Nächster Halt: Chicago

 

Chicago Express

 

1830 light

 

Bei einem genauen Blick auf den Spielplan erleben Eisenbahnspielfans eine Art déjà-vu. Die Karte zeigt den Nordosten der USA mit bekannten großen Städten. Sie reicht von Chicago im Westen bis zur amerikanischen Ostküste, von Detroit im Norden bis nach Richmond im Süden. Das Ganze ist in Hexfelder unterteilt und jedem Feld einer der Landschaftstypen Stadt, Feld, Wald oder Gebirge, eindeutig und grafisch gut zu unterscheiden, zugeordnet. In den vier großen Städten im Osten - New York, Philadelphia, Baltimore und Washington - findet man die Startsymbole der 4 anfänglich erhältlichen Eisenbahngesellschaften eingezeichnet: New York Central Railroad, Pennsylvania Railroad, Baltimore and Ohio Railroad und Chesapeake and Ohio Railway. Da auch noch dazu von jeder Firma eine unterschiedliche Anzahl von Aktien neben dem Spielplan auf den firmeneigenen Tableaus platziert wird, erinnert das alles sehr an den Klassiker unter den Eisenbahn-Aktienspiele, 1830.

 

Einzig die fünfte Linie, die in Chicago Express betrieben werden kann, die Wabash Railroad Company, war in 1830 nicht zu finden. Der Wabash kommt eine Sonderstellung im Spiel zu. Sie startet nicht wie die anderen im Osten, sondern fast schon am westlichen Rand des Planes in Fort Wayne, unweit von Chicago. Allerdings kann sie nicht schon von Anfang an betrieben werden. Erst wenn eine andere Gesellschaft Chicago erstmals an ihr Netz anbindet, wird die erste von zwei Wabashaktien versteigert und die Gesellschaft somit eröffnet. Diese Sonderstellung spielte in der ursprünglichen Version des Spiels von Winsome Games, die schon im letzten Jahr erschienen ist, eine noch größere Rolle. Diese hieß nämlich Wabash Cannonball, so nannte die Wabash Railroad Company ihre Expressverbindungen zwischen Detroit und St. Louis. Noch bekannter ist aber das amerikanische Volkslied mit diesem Titel, wohl eher der Grund für die Namensgebung.

 

Chicago Express ist eine nahezu unveränderte Neuauflage des Winsome Games Spieles. Das hat gewissermaßen Tradition. Winsome Games ist bekannt für seine Eisenbahnspiele, die in einfachster grafischen Umsetzung mit schlichtest möglichem Spielmaterial in Kleinstauflagen produziert werden, dabei aber oft mit innovativen neuen Spielmechanismen ankommen. Einige Spiele wurden dann von größeren Verlagen neu aufgelegt, wie z.B. die sehr bekannten Spiele Trans America oder Age of Steam.

Chicago Express beginnt damit, dass von den ersten vier Gesellschaften je eine Aktie versteigert wird. Ab dann geht es reihum. Wer am Zug ist wählt eine von drei Aktionen, entscheidet sich ob er sie durchführen will oder nicht, dann ist der nächste Spieler in Sitzreihenfolge dran. Die 3 möglichen Aktionen sind: Aktie versteigern, Feld entwickeln oder Eisenbahnlinie ausbauen.

 

