UNSERE REZENSION

 

Auf zu fernen Gestaden

 

Archipelago

                           

Inseln entdecken, besiedeln, bewirtschaften

 

„Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ (Antoine de Saint-Exupery)

 

Ein bekannter Satz eines berühmten Mannes. Diesem Motto haben sich schon Jahrhunderte vorher viele verpflichtet gefühlt. Männer wie Columbus, Cook, Magellan, Vasco da Gama und viele andere. Speziell Portugiesen waren führend in der Entdeckung. Ein Großteil fand im 15. und 16. Jahrhundert statt. Aber es gibt noch heute unentdeckte Archipele und wir sind berufen, diese weißen Flecken in der Landkarte zu finden. Davon handelt dieses Spiel.

 

Ich hoffe ich habe euch ausreichend Appetit gemacht. Also fangen wir an.

Vorerst aber zum Material. In einer kompakten Box im quadratischen Kosmos-Format befindet sich ein bemerkenswertes und durchdachtes Inlay mit 15 Vertiefungen und einem herausnehmbaren Teil. Dies dient praxisgerecht der Plättchen und Würfel während des Spiels. Wenn man das Spielmaterial aus den Stanzbögen gelöst hat, kann man die unnützen Teile unter dem Inlay verstauen und schafft damit eine mit dem Rand der Schachtel plane Oberfläche, die den Zugriff erleichtert. Neben den in fünf Farben gehaltenen Spielfigurensatz mit je 10 Bürgern (Carcassonne-Meeples), 4 Schiffen, 1 Spielstein und 5 Aktionsscheiben gibt es einen passenden Sichtschirm. Auf diesem sind die Baukosten, Steuereinnahmen sowie die 6 Phasen eines Rundenablaufs gedruckt. Es gibt noch 3 10-teilige Kartensets auf die ich noch später eingehen werde, eine Entwicklungsleiste mit Spielerreihung und 4 Spielpläne, der lokale Markt, der Exportmarkt, der Stabilitätsplan der Kolonie sowie der Arbeitsmarkt. Die Spielgeldmünzen werden Florin genannt, eine Währung die heute noch gehandhabt wird, nämlich in Aruba. Hier ist aber sicherlich die im Mittelalter verwendete Goldmünze gemeint. Außerdem findet man doppelseitig mit Markt, Hafen, Stadt und Tempel bedruckte Plättchen sowie Entdeckerscheiben, die später auch als Joker für Ressourcen dienen. Wesentlich sind 25 ebenfalls beidseitig bedruckte sechseckige Archipelplatten und ein Aktionsrad. Auf den Platten sind neben den Landschaften, Hütten und verschiedene Ressourcenplätze zu sehen. Die bereits erwähnten Ressourcen werden durch 6 Sorten verschiedenfarbige Würfel dargestellt. Es gibt Fische (blau), Holz (braun), Stein (weiß), Eisen(schwarz), exotische Früchte(grün), und Rind (sollte rot sein laut Spielanleitung und Plan ist es aber orange). Weshalb es der Redaktion nicht gelungen ist rote Würfel aufzutreiben wird mir ewig ein Rätsel bleiben. 12 Trendkarten und 48 Entwicklungskarte mit der Vorderseite Krisenprävention, die auf ihrer Rückseite auch als Charakterkarten und Fortschrittskarten fungieren, vollenden die Fülle an Material. Somit sind wir bei der Spielvorbereitung.

 

