Raja – Palastbau in Indien

 

Der Ort dieses strategischen Brettspiels liegt im Nordwesten des Subkontinents Indien, genauer gesagt in der Provinz Rajasthan. Auch den von Kunst und Kultur weniger faszinierten Europäern können die „hinreißend schönen Bauwerke, Tempel, Moscheen, Paläste, Festungsanlagen und Mausoleen“ Indiens nicht so ohne weiteres unberührt lassen.

In diesem taktisch-strategischen Entwicklungsspiel schlüpfen Sie in die Rolle eines angesehenen, mittelalterlichen Fürsten, der als Provinzherrscher bestrebt ist, der erste unter den Günstlingen des Maharadschas zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen prächtige Paläste und Häuser errichtet werden, dies allerdings unter ständiger, fast erstickender Geldnot. Empfinden Sie in einer auf eineinhalb bis zwei Stunden angelegten opulenten Spielanlage das Dilemma der damaligen Fürsten nach und sichern Sie sich durch geschicktes Taktieren, Bluffen und Handeln die zum ersten Fürstenrang nötigen Palastbauten.

 

Der ausladende Spielplan klassischer Manier zeigt in schräger Vogelperspektive sieben indische Städte, jeweils mit Stadtmauer und einem Kuppelsymbol für sieben Paläste ausgestattet. Durch spinnenartige Wegnetze, an denen sich jeweils ein bis zwei Dorfanger schmiegen, werden die Städte des Maharadschas zusammen gehalten. Wo immer sich der Maharadscha gerade aufhält, werden Sie, die Fürsten, für Ihre mühevoll errichteten Paläste und Häuser reichlich belohnt. Sieben unterschiedliche Stadtwappen, die am Rand des Spielplans offen ausliegen, geben den Besuchsplan des Maharadschas und damit auch den Ablauf der Wertungen vor. Neben dem Spielplan lagert eine Reserve an Häusern und Geld. Dazu kommen sechs (in der Profiversion sieben) Vertraute, die die jeweiligen Fürsten mit ihren speziellen Fähigkeiten unterstützen. 

 

Zunächst erhält jede Spielerin/Fürst einen Architekten, den sie zur Lagebesprechung zusammen mit dem Maharadscha in eine schmucklose Ausgangssiedlung stellt. Dazu bekommen die Spielerinnen 15 Goldmünzen, vier Häuser, sieben Paläste, eine Aktionsscheibe, sowie eine Kurzspielregel. Vor dem  eigentlichen Spiel werden die vier Häuschen reihum in freier Wahl in die Dörfer platziert. Dies allerdings mit dem Hintergedanken, den eigenen Architekten möglichst kostengünstig in die aktuelle Stadt des Maharadschas zu bewegen. Reisen ist in diesem Spiel nur möglich, wenn alle Dorfplätze auf dem Weg zu einer Stadt besetzt sind. Für jedes fremde Dorf muss zudem eine Goldmünze Wegzoll bezahlt werden. Bei der permanenten Kostenknappheit ein bisweilen entscheidender Nachteil. Die beiden tragenden Spielelemente sind allerdings die sechs (in der Profivariante sieben) Vertrauten, von denen sich zu Spielbeginn jeder Fürst einen anwerben kann, sowie die in geheimer Planung einzustellenden Aktionsscheiben. In aufsteigender Zahlenfolge erlauben die sechs Vertrauten (Personenkarten) den Spielerinnen ihre Spielzüge durchzuführen. Wer also die Nr.1, den Großfürst, wählt, zieht zuerst. Dies ist nicht immer von Vorteil, zugegeben. Je höher die Nummer, desto stärker sind die speziellen Fähigkeiten der Vertrauten. Der Händler (Nr.2) bringt ein Goldstück, der Priester (Nr.3) erhöht die Mächtigkeit eines Palastes, der Wanderer (Nr.4) reduziert die Reisekosten, der Unternehmer (Nr.5) erlaubt den Bau eines zusätzlichen Hauses, und der Baumeister (Nr.6) verringert die Baukosten eines teuren Palastes um ein Viertel der Kosten. Im Falle eines Gleichstandes bei den Wertungen, bei denen Goldmünzen zu holen sind, entscheiden wieder die niedrigeren Vertrauten zugunsten der jeweiligen Spielerin. Besonders originell sind die verschraubten Aktionsscheiben, auf denen geheim aus neun Aktionsmöglichkeiten zwei gewählt werden dürfen. Wer die Wahl hat, hat bekanntlich die Qual. Hier werden Spiele verloren oder gewonnen, hier werden die Fürsten ihre Schläue und Blufffähigkeiten einzusetzen wissen. Hier aber entstehen bisweilen auch große Längen im Spiel. Dazu mehr weiter unten.  

