Vor Floridas küste

Key Largo

Freibeuterei & Piraterie

 

Die Insel Key Largo (span. Cayo Largo, dt. Lange Insel) in den Florida Keys war ehedem der Ausgangspunkt des Overseas Highway nach Key West. Hier wurde 1948 der Film „Gangster in Key Largo“ mit Humphrey Bogart und Edward Robinson gedreht, und hier können Cineasten auch das Wrack der berühmten African Queen bewundern. Mit diesem historischen Background im Gepäck hat sich das Autorenteam Randles, Selinker und Faidutti an die Schaffung eines optisch ansprechenden Abenteuerspiels herangewagt, das zudem auf den ersten Blick stark an den Tilsit-Vorgänger Maka Bana erinnert. Eine gewollte, auf Werbeeffekte abzielende Strategie des Verlags? Oder doch eher Zufall? Egal, die Spielerinnen werden jedenfalls animiert, Dutzende von Galeonen und Karavellen der einst dicht befahrenden Seeroute vom Meeresgrund zu bergen, in gefährlichen Tauchgängen und unter dem Druck des herannahenden Orkans Katty, der in zehn Tagen den Beginn der Sturmzeit einläuten wird. Ja, und verkauft sollen die in den Schiffsbäuchen gefundenen Schätze auch noch werden, auf Märkten, die dem goldenen Prinzip von Angebot und Nachfrage gehorchen. Wer am Ende die größten Reichtümer angehäuft hat, ist Gewinner dieses ständigen Ein- und Abschätzens der gegnerischen Aktionen. Viel Spaß beim Ein-Tauchen in die Unterwasserwelt rund um die Keys!

Die Vorbereitungszeit für das Tauchabenteuer hält sich in wohltuenden Grenzen. Der optisch überzeugende, aus vier Teilen bestehende Inselplan ist schnell zusammengesetzt, und erlaubt einen guten Überblick über die Örtlichkeiten Key Largos: Es gibt da eine Bar „Zur Meerjungfrau“, einen Markt, die Delphinenbucht (so steht’s in der Regel, Anm. d. Verf.) und einen Taucherladen „Zum Alten Seewolf“. Verdeckt werden Fünferstapel von Wrackkarten, auf denen im Verlauf des Spiels untergegangene Schätze gefunden werden sollen, rund um die Insel verteilt. Dieses „Gefunden-werden-sollen“ deutet die Gefahr an, auf eines der zahlreichen Seeungeheuer zu stoßen, die bisweilen sogar dem wagemutigsten Taucher einen Strich durch die Rechnung machen. Ja, auch die Unterwasserwelt ist nicht immer friedlich. Zuletzt wird noch jede Spielerin mit einem Boot, fünf Aktionskarten, einem 100$-Bündel und einem Taucher ausgestattet. Ausrüstungsgegenstände für die Tauchakteure kommen in eine Reserveablage, und ein Rettungsring markiert die Zeitleiste, die zehn reale Tage symbolisiert. Sobald dann die Startspielerin bestimmt und durch eine entsprechende Karte festgehalten wurde, geht es los mit dem obligaten Tagesablauf der Taucherinnen.

Jeden Tag werden zwei Aktionen ausgeführt, eine am Vormittag, eine am Nachmittag, beginnend mit einem Freitag. Eine historische Erklärung für diesen Starttermin ließ sich nicht entdecken, doch sind die Touristen, wie im Regelwerk erläutert wird, an Wochenenden „zahlreicher und großzügiger“. Und durch den Freitagstart gibt es eben zwei touristisch überfüllte Termine in der Delphinbucht. Bei diesen Aktionen haben die Spielerinnen die Qual der Wahl. Soll man nach einem Wrack tauchen, was allerdings ohne entsprechende Ausrüstung nur in geringer Tiefe und unter großer Gefahr möglich ist? Klar, hier gibt es Gold, Waren, Antiquitäten und Diamanten zu bergen. Aber hier lauern eben auch die Seeungeheuer. Und diesen kann man ohne Dreizack nicht Herr werden. Oder wie wäre es mit einem Besuch in der Bar „Zur Meerjungfrau“? Dort hängen bereitwillige Taschendiebe, arbeitslose Taucher und dergleichen Typen herum, und dort verraten windige Matrosen gegen einen harten Drink sogar die besten aller Tauchstellen. Auch die Delphinbucht ist einen Besuch wert, oder nicht? Hier darf man als Tourist Guide schnell Bares einstecken, an Wochenenden (wie oben erwähnt) sogar in großem Stil. Wer Ausrüstungsgegenstände braucht, egal ob Atemschläuche, Dreizack oder Gewichte, könnte sich in den Tauchladen „Zum Alten Seewolf“ begeben. Denn ganz ohne Ausrüstung – die noch dazu limitiert ist – kommt man keinesfalls wirklich weit. Und zuletzt bleibt die Aktion des Marktbesuches. Ganz wichtig, zweifellos, den die Schätze können weit über ihrem Basiswert verkauft werden, vorausgesetzt, die richtige Anzahl von Verkäuferinnen tummelt sich im Marktgelände. Wem diese Aktionsmöglichkeiten noch nicht diversifiziert genug sind, der darf in einer Ausbauvariante auch noch die üppige Zahl von 24 Bekanntschaftskarten in der Delphinbucht bereithalten. Gute Freundschaften sind schnell geschlossen, und Bekannte können, zum richtigen Zeitpunkt um Hilfe gebeten, dem regen Treiben auf Key Largo den entscheidenden Kick geben. Tag für Tag geht es so dahin, bis zum Abend des ominösen Sonntags, an dem Katty alles hinwegfegen wird. Ich hoffe doch, Sie haben Ihre Schätze bis dahin sicher im Trockenen!

