Vom Dungeon ins Märchenreich

 

Faerie Tales

 

Abenteuer zwischen Drachen und Prinzessinnen

 

Ihr Kinder herbei,

groß und klein fasst Euch alle an der Hand.

Ich zeig’ Euch den Weg,

kommt nur mit in das Märchenwunderland,

wo Drachen bewachen in der Tiefe

Gold und Edelsteine; Elfenreigen; Zaubergeigen;

und ein stolzer Königssohn, der wartet schon!

 

(Einleitungslyrik einer alten Märchenschallplatte

Bastei Wunderland der schönsten Märchen, 1968)

 

Märchenhafte Abenteuer erwarten uns, auf Drachenjagd dürfen wir gehen, und ein ganzes, nicht das klassische halbe Königreich sollen wir beherrschen. Hunderte verblüffende Kreaturen werden ebenfalls in Aussicht gestellt. Ob da nicht ein wenig geflunkert wird, sozusagen handelsübliche Übertreibung, auf die man nichts zu geben braucht?

„Faerie Tales – Fantasy Boardgame“ wurde vom französischen Spieleautor Christophe Boelinger entwickelt. Dieser ist hauptsächlich für „Dungeon Twister“ bekannt, ein strategisches Duell (mit Erweiterungen auch für bis zu vier Kombattanten)  bei dem es gilt, aus einem Labyrinth aus sich wandelnden Räumen zu entwischen.

Ein Grundkonzept jenes mittlerweile zu einer überraschenden Bekanntheit avancierten Brettspieles kommt auch in „Faerie Tales“ zum Tragen. Bis zu vier Spieler und -innen nehmen rund um ein Spielfeld von variabler Größe (nach Spieleranzahl von 6 x 8 bis 12 x 8 Feldern) Platz. Alle verfügen über je 20 gleichartige quadratische Kartonplättchen, unterschieden lediglich durch die Farbe der Rückseite und Rahmung (blau, gelb, rot, schwarz), sowie kleine, relativ nutzlose Sichtschirme, die allerdings eine Kurzfassung der Spielregel (zweiseitig: italienisch und deutsch) enthalten. Die Plättchen teilen sich in Figuren und Landschaften. Reihum werden nun solange Kärtchen verdeckt auf dem grünen Spielfeld (das sind die weiten Ebenen des Königreiches, bevor wir mächtigen Herrscher Berge und Täler, Schlösser und Wälder erschaffen – so wohl die phantasievolle Annahme Boelingers) abgelegt, bis der Vorrat aufgebraucht ist. Jeweils zwei der Kärtchen, so genannte Abenteurer, muss man bereits offen auslegen, und mit ihnen beginnt ein beliebig festgelegter Startspieler die Entdeckungsreise. Das Spiel endet, wenn keine verdeckten Plättchen mehr auf dem Spielfeld liegen, es gewinnt, wer dann die meisten Siegpunkte (gefangene gegnerische Kärtchen + gewisse Positionen eigener Figuren) errungen hat.

 

In jedem Zug stehen zwei frei kombinierbare Aktionen zur Verfügung, zum Beispiel Plättchen aufdecken, Plättchen geheim anschauen, offen liegende Plättchen drehen (Zugrichtung ändern), angreifen lassen oder bewegen. Bewegen darf man eigene Figuren (bis zu) so viele freie Felder und in jene Richtung, wie auf den Kärtchen angegeben ist. Aufdecken darf man nicht diagonal benachbarte Felder jeder Farbe. Dies birgt freilich das Risiko eines Kampfes, denn erwischt man eine gegnerische Figur, muss man angreifen. Auch der Kampfwert steht gedruckt auf dem Kärtchen. Die Zahl ist ausschlaggebend, das angreifende Plättchen wird gegebenenfalls von nicht diagonal (nie diagonal – wie in den meisten Spielen) angrenzenden eigenen Figuren mit deren Wert unterstützt. Der höhere Wert siegt, alle unterlegenen Plättchen werden einkassiert, bei Gleichstand bleiben alle beteiligten Marken an Ort und Stelle. Bei Landschaftskarten passiert nichts, über sie darf man (mit Ausnahme der Trollhöhle, die ist für alle Figurenkärtchen tabu und bleibt als Hindernis liegen) wie über freie Felder hinweg ziehen.

Die meisten Plättchen verfügen zusätzlich über besondere Eigenschaften. Berge erhöhen, Sümpfe verringern den Kampfwert. Figuren in Wäldern bringen am Ende Siegpunkte. Die eigene Prinzessin in einem gegnerischen Schloss bringt sogar viele Siegpunkte, sie darf niemals angegriffen werden, kann aber im Kampf dennoch verloren werden. Der Gefängniswärter kann andere Figuren gefangennehmen und mit sich fortschleppen, der Drache hat den höchsten Kampfwert, aber nur eine eingeschränkte Bewegung, der Pegasus kann weit fliegen, aber nur schwach kämpfen, und so weiter.