Zu Beginn erhält jeder 2 Bürger, 1 Schiff und vorerst 3 Aktionsscheiben. Wenn 8 Archipele „entdeckt“ sind hat man pro Runde vier Scheiben zur Verfügung, und nach weiteren acht Archipelen fünf Scheiben. Die erste Spielerreihenfolge wird willkürlich ausgelost, in den nachfolgenden Runden aber mit Florin ersteigert. Jeder nimmt verdeckt eine Münzanzahl in die Faust. Derjenige mit dem höchsten Gebot bestimmt die Reihenfolge wobei die Festlegung durchaus verhandelbar ist und mit Bestechung gearbeitet werden kann. Alle gebotenen Florin (auch die der Unterlegenen) kommen in den Vorrat. Bei Gleichstand bleibt die aktuelle Reihung. Die vorhin erwähnten 3 Kartensets bestimmen die Spielzeitdauer, die zwischen 30 Minuten und 4 Stunden betragen kann. Nachdem man sich auf Zeit geeinigt hat, zieht jeder verdeckt eine Karte. Der Rest kommt aus dem Spiel. Nun wird es interessant. Auf jeder Karte ist nämlich eine andere Spielende-Bedingung gegeben. Sobald diese erreicht wird, endet das Spiel abrupt. Im Gegensatz zu z.B. Die Paläste von Carrara, wo das Ende für alle ersichtlich ist,  kennt man hier nur die eigene Möglichkeit, aber nicht die der Mitspieler. Damit ergibt sich manch Überraschungseffekt. Genauso wie das Spielende ungewiss ist, gibt es auch auf jeder Karte eine eigene geheime Siegpunktvariante, die bei Spielende auch für die anderen Teilnehmer maßgeblich ist. Es wird noch eine der 12 Trendkarten aufgelegt, welche eine für alle verbindlichen Siegpunkte bei Erreichung einer bestimmten Ressource oder Gebäudeanzahl anzeigt. Punkte gibt es allerdings nur für die ersten 3 der Wertung. Nun kommen noch 5 Entwicklungskarten die per Zufall an der Leiste positioniert werden.

 

Auf die Tafel „Lokaler Markt“ wird je ein Ressourcenwürfel pro Sorte gelegt. Jede Ressource kann in verschieden hoher Anzahl gehandelt werden. 4 Reihen pro Sorte zeigen dies an, wobei links von jeder Reihe der zurzeit gültige Preis steht. Einkaufs- und Verkaufspreise hängen nur von der Anzahl der Würfel im Markt ab. Angebot und Nachfrage bestimmen den Erlös oder Gewinn.

Auf der Tafel „Stabilität der Kolonie“ markiert ein weißes Männchen die zurzeit auf der Inselwelt eingesetzte Bürgeranzahl, wobei ein schwarzes Männchen (zu Beginn auf 0) das Rebellionspotential kennzeichnet. Letzteres steigt unter anderem wenn zu viele Arbeiter auf dem Markt sind (also Arbeitslosigkeit), aber auch wenn es zu viele Produkte einer Sorte gibt oder in Krisenzeiten wenn diese nicht positiv bewältigt werden. Damit sind wir beim Stichwort „Krise“. In jeder Runde muss eine Krisenkarte abgehandelt werden. Diese zeigt an, welche Produkte sowohl am lokalen Markt aber auch am Exportmarkt verlangt werden. Diese sollten von allen Spielern gemeinsam aufgebracht werden da bei Nichterfüllung das Rebellionspotential um die Anzahl der fehlenden Produkte steigt. Übertrifft dies die Anzahl der Bürger, gibt es einen Aufstand und das Spiel ist für alle verloren - mit einer Ausnahme: Es gibt eine Karte „Rebellionsführer“, die  - falls sie im Spiel ist – dem Besitzer den alleinigen Sieg bei dem „Unabhängigkeitskrieg“ zubilligt. Diese latente Bedrohung zwingt normalerweise die Teilnehmer, parallel neben ihrem Spielziel, zu kooperativer Spielweise.

 

Damit kommen wir nun endlich zum realen Spielverlauf. In die Mitte des Tisches kommt ein sechseckiges Meeresfeld, an dem jeder Spieler ein Archipelplättchen anlegt.  Zu Beginn kann er die Auswahl aus 3 Platten treffen, die 2 übrigen werden dann wieder in den Stapel gemischt. Ab jetzt kommt im weiteren Verlauf nur das oberste Stück des Stapels ins Spiel. Nach dem Anlegen platziert er sein Schiff und die 2 Bürger auf dem neuen Archipel. Sind darauf zwei oder mehr Ressourcenplätze abgebildet, so kommt davon ein Ressourcenwürfel auf den lokalen Markt und ein anderer hinter den eigenen Bildschirm. Falls nur einer vorhanden ist, profitiert nur der lokale Markt und man schaut selbst durch die Finger. Gleichzeitig erhält man aber ein Entdeckerplättchen. Sind auf dem Archipel auch Hütten zu sehen, so wird der Arbeitsmarkt um diese Anzahl erhöht.

