UNSERE REZENSION

 

Nieder mit dem Finanzkapitalismus!

 

Spectaculum

 

Billig einkaufen, teuer verkaufen

 

Wohl alle, die bereits mehrere Jahrzehnte Brettspielpraxis aufweisen, haben auch das „Börsenspiel“ (von F. Murray und S. Spencer, Ravensburger) kennen gelernt. Dabei soll man mit Aktien sein Glück – natürlich im Sinne des meisten Geldes – machen, wobei die Mitspieler die vier verschiedenen Aktien-Kurse durch Handkarten beeinflussen. Damals war es auch im allgemeinen Bewusstsein moralisch noch gänzlich unbedenklich, ohne Rücksicht auf (fremde) Verluste Kursschwankungen nicht bloß auszunutzen, sondern sogar selbst zu verursachen, und dadurch die Mitspieler (bzw. die Allgemeinheit) vielleicht in den Ruin zu treiben. In der öffentlichen Meinung der letzen Jahre hat das Image eines derartigen Verhaltens jedoch Kratzer bekommen – obgleich sich inhaltlich natürlich nach wie vor nichts geändert hat; man macht das jetzt nur etwas stiller und schreit seinen auf diese Weise erzielten Profit nicht mehr so laut heraus. Auch bei Brettspielen ist dieser Bewusstseinswandel zu bemerken: So genügt es etwa bei „Hab & Gut“ (von Carlo A. Rossi, Winning Moves) für den Sieg nicht mehr, an der Börse der Reichste zu sein; vom derart erzielten Erlös muss auch ausreichend viel gespendet werden, andernfalls scheidet man als „Geizigster“ aus der Bestenliste aus. Die permanente Finanzkrise ist wiederum sehr gut (und in satirischer Weise) in „Schwarzer Freitag“ (von Friedemann Friese, Kosmos) umgesetzt: Rechtzeitiges Aussteigen aus dem Aktien-Wahnsinn und Flucht in Gold und Silber ist hier das Gebot der (Spiel-)Stunde!

 

Und was hat das mit „Spectaculum“ zu tun? Gemäß dessen Einleitung soll sich hier doch alles um die „bunte Welt der Wahrsager und Schlangentänzer“ drehen. Tatsächlich haben wir damit aber die vorerst letzte Stufe der Transformation des Aktienspiel-Genres erreicht. Dem Verlag dürfte es anscheinend derart peinlich gewesen sein, in der aktuellen Zeit ein weiteres Spiel um Aktienspekulationen – verbunden mit dem entsprechend schlechten Image – heraus zu bringen, dass dem Spielgeschehen ein völlig absurdes bzw. unpassendes Thema aufgesetzt wurde. Das führt leider auch dazu, dass die kurzen und grundsätzlich sehr einfachen Regeln aufgrund der nun anderen Formulierungen erst beim zweiten Mal Lesen verständlich werden. Denn was soll es bitte bedeuten, „einen Gaukler in seine Gunst aufzunehmen“ bzw. einen „Gaukler aus seiner Gunst zu entlassen“? Übersetzt ist es hingegen ganz einfach: Ich kann eine Aktie kaufen und/oder eine Aktie verkaufen. Diese Aktien gibt es in vier verschiedenen Sorten bzw. Farben. Die Grafik der Karten mit witzigen Wortspielen (zu den diversen Gauklern) ist recht nett gelungen, dafür aber nicht unterscheidungskräftig genug ausgefallen. Nachdem sich der Wortwitz abgenutzt hat, verwendet man also am besten die Rückseiten der Karten, dann gibt es keine Missverständnisse mehr.

 

Anders als sonst gelöst sind hier die Möglichkeiten, wie die Mitspieler die Aktienkurse beeinflussen können. Dafür werden zu Beginn auf dem Spielplan zufällig und offen rund 50 Plättchen verteilt, auf denen zumeist Werte von +3 bis -3 aufgedruckt sind. Wie nicht schwer zu erraten bedeutet etwa ein Plättchen +2, dass der Kurs einer Aktie um zwei Felder steigt (hier formuliert als: „Das Ansehen der Gauklertruppe steigt um 2“). Außerdem gibt es noch einige Plättchen, mit denen sofort pro Aktie zwei Dukaten entweder als Dividende ausbezahlt werden oder als Strafe an die Bank einbezahlt werden müssen (hier formuliert als: „Zahltag“ bzw. „Seuche“). Strafzahlungen können für Mitspieler sogar einen Liquiditätsengpass und – damit verbunden – zwingend einen verlustträchtigen Notverkauf erfordern; weshalb man natürlich tunlichst versuchen wird, ein derartiges Ereignis auszulösen, um seine Mitspieler zu ärgern. Selber sollte man jedoch vorsorglich stets über eine ausreichende Barreserve verfügen, um genau das vermeiden zu können.

