DIE GÄRTEN DER ALHAMBRA

Zwischen Zitronen- und Orangenbäumchen

 

Schon im Jahre 1993 haben Dirk Henn und Barbara Weber in ihrem Eigen- und Kleinverlag „db“ (Dirk und Barbara, Anm. d. Verf.) mit einem Spieltitel überrascht, der von einer Kritikerin fast poetisch „mit reinem Gold“ verglichen wurde: Carat. Damals waren nicht nur Fachleute davon überzeugt, dass dieses Spiel niemals einen großen Verlag finden würde, einfach deshalb, da es bei aller Raffinesse zu abstrakt wäre. Nun, Queen Games belehrte alle Kritiker eines Besseren, und entschied sich 1998 für eine praktisch unveränderte Neuauflage dieses Frühwerks von Dirk Henn, das auf taktisches Legen von Diamanten baute. In Insiderkreisen wurde Carat sofort durch hohe Bewertungen belohnt, gleichzeitig aber die Kopflastigkeit einer analytisch geprägten Spielanlage unterstrichen. Um Ihnen alle träumerischen Assoziationen mit dem Spiel des Jahres 2003, Der Palast von Alhambra, zu ersparen, möchte ich schon im ersten Absatz betonen, dass Die Gärten der Alhambra nur in grafischer Gestaltung an das Erfolgsprodukt Henns anlehnen, sonst jedoch pures „Carat“ darstellen. Wir haben eine in den andalusischen Weiten angesiedelte Neugestaltung eines interessanten Legespiels für Taktikfreunde vor uns.

 

Aus spielhistorischer Sicht darf ich anmerken, dass Carat nicht das einzige Henn/Weber-Produkt ist, das eine Neuauflage in professioneller Form erfuhr. Auch Alhambra (oder Der Palast von Alhambra; auf Grund eines geschützten Namens notwendige Änderung, Anm. d. Verf.) erschien bereits Anfang der Neunzigerjahre unter dem Signet „db“ als Al Capone, später bei Queen Games als Stimmt so!. Atlantic Star durfte für kurze Zeit im Eigenverlag als Premiere, dann bei Queen Games als Showmanager das Zielpublikum erfreuen, und auch Metro hatte in Iron Horse einen Prototyp als Vorläufer. Die Qualität der von Barbara Weber liebevoll gestalteten, heute von Sammlern gesuchten, frühen Ausgaben des Erfolgsautors Dirk Henn konnte sich letztlich in allen Fällen ganz zu Recht durchsetzen.    

 

Wie bei vielen Legespielen, ist auch bei Die Gärten der Alhambra die Vorbereitung auf ein Minimum reduziert. Der quadratische Spielplan mit der umlaufenden Kramerleiste wird in die Tischmitte platziert und 49 Gebäudeplättchen mit den Werten „1“ bis „5“ kommen, mit der Rückseite nach oben, auf vorgezeichnete quadratische Feldumrisse zu liegen. Dies ohne ersichtliche Ordnung. Schöne Holztürmchen in vier Farben dienen als Zählsteine. Zuletzt werden verdeckt 36 achteckige Gartensteine neben den Spielplan gelegt. Diese zeigen jeweils vier Baumarten, die in der Farbgebung den Zählsteinen der Spielerinnen entsprechen. Nun geht es los. Jede Spielerin nimmt sich einen Gartenstein in die Hand und - wie schreibt doch die Regel vor - „der älteste Spieler fängt an.“

 