 

Raja geht im Maximalfall über zehn Spielrunden. Der Ablauf ist klar strukturiert, wenn auch für die Spielerinnen nicht immer einfach umzusetzen. Eine Spielrunde besteht aus vier Schritten: (1) Der Maharadscha und ein Stadtwappen werden in die zu wertende Stadt versetzt. (2) Die Spielerinnen stellen geheim zwei Aktionen auf der Drehscheibe ein. (3) Entsprechend der Nummer der Vertrautenkarten werden die Aktionen ausgeführt und dabei die Architekten (Spielfiguren) bewegt. Und (4) Die Stadt des Maharadschas wird gewertet. Dies klingt sehr einfach und ist es auch, technisch gesprochen. Die Tücke liegt jedoch im Detail. Da Goldmünzen aus der Bank sowie neue Häuser aus dem allgemeinen Vorrat (Steinbruch) genommen werden, vorhandene Häuser gebaut und versetzt, Paläste errichtet, die Wertungsreihenfolge der Städte verändert, sowie neue Personenkarten gewählt werden dürfen, ergibt sich eine beachtliche taktisch-strategische Spieltiefe.

 

Genau an diesem Punkt war bei unseren Spielrunden die Meinung über dieses immerhin auf die Nominierungsliste 2004 gesetzten Spiels des bekannten und erfolgreichen Autorenteams Kramer/Kiesling sehr geteilt. Einerseits besticht der sehr klar strukturierte Ablauf, andererseits ist selbst bei nur zwei Aktionen, die auf den Scheiben eingestellt werden, ein immenser Unterschied zwischen entschlusskräftigen und eher zaudernden Spielerinnen zu bemerken. Der Grund liegt auf der Hand: Es muss einfach genau gerechnet werden. Wie viele Wertungspunkte sind in der aktuellen Stadt für mich und die potenziellen Mitstreiterinnen möglich? Habe ich genug Geld, um die beiden Aktionen zum Zeitpunkt meiner Spielaktivität überhaupt umzusetzen? Man darf nicht vergessen, ein Haus kostet eine bescheidene Goldmünze, ein Palast dagegen exorbitante zwölf Goldstücke. Auch die Frage, welche Stadt das nächste Ziel des Maharadschas wird, ist abzuwägen. Es ist immer zu befürchten, dass eine der Mitspielerinnen die Wertungsreihenfolge ändert. Während dieser Konzentrationsübung gibt es für Schnelldenkerinnen doch beträchtliche Wartezeiten. Und eine kleine Unachtsamkeit kann nur allzu leicht dramatische Spätfolgen nach sich ziehen. Die Goldmünzeneinnahmen bei der Wertung sind nämlich gestaffelt, abhängig von der Wertungspunktezahl, die jede Spielerin erreicht. Hier gilt es, den Architekten, Häuser und teure Paläste zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle zu platzieren. Wer also in seiner Aktionsumsetzung geschlampt hat, wird spätestens zu diesem Zeitpunkt bestraft. Für Spielerinnen, die gerne an anspruchsvollen, abendfüllenden Spielrunden teilnehmen und die zudem ein ähnliches „Spieltempo“ gewohnt sind, ist Raja sehr zu empfehlen, besonders wenn vier oder fünf Fürsten um den Tisch Platz nehmen. Bei zwei und drei Spielerinnen, für die Raja der Anleitung entsprechend