 

Und wie treten die Auswirkungen dieser Plättchen in Kraft? Dazu zieht jeder pro Runde zufällig drei Holzsteine aus einem Beutel und platziert diese auf dem Spielplan. Diese Holzsteine gibt es in den vier Farben der Aktien und sie werden quasi straßenartig an gleichfarbige Steine angelegt. Gelange ich derart etwa mit einem roten Stein auf ein -1-Plättchen, sinkt der Kurs der roten Aktie – und damit deren aktueller Wert – um ein Feld. Das werde ich also wohl nicht machen, wenn ich selber rote Aktien besitze, außer ich kann eine rote Straße damit zu einem dahinter liegenden positiven Plättchen verlängern. Insoweit sind die Spielmechanismen bzw. die spielerischen Überlegungen eher banal; überwiegend hängen die eigenen Aktionen außerdem von dem glücksbetonten Nachziehen der drei Holzsteine pro Runde ab. Die wenigen taktischen (bzw. spekulativen) Überlegungen ergeben sich daraus, dass aus der Verteilung der Plättchen auf dem Spielplan eventuell abgeleitet werden kann, welche Aktien kurz- bis mittelfristig eher steigen und welche eher fallen dürften. Wenn ich aber meinem Nachfolgespieler beispielswiese eine Vorlage für den gelben Aktienkurs mache, weil wir beide gelbe Aktien besitzen, und dieser hat blöderweise gerade keinen gelben Holzstein in der Hand, dann nützt das auch nichts.

 

Durch die Beschränkung auf nur zwei Aktienaktionen pro Runde ergibt sich spielerisch eine weitere etwas unbefriedigende Situation: Sobald ich über zwei oder mehr Aktien einer Farbe verfüge, habe ich nicht gar so viel Interesse daran, den Kurs dieser Aktie zu verschlechtern, weil das ja auch mich selber trifft (außer die Mitspieler würden noch mehr darunter „leiden“). Außerdem verhindert jede verkaufte Aktie den Ankauf einer anderen, sodass alle nur sehr unflexibel bei einer gewünschten Umstellung des jeweiligen Portefeuilles reagieren können. Immerhin ist eine Partie recht flott heruntergespielt und man kann sich währenddessen über gelungene eigene Aktionen freuen, über ungünstige Kursverläufe ärgern und vor allem auch ein wenig seine Mitspieler schikanieren. Die Anleitung bietet noch eine taktische Variante an, in der für die drei pro Runde zu platzierenden Holzsteine stets eine Auswahl aus vier Steinen zur Verfügung steht. Diese kleine Änderung macht das Spiel doch interessanter, zumindest hat man damit eher das Gefühl, etwas beeinflussen zu können. Außerdem ist damit ein Anstieg der spielerischen Entscheidungsmöglichkeiten um gleich 33 % verbunden! Welches andere Brettspiel kann noch mit einer derartige „Rendite“ aufwarten?

 

Harald.Schatzl@spielen.at

 

Spieler: 2-4

Alter: 8+

Dauer: 30

Autor: Reiner Knizia

Grafik: Marc Margielsky

Preis: ca. €  24,00

Verlag: eggertspiele / Pegasus 2012

Web: www.pegasus.de

Genre: Kartensammelspiel

Zielgruppe: Für Familie

Version: de

Regeln: de en fr

Text im Spiel: nein

 

Kommentar:

witzige Karten-Grafik

kurze Anleitung

eher wenig beeinflussbar

 

Vergleichbar:

Alle Aktienspiele mit hohem Glücksanteil

 

Andere Ausgaben:

Oya, Frankreich; R&R Games, USA

 

Meine Bewertung: 3

 

Harald Schatzl:

Ein Aktienspiel im „falschen“ Gewand, zwar einfach und flott gespielt, doch nur mit einem eher geringen Spielreiz. Bereits für die erste Partie ist die taktische Variante zu empfehlen, das sollte „Spectaculum“ auch für die Zielgruppe interessanter machen.

 

Zufall (rosa): 2

Taktik (türkis): 1

Strategie (blau): 0

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 2

Interaktion (braun): 3

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0