Wer eine Aktie versteigert, wählt eine beliebige noch verfügbare Aktie aus und bietet. Die Versteigerung läuft genauso wie auch die anfängliche Auktion. Reihum können die Spieler erhöhen oder passen. Es läuft so lange im Kreis bis alle Spieler außer einem gepasst haben. Das gebotene Geld kommt zum Firmenvermögen und steht der Firma ab sofort zur Verfügung. Dieses Geld wird benötigt um die Eisenbahnlinie zu erweitern. Auf jedem Feld sind Kosten aufgedruckt. Wer die Aktion Ausbauen wählt kann für eine Firma bis zu 3 Felder bebauen. Dazu muss er mindestens eine Aktie der Firma besitzen, die Gesellschaft muss das auf den Feldern aufgedruckte Geld besitzen und danach abgeben (Es gibt keine Möglichkeit Privatgeld zuzuschießen!) und über genügend Spielsteine in ihrer Farbe verfügen, diese werden nämlich auf jedes Feld gelegt, womit angezeigt wird dass die Firma dieses Gebiet erschlossen hat. Zu beachten gilt es dabei, dass jedes neu bebaute Feld an ein schon erschlossenes angrenzen muss. Für jedes Stadt und Gebirgsfeld, das angeschlossen wird, steigen die Einnahmen der Gesellschaft und somit das Dividende der Aktionäre. Diese werden auf einer Skala für jede Firma markiert und immer entsprechend angepasst. Die Einnahmen können noch weiter gesteigert werden wenn ein solches Feld entwickelt wird. Wer entwickelt, nimmt ein Häuschen aus dem allgemeinen Vorrat und stellt es auf ein Feld, das schon von mindestens einer Gesellschaft bebaut wurde. Auf dem Feld steht, was dies bewirkt. In den meisten Fällen steigert sich dadurch einfach das Einkommen der dort vertretenen Eisenbahnen. Die meisten Felder können nur einmal entwickelt werden.

Eine Besonderheit stellt der Anschluss von Chicago dar. Sobald eine Gesellschaft Chicago anschließt, wird sofort eine Extradividende für die Aktionäre dieser Gesellschaft ausgeschüttet. Dies macht Chicago besonders attraktiv und zum großen Ziel jedes Ausbauplanes. Allerdings werden nicht alle Linien dieses auch im Spiel erreichen.

Jede der Aktionen ist nur in einer beschränkten Anzahl in einem Durchgang verfügbar. So können nur maximal 3 Aktien versteigert, 4 Felder entwickelt und 5 Mal Eisenbahnlinien ausgebaut werden. Dazu gibt es eine Anzeige, wo für jede dieser drei Kategorien mitgezählt wird. Sobald eine ihr Maximum erreicht hat, darf sie nicht mehr gewählt werden und der aktive Spieler muss eine andere nehmen. Wobei zu beachten ist, dass ein Spieler eine Aktion auch wählen kann, ohne sie durchzuführen. Dies kann taktisch manchmal sinnvoll sein, denn auch in diesem Fall wird die Anzeige weiterbewegt.

Sobald 2 Anzeigen das Maximum erreicht haben ist der Durchgang zu Ende und es kommt zur Dividendenauszahlung. Die Spieler erhalten Geld für ihre Aktien, danach werden die Zähler für die Aktionen wieder auf 0 gesetzt und das Spiel wird mit dem nächsten Spieler fortgesetzt, sofern keine der Endbedingungen erfüllt ist.

Diese Endbedingungen sind folgende: 3 Aktiengesellschaften haben keine Spielsteine mehr um ausgebaut zu werden, von 3 Gesellschaften können keine Aktien mehr erworben werden, von den Häuschen zur Entwicklung sind nur noch maximal 3 im Vorrat, oder es wurden schon 7 mal Dividenden ausgezahlt. Sobald eine der Bedingungen erfüllt ist wird das Ende eingeläutet. Das Spiel läuft noch bis zur nächsten Dividendenauszahlung. Diese wird noch durchgeführt, dann ist es endgültig aus und es wird das Bargeld gezählt, um den Sieger zu ermitteln. Außer dem Bargeld zählt nichts, also auch die Aktien werden nicht berücksichtigt.