ebenso geeignet ist, entfaltet sich die Dynamik deutlich weniger, trotz der in der Spielregel empfohlenen Profiversionen mit einem zusätzlichen Vertrauten (dem Yogi), der eine dritte Aktion im Spielzug erlaubt, spezieller Versteigerung der Startpersonenkarten, einer dem jeweiligen Vertrauten zugeordneten Heimatstadt, sowie die Zuteilung mehrerer Vertrauter an jede Spielerin. Der besonders reizvolle Rollentausch dieser Personenkarten kommt eben nur bei voller Besetzung zum Tragen. Eine entscheidende Frage ist der Wunsch nach einer weiteren Partie. In unserer Spielgruppe war hier eher eine gewisse Reserviertheit zu bemerken. Zu erschöpft waren alle Spielerinnen nach den fast obligaten Zweistundenwanderungen durch den Nordwesten Indiens. Außerdem ist es in einigen Partien passiert, besonders bei zwei oder drei Spielerinnen, dass sehr früh klar war, wer als erste das eigentliche Spielziel, alle sieben Paläste zu bauen, erreichen wird. Auch wenn es bisweilen noch einen Umsturz gab, so war dies nicht unbedingt auf exzellente strategische Planung zurückzuführen, sondern auf die Zufälle des Bluffens in der Scheibeneinstellphase. Vielleicht sollte ich auch erwähnen, dass Raja nicht mit einem Paukenschlag gewonnen wird, sondern einfach jede Spielerin sich dem Ziel buchstäblich „Palast um Palast“ nähert. Eine gewinnt dann - eher still vor sich hinarbeitend. Für manche Raja-Fans ist dies kein Problem, für andere wiederum fehlt der ersehnte Höhepunkt.

 

Was sollten Sie tun, um als ehrgeiziger Fürst  die Gunst des Maharadschas zu erlangen? (Die männliche Form ist der leider nicht in geschlechtsneutraler Form gehaltenen Regel entnommen.) Vorweg, es gibt glücklicherweise keinen strategischen Generalplan, daher kann durchaus auch ein Neuling gewinnen. Allerdings haben sich in unseren Spielrunden für neue Spielerinnen neben der Erklärung der sehr gut illustrierten Regeln einige selbst erarbeitete Tipps sehr bewährt: (1) Versuchen Sie um jeden Preis mindestens ein bis zwei größere Paläste in den Stadtzentren zu bauen. Die Kosten sind gleich hoch wie bei den Randanlagen, die Wertungspunkte verdreifachen sich jedoch. (2) Ändern Sie bisweilen, für die Mitstreiterinnen hoffentlich überraschend, die Wertungsreihenfolge der Städte. (3) Besetzen Sie mit Ihren Häusern die „einfachen“ Dorfplätze am Rand des Spielplans. (4) Denken Sie nicht nur an die unmittelbar anstehende Wertung, sondern zumindest einen Schritt darüber hinaus. (5) Vermeiden Sie ein leichtsinniges Überbewerten des Wanderers. Sie reisen zwar umsonst, die Mitbewerberinnen werden allerdings vom Bankhaus entlohnt. (6) Spielen Sie einige Partien in der Grundversion und bauen Sie die von den Autoren vorgeschlagenen Profi-Regelvarianten nur behutsam ein. Der Yogi (Nr.7) ist ungeheuer mächtig und verzerrt sehr leicht das Spiel.