Was auch immer im weiteren Spielverlauf geschieht, Sie müssen ständig das Ziel vor Augen haben: die Gartensteine mit den Bäumchen sollen so geschickt platziert werden, dass Ihre eigenen Bäumchen die wertvollsten Palastgebäude umgeben. Abwechselnd legen Sie je einen Gartenstein an einer beliebige Stelle auf dem Spielplan ab, allerdings verbunden mit bereits gepflanzten Bäumchen. Danach wird ein neues Plättchen nachgezogen. Nur die Startspielerin ist bei ihren ästhetischen und taktischen Überlegungen etwas eingeschränkt, darf sie doch keines der Randfelder besetzen. Welche praktischen Überlegungen sollten Ihre Entscheidungen prägen? Zum einen hat Dirk Henn die vier Baumarten Zitrone (gelb), Orange (orange), Palme (grün) und Lavendel (lila) mit einem Sinn für absolute Gerechtigkeit auf den durch Wege gegliederten Plättchen verteilt, je ein bis sechs Bäumchen um jeden Weg, und zwar immer genau die gleiche Anzahl aller Arten pro Gartenstein. Das bedeutet im Klartext, dass Sie zwar ein Gebäude mit Ihren eigenen Bäumen verschönern können, gleichzeitig aber auch drei weitere Nachbargebäude in den Farben Ihrer Gegenspielerinnen verzieren. Sobald ein Palastgebäude auf allen vier Seiten von Baumgruppen umgeben ist, wird es umgedreht und gewertet. Die Punkte auf der Zählleiste bekommt allerdings nur die Spielerin, die die meisten eigenen Bäume um das Gebäude pflanzen konnte, egal ob auf einem oder mehreren Gartensteinen. Gibt es zwei oder mehr Spielerinnen mit der Höchstzahl von Bäumen, so wird der nächst höhere Bewuchs belohnt. Es kann sogar vorkommen, dass sich drei Spielerinnen „auspatten“. Daher kann auch eine Gartenarchitektin punkten, ohne überhaupt gepflanzt zu haben. Das Besondere dabei: Je mehr unterschiedliche Baumarten um ein Gebäude platziert sind, desto höher der Punktegewinn. Der Wert des Gebäudes (wie schon erwähnt zwischen „1“ und „5“) wird nämlich mit der Anzahl der verschiedenen Baumarten multipliziert. In diesem Mechanismus zeigt sich deutlich die wertungstechnische Begabung Dirk Henns. Sobald alle Gärten der Alhambra das Feld zieren und damit alle Palastgebäude in schöner Pracht erstrahlen, endet das Spiel. Wer seinen Turm auf der Zählleiste am weitesten vorne hat, darf sich rühmen, der Meister des Gartenbaus zu sein.   

 

Nun zur Kritik. Die vorliegende Version des Henn-Taktikspiels bringt für alle, die bereits Carat in ihrem Spielschrank haben, nichts wirklich Neues. Mal abgesehen vielleicht von der kleinen Variante, mit drei Gartensteinen zu spielen, um den Glücksfaktor beim Nachziehen etwas einzuebben. Diese Anregung fehlte in der allerersten „db-Ausgabe“. Auch der Hinweis, bei zwei Spielerinnen jede mit zwei Baumarten spielen zu lassen, darf als willkommene Ergänzung der vierseitigen Anleitung aufgenommen werden. Na ja, das allein würde eine Neuauflage wohl kaum rechtfertigen. Dennoch gibt es zwei Gründe für diese jüngste Edition. Zum einen haben viele Freunde der Hennschen Ideenwelt leider keine Chance, zu einer der früheren Carat-Ausgaben zu kommen, zum anderen ist diese Neugestaltung in der Tat ein ästhetischer Hochgenuss. Es entsteht eben eine wunderbar anzusehende Landschaft, mit vertrauten Gebäuden und farblich geschmackvoll abgestimmten Hainen. Schon aus diesem Grund greife ich immer wieder gern zu diesem Spiel.

 

Positiv ist auch zu vermerken, dass selbst bei mehrmaligem Spielen der Reiz der unverhofften Überraschung kaum abflacht. Eben haben Sie einen der Gartensteine ausgelegt, womöglich mit fünf oder sogar sechs Bäumchen zum hochkarätigen 5er-Palast blickend, siegessicher schon warten Sie auf die Abrechnung des betreffenden Gebäudes, und da passiert es. Eine der Mitspielerinnen zieht glücklich nach und vermasselt Ihnen die sicher geglaubte Wertung. So geht es in einem fort. Die Gärten werden eben nicht mathematisch gezirkelt, sie entstehen immer in Hinblick auf die Möglichkeiten der hohen Palastwertungen. Dabei gilt es zu bedenken, dass bei optimaler Verteilung vier unterschiedlicher Baumarten um ein wertvolles Gebäude zwanzig Punkte auf einmal eingefahren werden können. Diese lukrativen Möglichkeiten tun sich klarerweise nur bei den in der Mitte der Anlage stehenden Palastgebäuden auf. Die Randlage ermöglicht dagegen ein schnelles Erobern eines Gebäudes, allerdings um den Preis einer geringeren Prämie. Darauf wird unter „Tipps zur Taktik“ im übrigens ausgezeichnet gestalteten Regelheft speziell hingewiesen.

 

Wo nun sind die Schwachstellen dieses Spiels, die den ganz großen Erfolg unwahrscheinlich werden lassen? Um es kurz zu sagen, trotz der Stein-um-Stein Auslage entstehen bisweilen Wartezeiten von zwei, drei Minuten, vor allem, wenn ein Tüftler in der Spielrunde sitzt. Ich persönlich habe damit keine Probleme, vielleicht auch, weil ich aus der Schachszene komme, wo manchmal bis zu einer Stunde über einem Zug gebrütet wird. Zugegeben, im Schach, wo ja tiefes kombinatorisches Verständnis verlangt wird, denken beide Seiten gleichzeitig. Die Zeit wird also kaum lang. Bei Die Gärten von Alhambra dagegen müssen Sie keine langfristigen Strategien entwickeln sondern vielmehr taktisch auf Ihre Mitspielerinnen reagieren. Dabei kann die Gelassenheit manch unduldsamen Temperaments ziemlich strapaziert werden. Falls Sie jedoch anspruchsvolle Legespiele zu Ihren Favoriten zählen, müssen Sie bei dieser „Alhambra“ einfach mitgestalten.