Positiv sticht bei Key Largo sofort die liebevolle Ausstattung ins Auge, besonders was die Graphik der Aktions-, Wrack- und Bekanntschaftskarten anbelangt. Für Sprachenliebhaber mögen sogar italienische, französische und deutsche Benennungen der Personenkärtchen ihren Reiz haben. Positiv auch die leichte Erfassbarkeit der Regel, selbst für eine nicht allzu versierte Leserin. Wie schon bei den Vorgängerspielen hält man auch die Nummer 5 der Tilsit-Edition gerne in Händen. Format, Cover und – seltsamerweise – auch die Textur der Schachtel wirken animierend auf die Seele des passionierten Sammlers. Was gibt es dagegen zu bemängeln? Zum einen schiene mir ein Inselplan aus einem Stück praktischer als das Konstrukt aus vier Teilen. Gut, damit kann man leben. Doch die Plastikschiffchen haben nicht nur Schlagseite, sie stürzen beim leisesten Windhauch zum unpassenden Zeitpunkt ins blaue Meer. Lästig, wenn auch nicht den Spielmechanismus beeinträchtigend, möchte ich anmerken. Tiefgreifender dagegen die Kritik an der Spielerinnenzahl. Speziell wegen der unterschiedlichen Auswirkungen auf die Verkaufspreise am Markt macht es einen großen Unterschied, ob drei, vier oder fünf Akteure um den Tisch sitzen. Die größere Spielerinnenzahl bringt eindeutig mehr Leben und Trubel ins Geschehen und ist daher deutlich höher zu bewerten. Abrundend noch eine positive Bemerkung zu den Bekanntschaftskarten. Es gibt da die unterschiedlichsten Typen: Glückspilz, Saboteur, Trunkenbold, Taschendieb, Schlauchhändler, Discounter, Schieber, Goldsucher und viele mehr. Diese Gestalten greifen an den verschiedensten Orten frei nach Ihrem Willen in die Aktionen ein – und bringen ein wohltuendes Element der Abwechslung nach Key Largo. Vor allem, wenn Ihnen nach mehr als nur einem Tauchabenteuer zumute ist.

Mein persönliches Fazit: Bei entsprechender Durchmischung der Spielrunde wird Key Largo gute Noten erhalten, da gibt es keinen Zweifel. Klar, im Dreieck Glück-Bluff-Logik (siehe meinen Artikel im Buch der Spiele 2005, Hrsg. Dagmar de Cassan) ist eine gewisse Kopflastigkeit zu Ersterem unverkennbar. Doch die verdeckt gehaltenen Schatzkarten und die Unberechenbarkeit der Aktionsreihenfolge bringt auch einen guten Schuss Bluff ins Spiel. Taktische Momente dagegen sind rar, was jedoch bei dem vom Autorenteam beabsichtigten Charakter des Abenteuerspiels keine wirkliche Beeinträchtigung darstellt. Stimmung und Spielgefühl sind dem Thema elegant angepasst, Planung und Überraschung halten sich in goldener Balance. Und letztlich giert jeder Akteur nach dem großen Erlös und hofft und bangt bis zuletzt bei jeder seiner Entscheidungen. Noch lebt Key Largo – für ganze zehn Tage, bis zum Eintreffen des vernichtenden Orkans. Machen Sie das Beste daraus! 

        

Hugo Kastner

Key Largo ist eindeutig für Gelegenheitsspieler und die abenteuerhungrige Familie konzipiert. Viel wird vom Glück bestimmt, und dennoch greifen die verschiedenen Mechanismen locker genug ineinander, um eine stimmige und dichte Atmosphäre zu schaffen. Für die fortgeschrittenen „Taucherinnen“ gibt es ja zudem noch die Bekanntschaftskarten, die eine durchaus  facettenreiche Spielanlage erlauben.   

 

ÜBERBLICK

Idee:                    Paul Randles

Autor:                  Mike Selinker & Bruno Faidutti

Grafik:                 David Cochard

Vertrieb:              Fachhandel

Preis:                            ca. 30 Euro

Verlag:                Tilsit Editions 2006

                            www.tilsit.fr

Spieler:      3-5 

Alter:                   10

Dauer:         60

 

BEWERTUNG

Genre:                 Abenteuerspiel 

Zielgruppe:                   Familie

Mechanismus:     Schätze bergen & verkaufen

Strategie:            *

Taktik:                ***

Glück:                           *****

Interaktion:                  ****

Kommunikation: ***

Atmosphäre:                 *****

Kommentar:

Relativ Glücksabhängig

Schöne Ausstattung

Vermittelt Abenteuerstimmung

Gut abgestimmte Aktionen

Auf den ersten Blick wird der Spielexperte stark an den Inselplan des frühen Tilsit-Spiels Maka Bana erinnert! Allerdings wirklich nur auf den ersten Blick. Denn Key Largo geht vom reinen Prinzip des Stein-Schere-Papier doch weit hinaus in Richtung Abenteuer und Erlebnis. Ob dies allerdings einen nachhaltigeren Spielreiz bewirkt, wird wohl von den Spielertypen abhängen. Mein persönliches Gefühl tendiert eher zum schnörkellosen Zocken der vormaligen Tilsit-Edition. Hat Ihnen diese allerdings zugesagt, können Sie auch bei Key Largo ein paar anregende Stunden des Eintauchens in eine Welt der Freibeuterei und Piraterie erleben.

 

Vergleichbar:

Submarine, Winning Moves

Makabana, Tilsit

    

Hugo.Kastner@spielen.at