PERLEN DER SPIELKUNST   ◄ AUS DEM MUSeuM

 

HUGO KASTNER EMPFIEHLT

HASE UND IGEL

1. Spiel des Jahres

Liebe Leserin, lieber Leser! Mit diesem ersten Sieger im heute so prestigeträchtigen Preis „Spiel des Jahres“ im Jahr 1979 wurde eine neue Ära des Gesellschafts- wie Brettspiels eingeleitet. Dieses Urteil darf nicht als pathetische Überzeichnung verstanden werden, denn der geniale wie kreative britische Buchautor für Karten- und Brettspiele David Parlett schaffte es, mit einem Mix aus altbewährten Laufelementen und neuartigen Vorwärts-/Rückwärts-Zugfolgen dem Brettspiel einen neuen Horizont aufzuzeigen. Als Hare & Tortoise (Hase und Schildkröte) konnten britische Spielfreunde bereits 1974 die Freuden des Salatverzehrs, der Karottenernte und der ungewohnten „Igelbewegungen“ in die „verkehrte“ Richtung genießen. Der Name erinnert an die dem Griechen Äsop zugeschriebene Fabel „Die Schildkröte und der Hase“. Erzählt wird die Geschichte vom überheblichen Hasen, der von der Schildkröte zu einem Wettlauf herausgefordert wird. Seines Sieges gewiss, macht der Hase ein Nickerchen, nur um letztlich von der sich bedächtig vorwärts bewegenden Schildkröte überholt zu werden. Zur Weltsensation wurde dieses Spiel jedoch erst in Deutschland, mit dem an die Fabeln der Brüder Grimm erinnernden Titel „Hase und Igel“. Hier führt die Schläue eines Igelpärchens aus Buxtehude, das sich trickreich am Anfang und Ende einer Ackerfurche postiert, zum Fiasko für den sich buchstäblich die Seele aus dem Leib rennenden Hasen. Immer wenn er ankommt, steht der vermeintlich alleinige Kontrahent, Herr Igel, schon grinsend am Ziel. Diese Fabel wurde so populär, dass die Redewendung „Hase und Igel-Spiel“ für unfaire Vorteilverschaffung in den allgemeinen Sprachgebrauch einging. Im Österreichischen Spielemuseum in Leopoldsdorf ist von unfair jedoch keine Rede, denn auch „Hase und Igel“ wird hier streng nach dem Regelwerk abgewickelt. Wir dürfen Sie zu einem Wettlauf einladen! www.spielen.at.

Ein genauer Blick im Lichtkegel der Spielhistorie enthüllt, dass David Parletts Hase und Igel-Spielplan mit seinen exakt 63 Feldern an das älteste, populärste und zudem mythologisch verklärte Laufspiel der Geschichte, das Gänsespiel, anknüpft. Vermutlich hat Parlett, ein spielgeschichtlich ungemein erfahrender Autor, neben dem rein spielerischen Gehalt auch die Symbolhaftigkeit seines Schaffenswerks im Auge gehabt. Das Spielziel ist einfach und familientauglich, genauso wie auch der märchenhaft anmutende Spielplan: Es gilt, als Erster durchs Ziel zu laufen. Doch bei dieser Bemühung kommt schon Parletts geniale Tücke zum Tragen. Als Energielieferant für die Vorwärtsbewegung ist ein hoher Karottenkonsum vonnöten, und Nachschub eben dieser Karotten ist nur durch geschicktes Rückwärtslaufen auf Igelfelder möglich. Ja, und zu beachten ist auch noch, dass das Laufen über größere Felderstrecken einem der Zahlenreihe des Pascal’schen Dreiecks entnommenen Karottenverbrauch entspricht. Höhere Mathematik also in einem für „Kinder ab 8“ angebotenen Familienspiel! Doch keine Bange, dem Spiel liegen einfach zu lesende Tabellen bei, und für kurze Wege lassen sich die Zahlen ohnehin leicht aufaddieren: 1 Feld = 1 Karotte, 2 Felder = 1+2 Karotten, 3 Felder = 1+2+3 Karotten, 4 Felder = 1+2+3+4 Karotten usw. Ein letzter Richtwert: 10 Felder verlangen nach exakt 55 Karotten Wegzehrung. Das schon angesprochene Rückwärtslaufen muss auf Igelfeldern enden, für die man je nach Entfernung ein Vielfaches von 10 Karotten als Belohnung bekommt. Zusätzlich gibt es noch Zahlen- und Flaggenfelder, die mit den Positionen der Spielfiguren liebäugeln und entsprechenden „Sonderkarottennachschub“ garantieren, sowie Salatfelder, die ein Aussetzen nach sich ziehen. Zuletzt dienen noch dreizehn Hasenfelder als „Zufallsgeneratoren“, denn diese können positive wie auch negative Auswirkungen auf den Rennverlauf haben. Wer schließlich glaubt, es als schnell vorpreschender Spieler schon geschafft zu haben, für den wartet noch eine letzte Parlett-Tücke. Um durchs Ziel zu gehen, darf man nämlich nicht mehr als 10 Karotten mit sich schleppen. Genaues Haushalten ist also von Anfang an vonnöten, denn das Loswerden von Karotten ist fast schwieriger als der Erwerb dieser Energieträger. Aber nun auf zur nächsten Ackerfurche!  

Rückmeldungen an: hugo.kastner@chello.at                Homepage: www.hugo-kastner.at


EMPFEHLUNG # 56

Autor: David Parlett

Preis: 20 €

Jahr: 1978

Verlag: Ravensburger

Spieler: 2-6    

Alter: ab 8   

Dauer: ab  60 Min.  

OOOOOOOOO

Strategie/Taktik   Info±     Glück

Glück und Taktik halten sich die Waage in diesem Parlett-Klassiker. Daher darf es auch nicht verwundern, dass die allzu „kinderfreundlich“ anmutenden Altersangaben bei den einzelnen Ausgaben von 8 über 10 bis 12 reichen. Der Mittelwert scheint ganz passend, wenngleich ein Kind vermutlich zu sehr auf schnellen Karottenverbrauch setzen und die Igelfelder zu wenig wertschätzen wird. Doch Sie haben die entsprechende Warnung ja gerade gelesen!  

Hugos EXPERTENTIPP

Vergessen Sie nicht auf die „großen Sprünge“, noch dazu zielgenaue, denn nur diese lassen Ihnen Hoffnung auf ein rechtzeitiges Einlaufen im Hase-und-Igel Irrgarten. Und vergessen Sie nicht, Ihre Karotten rechtzeitig zu verzehren!

Hugos BLITZLICHT

So mancher Kritiker hat „Hase und Igel“ als zeitloses Meisterwerk bezeichnet. Diesem Urteil muss sich der Autor der „Perlen der Spielkunst“ vorbehaltlos anschließen. Wie wunderbar ist doch das Hantieren mit Karotten und Salathäuptern, wie schön das ständige Vorwärts- und Rückwärtspendeln auf dem märchenhaft anmutenden Spielplan. „Hase und Igel“ bietet neben seinem enormen historischen Gewicht auch ungemein viel Rechentiefe und    Spielwitz.

VORANKÜNDIGUNG

MENSCH ÄRGERE DICH NICHT

„… auf dem die Spielkultur Europas basiert“