In der ersten Runde entfallen die nächsten 2 Phasen und es kommt gleich das Kernstück, nämlich das Aktionsrad mit seinen 14 Möglichkeiten, zum Tragen.

Beginnen wir mit der „Ernte“. Es gibt, wie man weiß, 6 Produkte zur Auswahl. Man legt also eine seiner Aktionsscheiben auf die gewünschte Ressource und einen seiner Bürger auf den entsprechenden Platz am Archipel. Damit ist ein Würfel dieser Farbe gesichert.

Wählt man das Feld „Bauen“ so kann man eines der 4 Bauwerke errichten oder ein Schiff bauen, sofern man den erforderlichen Preis aufbringen kann. Was bringt einem das? Nun, Schiffe ermöglichen den Transport von Bürgern auf andere Inseln. Der Markt erlaubt 2 Aktionen auf dem lokalen Markt und der Hafen dasselbe am Exportmarkt. Mit der Stadt hat man die Kontrolle über den gesamten Archipel. Fremde Spieler, die hier Ressourcen nutzen wollen, müssen um Erlaubnis fragen und dieses Privileg eventuell durch Verhandlungen abkaufen. Auf einem Archipel mit einem Tempel gibt es keine Rebellion.

Das Feld „Handelshaus“ erlaubt den Kauf oder Verkauf einer Ressource entweder auf dem lokalen oder Exportmarkt.

Das „Migrationsfeld“ erlaubt den Wechsel all seiner Bürger oder der Schiffe in den benachbarten Archipel.

Entschließt man sich auf „Entdeckungsreise“ zu gehen sind folgende Einschränkungen zu beachten. Es ist das oberste Archipelplättchen vom Stapel zu nehmen ohne die Rückseite zu kennen. Bei der Anlage muss es an 2 andere Platten angrenzen und dabei natürlich die entsprechenden Landschaften fortsetzen. Außerdem muss aus dem benachbarten Inselplättchen ein aktiver Bürger oder ein Schiff eigener Farbe in das Gebiet versetzt werden können. Falls dies nicht gelingt, ist die Entdeckung fehlgeschlagen und die Platte kommt auf die Ablage.

„Steuereinnahmen“ sind pro Runde auf drei Teilnehmer begrenzt und bringen Florin pro Bürger, Schiffe, Städte und Tempel. Kein Wunder, dass dies die Bevölkerung aufregt und das Rebellionspotential sofort steigt.

Das Feld „Reproduktion“ gestattet einem, falls zwei eigene Bürger auf einem Archipel stehen, einen dritten als Nachwuchs hinzu zu fügen. Damit ist allerdings die Maximalzahl der Einwohner pro Archipel in einer Farbe gegeben.

Schlussendlich kann man durch das Feld „Rekrutierung“ zum entsprechenden Preis Arbeiter erstehen und zu einem bereits vorhandenen hinzufügen.

„Markt“ und „Hafen“ werden in dieser Phase unabhängig von Aktionsscheiben mit Florin aktiviert. Es bedarf allerdings auch freier, aktiver Bürger auf dem entsprechenden Archipel.

