Der Markt von Alturien

Mit Prestige zum Baron

 

„Alturien, Alturien, du Wunder der Ligurischen See!“, möchte man ausrufen; wenn es wahr wäre. Alturien aber gibt es nicht, Wolfgang Kramer hat sich dieses angeblich im Mittelalter „irgendwo zwischen Italien, Germanien und Spanien“ angesiedelte Phantasiereich selbst ausgedacht. Abgesehen davon, dass es „im Mittelalter“ (noch so ein schwammiger Begriff – die Zeitspanne umfasst ja mehr als tausend Jahre in Mitteleuropa, im englischen Sprachraum rechnen Historiker bisweilen sogar noch das 17. Jahrhundert dazu) keine Reiche mit den Namen Spanien oder gar Italien gab, existierte ein „Germanien“ überhaupt nie, bestenfalls als Toponym der römischen Antike oder als katholische Kirchenprovinz. Das macht bei einem Spiel meist nichts aus, doch „Der Markt von Alturien“ will der erste Teil einer Sage werden, da sollte mehr Sorgfalt walten. Der zweite Teil, „Die Hauptstadt von Alturien“ (laut www.boardgamegeek.com eine Neubearbeitung von Kramers „Big Boss“ aus dem Jahre 1994; wir werden testen, ob das stimmt) erscheint noch in diesem Jahr.

Auch „Der Markt von Alturien“ basiert lose auf einem älteren Spiel desselben Autors (City, 1988), das Spielfeld ist praktisch identisch, nur hat der Illustrator Eckhard Freytag dem Marktgeschehen nun einen vormodernen Rahmen verpasst, und es gibt einen Hafen (allerdings ohne Bedeutung im Spielgeschehen).

 

Ziel des Spieles ist, als erster drei prestigeträchtige Objekte (Schlösser) zu erwerben, und somit in den Adelsstand aufzusteigen; vermutlich eine Voraussetzung für das Folgespiel, wer weiß das schon? Jeder Spieler, jede Spielerin beginnt mit einem Startkapital von sechs Real (Geldscheinen) und vier Geschäftslokalen (Kunststoffhäuschen), die vor der ersten Runde reihum auf dem Spielplan, der den Marktplatz von Alturien darstellt, gesetzt werden. Bis zu acht weitere Häuschen können im Verlauf des Spieles dazugebaut werden. Vom Hausbauen allein wird der Mensch nicht glücklich, also kommen kauflustige Kunden auf den Markt. Von drei Baronen, zwei Markgrafen (Marqués) und einem Großen des Reiches (Grande) darf einer von jedem Spieler nach einem Würfelwurf entsprechend viele Felder und am besten ins eigene Geschäft bewegt werden, wo der dann sofort Geld ausgibt. Das heißt, der Lokalbesitzer nimmt sich entsprechend dem Kundenwert (1, 2 oder 3) multipliziert mit der Anzahl der an dem entsprechenden Platz vorhandenen Stockwerke des Geschäfts (theoretisch nur durch die Anzahl der vorhandenen Kunststoffmodelle, also zwölf, begrenzt) Geld aus der Bank. Besitzt die Spielerin oder der Spieler im farbig gekennzeichneten Marktsechstel die meisten Geschäftslokale (über- oder nebeneinander), erhält sie bzw. er noch eine Prämie als Marktführer. Einige Spezialfelder, an der dunkleren Farbgebung leicht zu erkennen, sorgen dafür, dass Kunden zu Stammkunden werden, und immer dann ihr Geld verjuxen, sobald der Besitzer des Geschäftes an die Reihe kommt.

Die Kaufleute können sodann ihr Geld investieren, entweder in neue Geschäftslokale (auch Umzüge oder Anbauten sind möglich, günstig wirkt sich auch immer die Eroberung einer Marktführerschaft aus), in Prestigeobjekte, oder bei der enthaltenen Spielvariante („Erweiterung“ genannt) in Investitionskarten, die vier zusätzliche Verdienstmöglichkeiten (mehr Personal, kaufwilligere Kunden, mehr Verkaufsfläche, ein zweiter Bewegungswurf) eröffnen. Sobald das erste Unternehmen über ein Kapital von mehr als zehn Real verfügt, erscheint ein irregeleiteter Robin Hood namens „Gustavo, das Wiesel“ auf der Spielfläche, der nun genau wie die anderen Kunden bewegt werden darf, aber statt zu kaufen an seinem jeweiligen Zielort frech Geld entwendet, und dieses an seinen Auftraggeber – die Person, die ihn bewegt hat – übergibt. Darüber tröstet auch nicht das Erscheinen der Stadtwache hinweg. Der soeben bestohlene Krämer, sofern er nicht über das meiste Vermögen verfügt, erhält die Karte „Stadtwache“, und ist somit vor einem weiteren Besuch des Räubers geschützt, bis die Karte an das nächste Opfer weitergegeben werden muss. Die Polizei kommt eben wie so oft zu spät.

Wenn drei Prestigeobjekte in einer Hand versammelt sind, wird die Runde noch fertig gespielt (möglicherweise schafft noch jemand dasselbe im letzten Zug), wer danach drei Schlösser besitzt, wird zum Freiherrn (Baron) ernannt, und gewinnt das Spiel. Bei mehreren Baronanwärtern siegt derjenige von ihnen mit dem meisten Geld.