 

Absolut überzeugend ist das Spielmaterial. Die Zeiger für die Wählscheiben werden, wie schon erwähnt, geschraubt. Damit gibt es kein Verrutschen und keine Diskussionen um die geheim eingestellten Aktionen. Jede Spielerin wird durch eine Kurzspielregel unterstützt, die alle Aktionen wie auch die Wertungspunkte in den Städten offen legt. Die Paläste bestehen aus bunten Glastropfen, die Häuser und Architekten (Spielfiguren) sind aus edlem Holz. Es ist optisch ein Genuss, eine Spielstellung zu betrachten. Wie schon so oft, hat Franz Vohwinkel ausgezeichnete Grafikarbeit geleistet. Erstaunt waren wir allerdings beim ersten Einräumversuch in die Spielschachtel. Es passt hier einiges nicht wirklich zusammen. Nun, der Verlag hat mittlerweile zugegeben, aus Kostengründen einen Standardeinsatz verwendet zu haben. Das Spielgeschehen bleibt davon unberührt.

 

Mein persönliches Fazit: „Raja – Palastbau in Indien“ ist ein Spiel der Polaritäten. Einerseits haben wir es mit einem hochkomplexen und anspruchsvollen Abendfüller zu tun, andererseits ist Raja dank der klaren Ablaufstruktur einfach zu spielen. Mit Rollenkarten, geheim eingestellten Aktionsscheiben und dem Tausch der Vertrauten findet sich ein durchaus origineller Mix an Mechanismen, gleichzeitig sind aber alle Komponenten bereits aus anderen Spielen bekannt. Optisch ist Raja fantastisch ausgestattet, jedoch muss das Spielmaterial in einen unbefriedigenden Schachteleinsatz geschlichtet werden. Atmosphärisch fesselt dieses Kramer/Kiesling-Produkt vom ersten Moment an, allerdings lässt die Dramaturgie keine wirklich überzeugende Steigerung zum Spielende hin zu. Raja ist gut und hat zweifellos seinen Platz unter den gewichtigen Neuerscheinungen dieses Jahres, wovon auch bereits die Nominierung zum Spiel des Jahres 2004 zeigt, allerdings erlaubt es meiner Einschätzung nach nicht den Spannungsbogen, der es zum nachhaltig

wirkenden Klassiker werden lassen könnte. Ein Muss für Liebhaber und Experten, ein Kann für den Gelegenheitsspieler und die Familie, ein „Leider nein“ für den auf schnellen Spaß orientierten „Bier-und-Brezel“-Typ.

                  

Das Spiel eignet sich aufgrund seiner einfachen Regeln und des Ablauf des Spiels, hervorragend um am Beginn eines Abends für eine witzige Stimmung zu sorgen.

 

Hugo Kastner

hugo.kastner@chello.at

 

Spieler:                 2-5

Alter:                    ab 12 Jahren

Dauer:                  90 – 120 Minuten

Verlag:                  Phalanx Games 2004

                            www.phalanxgames.nl

Autor:                   Wolfgang Kramer, Michael Kiesling

Grafiker:               Franz Vohwinkel

Preis:                    ca. € 40

 

Genre:                  Entwicklungsspiel

Zielgruppe:            Experten und Freunde, eventuell Familie

Mechanismus:        Reisen und bauen

Strategie:               ***

Taktik:                  ****

Glück:                   ***

Interaktion:            ***

Kommunikation:     *

Atmosphäre:          *****

 

Kommentar:

Nominierung zum Spiel des Jahres 2004

Hervorragende Ausstattung

Vielschichtige Spielelemente

Bisweilen lange Wartezeiten

Sehr konzentriertes Spielen nötig

 

Hugo Kastner: Raja bietet viel für den erfahrenen Spieler. Der Einsteiger muss mit einer längeren Eingewöhnungsphase leben. Vier bis fünf  Freunde sollten in jedem Fall um den Tisch sitzen, um alle Spielelemente optimal zu nutzen.

 

Wenn Ihnen Tikal oder Java gefällt, wird Ihnen auch Raja zusagen.