Das Ganze dauert im Normalfall etwa eine Stunde und das ist sehr beachtlich, vor allem wenn man es mit anderen Eisenbahn-Aktienspielen vergleicht. Natürlich erreicht Chicago Express nicht die Komplexität eines 18xx, bietet aber dennoch sehr viel Tiefgang. Für die relativ kurze Spieldauer sogar enorm viel. Das Spiel eignet sich somit auch ausgezeichnet als Einstieg in dieses Genre. Aufgrund der einfachen Regeln kann es auch problemlos von Familien und Gelegenheitsspielern gespielt werden. Allerdings traue ich mich nicht einzuschätzen wie groß der Spaßfaktor dort ist, als Zielgruppe erscheinen mir doch eher die Experten. In Chicago Express gilt es nämlich sehr viel zu berechnen, kalkulieren und optimieren. Das kann oft sehr kompliziert sein und durchaus in Arbeit ausarten. Klarerweise kann man auch einfach aus dem Bauch heraus spielen, dies birgt aber einige Gefahren. Chicago Express ist nämlich ein hoch interaktives Spiel. Fast jede Aktion die ich wähle und ausführe, oder auch nicht ausführe, beeinflusst auch jeden anderen Spieler positiv oder negativ. Kurzfristige Kooperationen ergeben sich und prägen das Spiel, bis eine neue Aktienverteilung wieder alles durcheinander bringt. Ein unvernünftig agierender Spieler kann das Spiel stark beeinflussen und früh entscheiden. Daher macht es auch am meisten Spaß in Runden mit erfahrenen Spielern, die alle auf ihren eigenen Vorteil bedacht und damit bis zu einem gewissen Grad berechenbar sind. Generell neigt das Spiel zu früh entschieden zu werden. Oft ist schon nach 2 Durchgängen abzusehen wer gewinnt, oder zumindest sind einige Spieler hoffnungslos abgeschlagen, vor allem mit vielen Mitspielern (5 oder 6). Bei 3 bis 4 haben die Spieler etwas mehr Spielraum und nicht jede Entscheidung wiegt so schwer, daher wohl auch die optimale Spieleranzahl. Bei einem Zweierspiel erinnert das Ganze dann doch sehr an Schach: alles ist berechenbar, der kooperative Part fällt weg, was meinem Gegner schadet hilft mir, somit auch wesentlich destruktiver.

Das Spielmaterial ist durchwegs positiv zu beurteilen. Der Spielplan, sowie die restlichen Grafiken sind von einem der derzeit wohl meistbeschäftigten Spielegrafiker, Michael Menzel, hübsch, bunt und übersichtlich gestaltet. Die hölzernen Spielsteine sind wie Lokomotiven oder Häuschen geformt und sorgen auch für optisches Flair. Einziger kleiner Makel sind die Aktienzertifikate aus dünnem Papier, ein etwas stabilerer Karton wäre besser gewesen. Die Regeln sind relativ kurz, übersichtlich und mit vielen Beispielen illustriert. Manche Details habe ich beim ersten Durchlesen zwar überlesen. Das kann ich aber dem Verlag nicht ankreiden, da ich, als Kenner der Winsome Games-Version, die Regeln zuerst nur überflogen habe.

Alles in allem also eine gelungene Neuauflage, die Eisenbahn- und vor allem Aktienspielliebhabern auf jeden Fall ein Blick wert sein sollte. Besser noch wären mehrere, denn der volle Reiz des Spieles ergibt sich erst nach mehreren Partien. Gerade die ersten Spiele verlaufen oft unrund. Mit steigender Erfahrung der Mitspieler steigt dann auch das Spielvergnügen, so war jedenfalls mein Eindruck. Dank der kurzen Spieldauer sollte es aber auch kein großes Problem sein eine zweite Partie anzuhängen.

 

Markus Wawra

 

Kid                       

Family                  

Adult           ein    

Expert                           

 

Alter                    

Spezial                 

 

 

Spieler         2-6

Alter            12+

Dauer           60 min

 

Autor           Harry Wu

Grafik          Michael Menzel

Vertrieb       Piatnik

Preis            ca. 30,00 Euro

Verlag          Queen Games 2008

                   www.queen-games.de

        

Genre                   Aktienspiel, Eisenbahnspiel

Zielgruppe             Experten

Mechanismen         Aktien kaufen, Strecken bauen

 

Zufall                     :

Wissen                  :

Planung                 : 7

Kreativität              :

Interaktion            : 6

Geschicklichkeit      :

Action                   :

Atmosphäre           : 5

 

Kommentar           

hübsche, übersichtliche grafische Gestaltung

kurze, einfache Regeln

viel taktischer Tiefgang

sehr hohe Interaktion

                           

Vergleichbar          

Santa Fe, Steel Driver, Stephenson's Rocket

 

Markus Wawra:

Chicago Express ist ein kurzes, einfaches, hübschen Eisenbahn- und Aktienspiel, mit Fokus auf Aktienspiel, und mit vielen komplexen Zusammenhängen. Man muss es aber öfter spielen um sich eine Meinung bilden zu können, da es, vor allem aufgrund der Abhängigkeit von den Aktionen anderer Spieler, nicht immer rund läuft.