FÜR FAMILIEN

POLYGAMIE IM ORIENT-EXPRESS

SAMARKAND

 

Wüstenschiffe laufen wie auf Schienen

 

Kid                       

Family          ein    

Friends                 

Expert                           

 

Alter            10     

Spezial                 

 

Eisenbahnspiele dauern häufig so lange wie eine Zugfahrt von Wien nach Innsbruck (inkl. Verspätungen). Das dem nicht immer so sein muss, hat der Spieleautor Harry Wu bereits 2008 mit „Chicago Express“ (vormals „Wabash Cannonball“) bewiesen: Aktien von Eisenbahngesellschaften kaufen, Zugstrecken bauen, Dividenden lukrieren, und dennoch war alles in rund einer Stunde erledigt (sofern sich beim Versteigern der Aktien keine Verzögerungen aufgrund tüfteliger Spielweise ergeben). Auch Spielthema von „Samarkand“ ist der Aktienkauf von Eisenbahngesellschaften und das Erweitern von deren Schienenstrecken, um durch das Erreichen von Bahnhöfen bzw. durch Streckenverbindungen mit anderen Eisenbahnen Siegpunkte zu sammeln.

 

Das Alles ist in den Orient transferiert: Anstelle von Eisenbahngesellschaften gibt es ferne Kaufmannsfamilien, in die wir einheiraten, statt Zugstrecken verlängern wir Kamelkarawanen auf ihren Handelsrouten, den Platz von Bahnhöfen nehmen Handelsposten ein und der Spielplan zeigt nicht die USA, sondern einen geografischen Ausschnitt zwischen Byzanz, Ägypten und weiter östlich bis Persien und zur Grenze von China. Jedenfalls passt auch dieses exotische Ambiente sehr gut und stimmig zu den Spielmechanismen, ist für die erste Erklärung aber etwas sperrig und weniger leicht nachzuvollziehen. Spätestens nach der ersten Partie sind die leichten und wenigen Regeln jedoch gut verständlich, zumal die Mitspieler pro Zug die Auswahl aus nur zwei Aktionen haben:

 

Heiraten oder Kamele kriegen

Entweder in eine (weitere) Familie einheiraten oder die Karawane (bzw. Handelsroute) einer Familie verlängern. Von den insgesamt zehn Familien stehen jeweils zwei potentielle Heiratskandidaten zur Verfügung. Auf diesen Plättchen sind (schön gendergerecht) auf Vorder- und Rückseite eine Frau oder ein Mann dargestellt. Somit sind nicht nur mehrere Ehen, sondern auch eingetragene Partnerschaften möglich; und – ganz emanzipiert – auch für  die Mitspielerinnen! Für die Braut/den Bräutigam ist als Liebesbeweis eine Ablöse zu bezahlen, dafür besteht die Mitgift aus neuen Auftrags- bzw. Warenkarten. Auf diesen Warenkarten ist jeweils eine der auf dem Spielplan abgebildeten insgesamt 33 Handelsposten abgebildet. Damit es für eine Warenkarte Siegpunkte gibt, muss die Karawane irgendeines Mitspielers diesen Handelsposten erreichen. Mehr Punkte lukriert man, wenn es sich um die Karawane einer Familie handelt, an der man selbst als Schwiegersohn oder -tochter beteiligt ist. Das Punktemaximum lässt sich mit zwei „eigenen“ Kamelen auf diesem Handelsposten erreichen.

 

Der Streckenbau ist simpel und erinnert ein wenig an „Trans America“ (bzw. “Trans Europa“): Ein bis zwei Kamele einsetzen, die eine gleichfarbige Karawane verlängern müssen (natürlich nur bei einer eigenen Familie). Pro Feld dürfen sich jedoch nur zwei (verschiedenfarbige) Kamele befinden. Für das erstmalige Schaffen einer Verbindung zwischen verschiedenfarbigen Karawanen bekommt man als Belohnung ebenfalls Siegpunkte, aber auch allfällige andere Schwiegersöhne oder -töchter der beiden beteiligten Familien verdienen mit. Da pro Familie zwei Mitspieler miteinander „verschwippschwägert“ sein können, liegt ein Teil des Spielreizes darin, dass diese dieselbe Karawane vielleicht in unterschiedliche Richtungen lenken wollen, bis der Kamelvorrat letztlich zur Neige geht.