 

In welcher Besetzung macht dieses Spiel am meisten Spaß? Nun, wenn ich ehrlich bin, schätze ich die Zweisamkeit in den prachtvollen Gärten mehr als die ohnehin nur schwach aufflackernde Gruppendynamik. Die Wartezeiten verkürzen sich und die mit viel Mühe und taktischem Geschick errichteten Gartensysteme tragen eher Früchte. Außerdem ist die sehr trickreiche Variante möglich, bei der jede Spielerin zwei Zähltürme führt, damit natürlich auch zwei Baumarten ihr Eigen nennt. Hier wird wahrlich viel für die Investition in dieses Spiel geboten, da auch strategische Überlegungen in die Gartenarchitektonik einfließen.

 

Eine letzte kritische Anmerkung. Der Name „Alhambra“ mag potenzielle Käuferinnen durchaus an eine 3. Erweiterung zum „Palast“ denken lassen. Mitnichten – irregeführt! Darf diese suggestive Werbestrategie dem Verlagshaus vorgeworfen werden? Ich muss das Urteil darüber Ihnen überlassen, möchte aber doch auf moderne Werbestrategien à la Benetton hinweisen, wo Produkt und Sujet absolut nichts gemein haben. Vielleicht ist auch dies ein Kennzeichen des jungen 21. Jahrhunderts.   

         

Mein persönliches Fazit: Wir begrünen sie immer wieder, die Gärten der 49 andalusischen Palastgebäude, mit anhaltender Freude und gebührlicher Muße. Egal ob es nun Arkaden, Gemächer, Pavillon, Serail oder Turm sind, deren Umgebungen durch Pflanzungen von Zitronen- und Orangenbäumen, von Palmen und Lavendel verschönert werden, die Anforderungen an die Spielerinnen bleiben bei jedem Zug die gleichen. Einfach einen kleinen Obsthain zwischen die ausliegenden Gebäude setzen, klarerweise mit dem Auge auf punkteträchtige Felder. Dass die den „Gärten“ innewohnenden, stark taktisch geprägten Elemente, allen Mitspielerinnen eine knappe Dreiviertelstunde voller Denkakrobatik abverlangen, ist die wunderbare Seite dieser Dirk Henn-Kreation. Ein Moment der Unachtsamkeit genügt, und die edlen Gehölze zieren die Erfolgsleiter Ihrer Gegnerinnen. Die „Gärten“ sind eben nicht nur für Liebhaber optisch ansprechender Legespiele empfehlenswert, sondern vor allem für Spielerinnen, denen taktische Kniffligkeiten Freude bereiten. Der Glücksgriff zum richtigen Pflanzenplättchen allein reicht nicht für den großen Wurf, kombinatorisches Talent ist genauso wichtig im tiefen Süden Spaniens.

 

Hugo Kastner

hugo.kastner@chello.at

 

DIE GÄRTEN DER ALHAMBRA

Spieler         : 2-4

Alter            : ab 10 Jahren

Dauer          : 45-60 Minuten

Verlag          : Queen Games 2004

                    www.queen-games.de

Autor           : Dirk Henn

Grafik          : Jo Hartwig

Preis            : ca. EUR 20

 

WIN WERTUNG

Genre                    : Taktisches Legespiel

Zielgruppe             : Familie und Taktikfreunde

Mechanismus         : Bäume hochkarätig um Gebäude platzieren

Strategie                : **

Taktik                    : ******

Glück                    : ****

Interaktion             : **

Kommunikation      : *

Atmosphäre           : *****

Kommentar:

Originalausgabe Carat (db-Verlag, 1993 & Queen Games, 1998) 

Hohe taktische Platzierungsmöglichkeiten

Origineller Legemechanismus

Variable Startauslage der Gebäude

Schöne, atmosphärische Neugestaltung

 

Hugo Kastner: Die Gärten der Alhambra ist ein ungemein reizvolles Legespiel, das jedoch auch in dieser Neuausgabe seinen völlig abstrakten Charakter nur unschwer verbergen kann. Spielschachtel, Gebäudebeschreibungen und Grafik mögen eine Verwandtschaft mit dem überaus erfolgreichen Der Palast der Alhambra suggerieren, jedoch besteht abgesehen vom Autor Dirk Henn kein begründbarer Zusammenhang. Es sei denn, sie lassen kaufmännische Überlegungen gelten.

 

Wenn Ihnen Domino (Variante All Fives), Janus oder Carcassonne gefallen, wird Ihnen auch Die Gärten der Alhambra zusagen.