 

Nun sind wir bei der letzten Phase, dem Kauf von Entwicklungskarten angelangt. Hier hat jeder Spieler zwei Möglichkeiten, entweder den Kauf einer Karte und Drehung einer weiteren um 90 Grad im Uhrzeigersinn, oder die Drehung von zwei der fünf Karten. Dazu muss man wissen, dass die Karten in 3 Ecken verschiedene Preise aufweisen und somit billiger werden. In der vierten Ecke steht ein Totenkopf. Dieser bedeutet, dass die Karte nach der dritten. Drehung aus dem Spiel genommen wird und durch eine neue vom Krisenpräventionsstapel ersetzt wird. Dadurch ändert sich natürlich auch der für die nächste Runde erforderlicher Ressourcenbedarf zur Krisenbewältigung. Auch hier gibt es eine Ausnahme, nämlich Krisenkarten mit rotem Hintergrund; diese sind sofort zu befriedigen ohne dass man sich darauf einstellen kann. Eventuell gekaufte Karten können erst in der nächsten Runde in der Aktionsphase eingesetzt werden. Dazu müssen sie allerdings erst aktiviert werden, laut den Kosten die auf der Karte stehen. Einige können auch von den Mitspielern genutzt werden wenn sie dem Besitzer zusätzlich 1 Florin bezahlen. Manche bringen bei Spielende extra Siegpunkte.

 

Abschließend  möchte ich die Phasen einer Runde noch einmal zusammenfassen.

- Deaktivierung: alle Ressourcen- und Entwicklungsfelder werden freigemacht und die Aktionsscheiben kehren zu ihren Besitzern zurück.

- Festlegung der Spielerreihenfolge.

- Anpassung bzw. Kontrolle der Bevölkerungseffekt.

- Krisenbewältigung: Alle Bürger werden umgelegt und erst nach Erfüllung der Nachfrage entsprechend aktiviert. Der Rest bleibt liegen und kann als Rebellen nicht für Aktionen eingesetzt werden.

- Das Aktionsrad

- Kauf bzw. Ersatz von Entwicklungskarten und damit neue Krisenbedingungen

 

Damit sind wir beim Spielende. Jetzt werden die einzelnen Siegpunktvorgaben der Spieler für alle schlagend. Genauso die Trendkarte und etwaige Punkte der Charakter- und Entwicklungskarten.

 

Obwohl ich mich sehr bemüht habe, der Fülle von Möglichkeiten gerecht zu werden gibt es noch einige unerwähnte Feinheiten und Varianten. Diese sind der ausführlichen Regel zu entnehmen. Nicht weniger als vier Nationen waren an dieser beteiligt, Frankreich, Schweiz, Kanada und Deutschland. Allein der Druck, der mit einer Kordel verbundene Pergamentblätter vorspiegelt, zeigt wie man versucht den Zeitgeist des Spiels einzufangen, und mit welcher Freude und Liebe zum Detail gearbeitet wurde. Die Optik und Gestaltung des Spielmaterials lässt keine Wünsche offen. Durch das Inhaltsverzeichnis am Ende der Spielregel kann man etwaige Unklarheiten während des Spiels sofort ausräumen.

 

Archipelago ist auf jeden Fall ein Spiel, an dem kein Vielspieler vorbei gehen kann und das sicher auf der nächsten Expertenliste aufscheinen sollte. Ich kann nur dringend empfehlen, das Spiel auszuprobieren. Übrigens - eine Solovariante ist bereits in französischer Sprache im Handel und ich warte schon ungeduldig auf die deutsche Übersetzung.

 

Rudolf Ammer

 

Spieler: 2-4/5

Alter: 14+

Dauer: variabel

Autor: Christophe Boelinger

Grafik: Vincent Boulanger, Ismael Pommaz, Chris Quilliams

Preis: ca. 60 Euro

Verlag: Ludically 2012

Web: www.ludically.com

Genre: Strategisches Worker Placement

Zielgruppe: Für Experten

Version: de

Regeln: de en fr

Text im Spiel: ja

 

Kommentar:

Semi-kooperativ

Fantastische Ausstattung

Gute, ausführliche Regel

 

Vergleichbar:

Entdecker sowie andere Worker Placement Spiele

 

Andere Ausgaben:

In französischer und englischer Sprache

 

Meine Einschätzung: 7

 

Rudolf Ammer:

Ein optisch herausragendes Spiel mit sehr vielen interessanten Komponenten, das in seiner Vielfalt an Caylus oder Puerto Rico erinnert.

 

Zufall (rosa): 1

Taktik (türkis): 2

Strategie (blau): 3

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 1

Interaktion (braun): 1

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0