entscheidungs-Dilemma: Will ich eine bestimmte Karte kaufen, muss ich natürlich (zumindest) eine Figur dazu stellen. Ich kann meine Figur aber auch dort platzieren, obgleich ich diese Karte gar nicht kaufen will, sondern lieber die Karte daneben, die für den Mitspieler anscheinend (bzw. hoffentlich) gar nicht interessant sein dürfte; als angenehmen Nebeneffekt mache ich damit eben auch die Karte für den Mitspieler teurer. Oder ich setze meine Figur nur deswegen dorthin, weil ich mit dieser Geld generieren möchte. Da Geld sehr knapp ist, führt eine Figurenansammlung leicht dazu, dass noch mehr Figuren dort platziert werden, da auch die Mitspieler natürlich gerne ein entsprechendes Zusatzeinkommen lukrieren möchten. Der diese Karte tatsächlich kaufen wollende Mitspieler kann nun darauf spekulieren, dass sich die anderen Figuren ohnehin noch mit ihrem Münzertrag zurückziehen werden, er die Karte letztlich zum Basispreis bekommen wird, und er sohin noch zuwarten kann. Oder er kauft die Karte doch gleich und teurer, bekommt diese aber immerhin sicher. Außerdem kann man auch mit einem schnellen Kauf die Mitspieler ärgern: Die übrig gebliebenen Figuren können auf diese Weise – wenn nämlich beide angrenzenden Karten weggekauft sind – sogar gänzlich leer ausgehen, müssen also ohne Karte und ohne Geld zurück genommen werden.

 

Eine weitere schöne Idee ist, dass nicht – wie sonst oft – zunächst alle Mitspieler ihre Figuren einsetzen und (gleich oder später) für alle Figuren die jeweiligen Funktionen in der gleichen Reihenfolge genutzt werden, sondern das Einsetzen der Figuren und der Kauf (bzw. das Nutzen) der Karten in zwei aufeinander folgenden Phasen jeder Runde stattfinden. Dabei können sich die Mitspieler (nach eigener Taktik) auch schon vorzeitig in die zweite Phase begeben, etwa weil sie schneller eine bestimmte Karte kaufen wollen. Natürlich wird einem die Angst um eine bestimmte Karte nicht dazu treiben, gleich mehrere Arbeiter untätig sein zu lassen, bei nur einem „Arbeitslosen“ wird man dieses Manko aber vielleicht doch in Kauf nehmen. Außerdem erhöht sich die Figuren-Anzahl der Mitspieler nicht gleichmäßig, sodass der Vorteil der gesteigerten Möglichkeiten aufgrund einer größeren Belegschaft mit dem Nachteil des späteren Eintritts in Phase 2 verbunden ist. Weiters bieten viele der bereits in Vorrunden gekauften Karten exklusive Einsetzfelder für die restlichen eigenen Arbeiter, welche ohnehin erst in der zweiten Phase zum Tragen kommen. Auch derart können oder wollen manche Mitspieler also schon früher als andere nicht mehr länger auf die allgemeine Auslage in dieser Runde angewiesen sein. Als weitere Entscheidungsfrage kommt also noch hinzu, ob die die eigene Auslage noch weiter vergrößert bzw. verbessert oder lieber bereits gekaufte Karten genutzt werden sollen?

 

Soweit also die wesentlichen Spielmechanismen; und worum geht es eigentlich in „Spyrium“? Tja, eigentlich „nur“ um Siegpunkte. Als Hilfsmittel dazu dient das titelgebende (fiktive) grüne Mineral, das für Siegpunkte verkauft wird. Das ist auch die Funktion der meisten Karten: Spyrium produzieren oder Spyrium in Siegpunkte umwandeln, wobei sich die Umtauschverhältnisse im Spielverlauf durch spätere Karten verbessern. Damit man aber nicht bis knapp vor dem Ende Spyrium hortet, um es dann zum bestmöglichen Wechselkurs abzustoßen, wird das Erreichen von acht und von zwanzig Siegpunkten mit einem weiteren Arbeiter oder einmalig fünf Münzen belohnt. Zusätzliche Arbeiter können auch mit anderen Karten gekauft werden, eine weitere Kartenart erhöht wiederum den eigenen Status auf der Fixeinkommens-Leiste.