 

„Der Markt von Alturien“ ist leider kein aufregendes Spiel. Die Enttäuschung beginnt schon mit dem Spielmaterial (Spielregel und 6 Kurzspielregeln, Spielplan, 2 Würfel [mit den Zahlen 1 bis 5 sowie 1/2/3], 7 Spielfiguren aus Kunststoff [6 Kunden und Dieb], 72 Häuser in 6 Farben aus Kunststoff, 6 Karten „Marktführer“, 14 Karten Prestigekauf, 1 Karte „Stadtwache“, 12 Investitionskarten [4 Sorten], Spielgeldscheine in den Werten 1, 2, 5, 10 Real). Die Verpackung hat ein seltsames Format, das weder durch ihr Innenleben noch durch ausführlichen Text auf dem Karton gerechtfertigt würde. Das Spielfeld faltet sich ebenso wenig zur Umhüllung passend zusammen und rutscht beim Transport hin und her, trägt also nicht dazu bei, dass die Komponenten nicht stets völlig durchgemischt werden. Über die knalligen Farben der Häuschen könnte man noch hinwegsehen, aber leider sind sie weder von hübscher Form, noch von bester Machart. Als Geschäftskontore übereinander gestapelt, wanken und schwanken sie bedenklich. Die graphische Gestaltung des Spielkartons wirkt ansprechend, diejenige der Spielkarten leider gar nicht, der Spielplan rangiert irgendwo dazwischen, das Spielgeld hinwiederum ist völlig missglückt – selbst Geldscheine in alten DKT-Ausgaben waren aufwändiger geschnitzt. Im Gegensatz dazu erfreuen die Spielfiguren das Auge (Personen im Stil des XV. oder XVI. Jahrhunderts, erinnern ein bisschen an reiche niederländische oder Hamburger Handelsherren, so genannte Pfeffersäcke, nur schlanker – übrigens gilt Gleiches für den Dieb), auch wenn moniert wurde, dass es sich ausschließlich um Herren der Schöpfung handelt. Vielleicht wollte man sich dem Vorwurf geschlechtsbezogener Klischees (Frauen = Kampfsportshopping) gar nicht erst aussetzen. Weit weniger variantenreich kommen die Spielkarten daher. Ob das Honorar des Illustrators wirklich so hoch lag und pro Entwurf berappt werden musste, dass sage und schreibe alle zwölf Prestigekarten dasselbe Schloss zeigen, bleibe dahingestellt, für Investitions- und Marktführerkarten gilt ähnliches in abgemilderter Form. Auch hätte man sich ein mehr an Phantasie gewünscht – wenn es schon um Märkte geht, wüsste man doch gerne, was da verkauft wird. Am Hafen Fisch, beim Dom Tuche, unter den roten Baldachinen Fleisch – das alles bleibt der Vorstellungskraft oder der Laune der Spieler überlassen.

Das Regelheft umfasst 6 Textseiten, was mehr als ausreichend ist, bedient sich aber oft ungeschickter Formulierungen. So verwirrt zum Beispiel die Unterscheidung zwischen Geschäft, Handelshaus und Marktstand, obwohl die Bedeutung in der Spielsituation selbst klar ist. Marktstände sind auf dem Spielfeld aufgemalt, Geschäft sollte die Gesamtheit (1 bis maximal 12) der an einem Straßenfeld aufgebauten Plastikhäuschen sein, Handelshaus das einzelne Plastikmodell. Doch diese Nomenklatur wird nicht durchgehend aufrechterhalten, bisweilen findet sich das wenig konkrete Wort „Haus“.

Der Spielmechanismus ist erstaunlich schlicht und extrem vom Würfelglück abhängig.  Mit einer einzigen Ausnahme, nämlich beim Start des Diebes, dürfen niemals mehrere Figuren auf demselben Feld stehen. Obwohl die Personen jeweils eine eindeutige Zugrichtung haben (an der Pfeilform des Standfußes abzulesen) und diese nicht ändern dürfen, können sie doch so leicht auf Kreuzungsfeldern abbiegen, dass meist schon zwei Züge später die Umkehr vollzogen sein wird. Bei jedem Testdurchlauf waren binnen weniger Runden manche Stadtsechstel verweist, während sich in anderen Kontor auf Kontor türmte und Kaufhaus neben Kaufhaus drängte. In die leergefegten Glasscherbendistrikte verirrte sich folgerichtig nicht mal mehr Gustavo, der Dieb.

Selbst die eigens beim Testen aufgestellte Regel, dass jedes Würfelergebnis nur die maximale Zugweite angibt, also nicht ausgefahren werden muss (nur wer „1“ würfelt, hat keine Wahl), vermochte weder das taktische Element noch die Spannung zu steigern.

Das vom Verlag vorgeschlagene Einstiegsalter (ab 10 Jahre) scheint eindeutig zu hoch gegriffen, schon Menschen, die bis zwölf zählen können, werden vermutlich beim Spielen nicht in allzu großes Fiebern verfallen.

 

Martina & Martin Lhotzky

 

Überblick

 

Spieler:        2 – 6

Alter:           ab 10 Jahren, eher ab 8

Dauer:         60 bis 80 Minuten

 

Autor:          Wolfgang Kramer

Grafik:         Ingo Anlauff, Eckhard Freytag

Vertrieb:      Fachhandel

Preis:           ab 25,00 €uro

Verlag:         Pro Ludo 2007

         www.proludo-spiele.de/

 

Bewertung

 

Genre:                   Familienspiel

Zielgruppe:            Kinder bis zum Backfischalter

Mechanismus:        Würfeln, Figuren ziehen

 

Strategie:               **

Taktik:                  **

Glück:                   *****

Interaktion:            **

Kommunikation:     **

Atmosphäre:          *

 

Kommentar:

sehr einfach gestrickt

teilweise billige Ausstattung

 

Vergleichbar:

City

 

Martina und Martin Lhotzky:

Der Spielmechanismus ist erstaunlich schlicht und extrem vom Würfelglück abhängig, es kommt keine große Spielspannung auf.