 

Und das ist es im Wesentlichen auch schon. Erstaunlich schnell kann es zum Spielende kommen, was auch zu entsprechenden taktischen Überlegungen führt. Zahlt es sich überhaupt noch aus, meinen GattInnen-Harem weiter zu vergrößern, oder kann bereits jemand unmittelbar nach mir Schluss machen?  (Mit dem Spiel, nicht mit dessen Ehegatten). Häufig ist es jedoch auch möglich, das Spielende aktiv hinaus zu zögern. Weitere Überlegungen ergeben sich immer wieder aus der aktuellen Spielbrettsituation: Wenn ich mit meiner Karawane den Handelsposten einer meiner Warenkarte erreiche, kann sich mein Mitspieler über die Extrapunkte für die dann „aufgelegte“ Verbindungsmöglichkeit unserer beiden Karawanen freuen. Ein wenig Glück beim Nachziehen der Warenkarten kann zwar nicht schaden; das Spiel erlaubt jedoch auch das Ablegen von ungewünschten Karten, auf dass der nächste Partner hoffentlich eine brauchbarere Ausstattung in die neue Ehe mitbringt. Außerdem kann ich ja gezielt um eine Braut werben, in deren Nachbarschaft die Handelsposten meiner Warenkarten liegen. Da nahezu alle Informationen offen auf dem Tisch liegen, ist zwar grundsätzlich auch ein tüfteliges Durchrechnen der Möglichkeiten der Mitspieler denkbar, im Wesentlichen sollte es aber flott vorangehen. Oft sogar so flott, dass die Spieldauer im Verhältnis zum Spielauf- und -abbau unverhältnismäßig kurz erscheint; am besten also gleich noch eine Partie anschließen.

 

Die Anleitung und die Spielausstattung sind wieder – wie vom Verlag gewohnt – sehr gut und schön gestaltet. Gegen Spielende ziehen viele bunte Holzkamelkarawanen durch die Lande, die den Eindruck von putzigen Ameisenstraßen machen. Für ein wenig Irritation sorgt jedoch der Umstand, dass mit den Kamelen auch die Meere befahren werden können (das Wüstenschiff mutiert hier also quasi zum Amphibienfahrzeug). Offen bleibt noch die Frage, ob die verschiedenen Familien tatsächlich ausgewogen sind. Zwar betragen die Eheschließungskosten für die attraktiveren Positionen in der Spielplanmitte teilweise sogar das Doppelte im Vergleich zu den Randpositionen. Dafür werden für jene wohl auch mehr Boni für die Verbindungen mit anderen Familien ausgeschüttet werden. Für die von mir noch nicht getestete Variante für zwei Personen gibt es einige Sonderregeln und sogar einen Extra-Stoffbeutel. Hier dürfte das Spiel den taktischen Höhepunkt erreichen, zumal bei vielen Aktionen jeweils der eigene und der (Mit-)Verdienst des Kontrahenten abzuwägen sind.

 

Harald Schatzl


Spieler         : 2-5

Alter            : 10+

Dauer           : 30-60 min


Autor           : David V.H. Peters & Harry Wu
Grafik          : Jo Hartwig
Vertrieb       : Piatnik
Preis            : ca. 35 Euro
Verlag          : Queen Games
                     www.queen-games.de

BEWERTUNG:
Strecken bauen,

um Plättchen zu sammeln

und Aufträge zu erfüllen

Zufall                     : 2

Wissen/Gedächtnis  : 1
Planung                 : 4
Kreativität              :
Kommunikation      : 6
Geschicklichkeit      :
Action                   :

Kommentar:
Stimmiges, exotisches Thema
Schöne Ausstattung

Relativ wenig und einfache Regeln
Taktisches Potential, dennoch flott spielbar

Spiele Hit für Familien 2010

Vergleichbar:
Trans America

Chicago Express
andere Eisenbahnspiele mit Aktienbeteiligungen

Atmosphäre: 5

 

Harald Schatzl

Ehen sind Verträge und Heiraten ist ein Geschäft; die Liebe kommt (vielleicht) später. Auch die Liebe zu „Samarkand“ braucht mehr als eine Partie, um sich entwickeln zu können – wird sie dann aber ein Leben lang währen?