 

Eine gänzliche andere, zweite Kategorie von Karten sind die sogenannten (sieben unterschiedlichen) „Patente“: Diese bieten nicht nur einen exklusiven Vorteil während des weiteren Spielverlaufs, sondern auch einen (zu erfüllenden) Auftrag, der bis zu sieben Siegpunkte bei Spielende Wert sein kann. Hier erscheinen jedoch die verschiedenen Boni und Bedingungen nicht ganz ausgewogen, obgleich der Grundpreis dieser Karten stets der gleiche ist – es bleibt sohin den Mitspielern überlassen, dem anderen ein derartiges „Schnäppchen“ nicht bloß zu missgönnen, sondern aktiv – durch Erhöhen des Kaufpreises – etwas dagegen zu tun. Auch der Umstand, dass bei vier und fünf Mitspielern nicht jeder gleich oft als Rundenstartspieler fungieren darf, findet keine Berücksichtigung bzw. gibt es dafür kein ausgleichendes Element. Als dritte Kartenkategorie gibt es noch „Spezialisten“; im Unterschied zu den beiden anderen werden diese nicht gekauft, sondern bleiben bis zum Rundenende in der allgemeinen Auslage liegen. Dafür können deren Funktionen von jedem Mitspieler – grundsätzlich auch mehrfach – genutzt werden, der Preis dafür ist aber wieder umso höher, je mehr weitere Figuren bei dem jeweiligen Spezialisten noch platziert sind.

 

Im Spiel zu dritt, noch deutlicher zu zweit, macht sich der allgemeine Geldmangel schon nahezu schmerzlich bemerkbar, da es hier kaum möglich ist, über das Platzieren von Arbeitern relevante Geldbeträge zu generieren und die Erhöhung des Fix-Einkommens schon grundsätzlich in keiner Relation zu dem damit verbundenen Aufwand zu stehen scheint. Da die Kartenauslage (von neun Stück) unabhängig von der Mitspieler-Anzahl ist, muss zu dritt und zu zweit außerdem natürlich noch mehr abgeworfen werden als zu viert oder fünft. Dafür kommt man sich zu zweit und zu dritt beim Karteneinkauf weniger in die Quere, zu viert und zu fünft sollte man hingegen stärker aufpassen, dass einem kein frustrierendes „Verhungern“ einer eigenen Figur in der allgemeinen Auslage – und somit der Verlust einer Aktion – passiert. Erstaunlicherweise lassen sich dennoch auch zu zweit vergleichbare Siegpunkte-Endergebnisse wie im Mehrpersonenspiel erzielen. Es dürfte aber unproblematisch sein bzw. den Spielverlauf nicht unausgewogen machen, wenn die Fix-Einnahmen zu Rundenbeginn jeweils verdoppelt werden (zumindest im Spiel zu zweit und zu dritt). Im Geld schwimmt man dann jedenfalls immer noch nicht, immerhin lässt es sich damit doch etwas freier agieren.

 

Da in einer Partie nicht alle Karten und diese in unterschiedlicher Reihenfolge ins Spiel kommen, ist für etwas – jedoch nicht sehr viel – Varianz gesorgt. Spürbar mehr Notwendigkeit bei der Anpassung der eigenen Taktik ist wegen der Abfolge der jede Runde wechselnden Ereigniskarten erforderlich. Und auch in dieser Hinsicht nicht zu unterschätzen ist der Erwerb von Patent-Karten, will man dann ja nicht nur möglichst oft den damit verbundenen Vorteil nutzen, sondern auch die Extra-Siegpunkte lukrieren. Doch ist zu konstatieren, dass „Spyrium“ nicht wegen eines stets gänzlich neuen Spielerlebnisses oder der Möglichkeit, völlig andere Strategien auszuprobieren, aufzutrumpfen vermag. Vielmehr lebt es von der sehr hohen Interaktion unter den Mitspielern und deren unterschiedlichen Spielweisen, welche ebenfalls einen starken wechselseitigen Einfluss auf die jeweilige Taktik haben.