 

Die Lage auf dem Feld erinnert an ein erweitertes „Stratego“. Neu ist dabei vielleicht die Idee einer grundsätzlichen Strategieabwägung – ob man auf Sicherheit spielt, indem man etwa vor dem Aufdecken jedes Plättchen geheim für sich anschaut, oder auf die überlegene Kraft der raschen Vorstöße einzelner, kampfstarker Figuren vertraut, bleibt jeder und jedem überlassen. Sicherheit bedeutet Tempoverlust, rasches Aufdecken und meist eine Schlacht riskieren kann in ein Gemetzel Marke „Fressschach“ ausarten. Diese Wahl sollte man bereits beim Aufbau des Feldes bedenken, denn anders als beim Milton Bradley-Klassiker „Stratego“ (immerhin schon aus dem Jahre 1947) entscheidet die zufällige Entdeckung des Schlosses (beziehungsweise der Fahne) keineswegs das Spiel. Darüber hinaus gilt, dass während man bei einer Partie „Stratego“ zumindest den Wert der eigenen Figuren stets im Blick behält, man sich bei „Faerie Tales“ zusätzlich merken sollte, wo welches eigene Plättchen abgelegt wurde. Sonst kann es womöglich passieren, dass man die Prinzessin in einer kompromittierenden Situation aufdeckt – gar nicht gut in der Endabrechnung!

Die taktischen und strategischen Komponenten ermöglichen somit viele unterschiedliche Partien, die Kurzweil versprechen. Die problematischen Seiten springen aber ebenso schnell, wenn nicht noch früher ins Auge. Die Grafik wirkt zwar nett, erinnert durchaus und wahrscheinlich nicht zufällig an Märchenbuchillustrationen des XIX. und frühen XX. Jahrhunderts, allein, jede Partei verfügt über ein genau gleiches Reservoir an Plättchen, die sich tatsächlich, einmal auf die Bildseite gedreht, nur durch den farbigen Rahmen voneinander abheben. Eine größere Unterscheidungsmöglichkeit wäre hilfreich. Gerade wenn man – vom Spielablauf ohnedies nicht wirklich nachvollziehbar – auf einer Märchenromantik bestehen will, böten sich zumindest andersfarbige Gewänder, oder gerne auch verschiedene Figurentypen an. Vom Zwergenkönig Laurin bis zur kleinen Meerjungfrau, von der bösen Stiefmutter bis zum Kaiser in neuen Kleidern bietet doch gerade dieses Genre eine Bandbreite von ähnlichen Personen respektive Funktionsträgern in dennoch von einander abweichenden Physiognomien an. Wahrscheinlich aber war so ein Entwurf zu teuer. Schade drum!

 

Keinesfalls zu teuer aber hätte eine genauere Durchsicht der Spielregeln sein dürfen. Diese kommen zwar kurz, bündig, und relativ präzise daher, weisen aber große Lücken und sogar haarsträubende Fehler auf, von Druckfehlern mal ganz abgesehen. Das grasgrüne, manchmal blassgrüne Spielfeld wird in der Anleitung gar als „orange“ bezeichnet.

Die Sichtschirme wiederholen lediglich eine kurze Zugfolgenzusammenfassung, sowie die Sonderfunktionen der Spielplättchen, sind aber leider eher wenig benutzerfreundlich gestaltet, und als Schutz vor neugierigen Blicken der Mitspielenden denkbar ungeeignet.

Auch das in manchen Wendungen durchblitzende Menschenbild scheint ein bisschen bedenklich, gibt doch bereits der Text auf der Schachtel als Handlungsanleitung vor: „Ihr werdet auch versuchen, eure Prinzessin mit dem Prinz des anderen Königreichs in seinem eigenen Schloss zu verheiraten. Und wenn es nicht auf friedlichem und diplomatischem Weg möglich ist, könnt ihr immer noch versuchen[,] das Schloss der Gegner zu zerstören“. Mag diese Art von Kanonenbootdiplomatie in der wirklichen Welt stattgehabt haben, so wundert man sich doch über diesen brutalen Einzug der Realpolitik in die Spiel- und Märchenwelt; zumal eine Spielmarke „Prinz“ schon überhaupt nicht vorhanden ist.

Bereits das Märchenlied vom Anfang barg ein gerüttelt Maß an Enttäuschung – die Geschichtensammlung, der es stets vorangestellt war, bot keinen einzigen Drachen, keine Elfen, ja nicht einmal magische Instrumente. Dennoch waren die Abenteuer auf ihre Art wundervoll, liebenswert, oder zumindest verträumt. Das zählt ja auch schon etwas. In „Faerie Tales“ gibt es immerhin gefährliche Drachen, üble Kerkermeister und launische Prinzessinnen, also steckt im Klappentext doch ein Körnchen Wahrheit.

 

Martina & Martin Lhotzky

Marcus Steinwender

 

 

Spieler: 2 bis 4

Alter   : ab 10 Jahren

Dauer: cca. 45 Minuten

 

Autor           : Christophe Boelinger

Grafik          : Sergio Giovannini, Alberto Bontempi

Vertrieb        : Mad Man’s Magic

Preis            : ab 19,90 €uro

Verlag          : Rose & Poison 2007

                     www.roseandpoison.com

 

 

Genre          : Fantasy-Brettspiel

Zielgruppe    : Freunde

Mechanismen: Strategisches Plättchen legen & bewegen

 

Strategie:               ******

Taktik:                  *******

Glück:                   ***

Interaktion:            ******

Kommunikation:     *****

Atmosphäre:          ***

 

Kommentar:

Thema nicht wirklich umgesetzt

Ausstattung adäquat

Regeln kurz, aber lückenhaft

Mechanismen gut

Keine Märchenatmosphäre

 

Vergleichbar:

Andere Fantasy-Abenteuerspiele von Drachenjäger von Xorlosch bis Talisman

 

Martin, Martina und Markus:

Eine durchaus witzige Kombination aus Stratego und Memory, gewürzt mit einer Prise Schach; fantastische Abenteuer in einem Märchenreich darf man freilich nicht erwarten. Ein bisschen mehr Anstrengung für eine passendere Atmosphäre wäre nett gewesen.