 

Der ein wenig trockenen Atmosphäre – bedingt durch das Fehlen eines richtigen Spielplanes und des eher abstrakten Gebrauches des Spyriums – steht als großer Pluspunkt der Umstand gegenüber, dass sich die Mitspieler aufgrund des relativ geringen Regelaufwandes und der gut verständlichen Symbolik auf den Karten recht schnell zurecht finden. Auch ein späteres Wiederspielen ist nicht mit der Mühe verbunden, sich erst wieder an Details der Anleitung erinnern zu müssen, stattdessen gelingt der Wiedereinstieg ins Spielgeschehen unproblematisch. Nachschauen muss man im Wesentlichen nur mehr die Bedeutung der Patente und der Ereigniskarten. Auch Neueinsteigern ist das schnörkellose Konzept recht leicht zu vermitteln, darüber hinaus haben diese grundsätzlich die gleichen Siegchancen wie mit „Spyrium“ bereits vertraute Mitspieler. Das soll aber nicht heißen, dass die Anleitung gut geschrieben wäre, leider ist diese sogar etwas umständlich formuliert, ein zweimaliges Durchlesen vor dem ersten Spiel wird üblicher Weise schon erforderlich sein. Die Kartengrafik wirkt zwar etwas düster, passt dafür recht gut zu der „Hintergrundgeschichte“ eines Industriezeitalters im viktorianischen England. Auf dem Spielplan – der eigentlich nur der Markierung der bereits erworbenen Siegpunkte und des Fix-Einkommens dient – ist noch eine Art „Kurzanleitung“ aufgedruckt, welche jedoch weniger intuitiv gestaltet ist; auch den Kartenrückseiten mangelt es an grafischer Prägnanz.

 

Ein grundsätzliches Merkmal der meisten Arbeiter-Einsetz-Spiele macht sich auch leicht bei „Spyrium“ bemerkbar: Längere Wartezeiten, bis alle ihre Figuren platziert haben. Nahezu alle Karten und Einsetzmöglichkeiten erscheinen nämlich wichtig und interessant, alles will man haben – die Entscheidung, welcher Priorität gerade der Vorzug zu geben ist, fällt da natürlich schwer. Auch deswegen, weil es diverse Fehler zu vermeiden gilt, die einem dennoch zu oft erneut unterlaufen: Etwa ein Kartenkaufwunsch, bei dem man zu spät bemerkt, dass dieser mangels ausreichendem Vermögen nicht zu erfüllen ist; oder das unnötige sich selbst teurer Machen einer Karte durch das angrenzende Platzieren mehrerer eigener Figuren; oder das Einsetzen von allen eigenen Figuren in der allgemeinen Auslage, sodass keine Arbeiter mehr für die Nutzung der eigenen Karten in Phase 2 zur Verfügung stehen; oder – vermeintlich schlauer geworden – das Reservieren von Figuren für die Phase 2, obgleich man ohnehin durch den Kauf einer Karte oder durch einen Bonus eine zusätzliche Figur erhält; und, und, und … Ein wenig Grübeln, Tüfteln, Optimieren und Erbsen- bzw. Geldmünzen-Zählen vor dem Platzieren der Arbeiter muss also schon sein, damit man sich bei "Spyrium“ letztlich nicht selbst am meisten im Weg steht; die Mitspieler tun das ohnehin. Umso erfreulicher, wenn sich die letztlich getroffenen Entscheidungen dann – gerade deswegen oder dennoch – bewähren!

 

Harald Schatzl

 

Spieler: 2-5

Alter: 12+

Dauer: 120+

Autor: William Attia

Grafik: Arnaud & Neriac Demaegd

Preis: ca. 25 Euro

Verlag: Ystari Games 2013

Web: www.ystari.com

Genre: Worker-Placement

Zielgruppe: Mit Freunden

Version: multi

Regeln: de en + fr

Text im Spiel: nein

 

Kommentar:

relativ geringer Regelaufwand

hohe Interaktion

Symbolik der Karten ist sehr bald verstanden

eher düstere Grafik

die kleinere Schachtel ist immer noch doppelt so groß wie notwendig

 

Vergleichbar:

Die Speicherstadt für Versteigerung, andere Worker-Placement-Spiele

 

Andere Ausgaben:

Französische und englische Ausgabe, Ystari

 

Meine Einstufung: 5

 

Harald Schatzl:

Wieder ein gelungenes Musterbeispiel eines Worker-Placement-Spieles vom Autor von „Caylus“, dessen sehr übersichtliche Struktur einen schnellen (Wieder-)Einstieg in eine Partie gewährleistet, mit einem ausgezeichnet integrierten Preistreiber- und Einkommens-Mechanismus; erfreulicherweise auch zu fünft spielbar.

 

Zufall (rosa): 1

Taktik (türkis): 3

Strategie (blau): 2

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 0

Interaktion (braun): 3

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0