Schiffe bauen und  Arbeiter ernähren

 

Le Havre

 

… und die ewige Frage ob sich das alles noch ausgeht

 

Autor: Uwe Rosenberg, Grafik: Klemens Franz, Verlag: Lookout Games; Das Team, das im letzten Jahr mit Agricola den ziemlich unumstrittenen Hit des Jahres herausgebracht und so ziemlich alle realistisch gewinnbaren Preise erhalten hat, setzt mit Le Havre, benannt nach Frankreichs zweitgrößter Hafenstadt, zum zweiten Streich an. Die Latte liegt hoch, ein Vergleich drängt sich auf. Der erste Blick auf die Schachtel zeigt gleich erste Parallelen. Die Größe ist gleich und auch die Gestaltung lässt auf den Anfang einer Serie hoffen. Und das will ich gleich vorwegnehmen, wenn es so weiter geht könnte sie sogar der legendären alea-Großschachtelserie der frühen 2000er ebenbürtig werden. Farblich diesmal weiß-blau statt orange-blau. Die Grafik lässt wieder unschwer den Klemens-Franz-Stil erkennen. Beim in die Hand nehmen fällt aber doch der erste Unterschied auf. Im Gegensatz zum Schwergewicht Agricola ist Le Havre geradezu normal schwer. Folglich sind innen nicht mehrere Sackerl mit unzähligen Holzspielsteinen, sondern nur eines mit gezählten 10 und die Spielkartenanzahl ist mit 110 geradezu zivilisiert. Leer ist die Schachtel aber trotzdem nicht, denn stattdessen sind diesmal zahlreiche Kartonstanzbögen mit haufenweise Marken drin. Außerdem hat Lookout wieder eine gut überlegte Anzahl an Zippsackerln beigelegt, was vor allem Leute wie mich, die sich noch keinen Vorrat dergleichen angelegt haben, freut.

 

Genauso flexibel wie bei Agricola verhält es sich wieder mit der Spieleranzahl. Vom gut funktionierenden Solospiel bis zur Fünfspielerpartie ist alles möglich. Zudem gibt es neben dem normalen Spiel für jede Anzahl auch ein Kurzspiel. Dieses ist im Gegensatz zum Familienspiel bei Agricola auch für Vielspieler eine echte Alternative. Bei großen Runden (4 oder 5 Spieler) oder zum Einstieg würde ich sogar dazu raten. Das Kurzspiel geht über weniger Runden, gibt den Spielern zum Anfang aber mehr Rohstoffe. Damit wird die zähe Anfangsphase des Normalspiels übersprungen, in der die Spieler kaum andere Möglichkeiten als Rohstoffe zu sammeln haben. Das einzige Spielelement, das wegfällt, sind die Sondergebäude. Von denen gibt es 36. Aber nur 6 von ihnen werden vor dem Spiel zufällig gezogen und spielen mit. Die übrigen kommen aus dem Spiel. Damit bieten sie eine gewisse Abwechslung, bringen aber im Gegensatz zu den Ausbildungen und Anschaffungen in Agricola, keinen zusätzlichen Spielreiz und sind durchaus verzichtbar.

Die Spielregel ist mit achteinhalb A4-Seiten zwar relativ lang, aber groß geschrieben und leicht verständlich. Der Grundmechanismus ist sehr einfach und schnell erklärt, zumindest wenn alles aufgebaut vor einem liegt. Der Aufbau ist ziemlich mühsam. Zuerst müssen die 420 Warenmarken der 9 verschiedenen Waren in entsprechende Vorratslager gestapelt werden und die Karten gemischt, aufgeteilt, sortiert und aufgelegt werden. Außerdem müssen die 7 Nachschubplättchen gemischt und verdeckt auf die vorgesehenen Felder gelegt werden. Auf jedem der Plättchen sind 2 Warenmarken aufgezeichnet. Wenn ein Spieler am Zug ist muss er sein Schiff (eine von 2 Holzfiguren in seiner Farbe die jeder Spieler erhält) auf das nächste Nachschubplättchen setzen und je eine angegebene Marke aus dem Vorrat in das Angebot legen. Für jede der Waren, die auf den Nachschubplättchen zu finden ist, gibt es ein Angebotsfeld. Dort sammeln sich die Marken an, bis ein Spieler sie nimmt (ähnlich wie in Agricola). Das Nehmen eines Angebotes zählt als Hauptaktion. Solch eine Hauptaktion kann jeder Spieler einmal machen, nachdem er den Nachschub gelegt hat. Alternativ zum Waren nehmen besteht die Möglichkeit eine Gebäudeaktion durchzuführen. Neben den schon erwähnten Sondergebäuden, die im Kurzspiel nicht mitspielen, gibt es normale Gebäude. Anfangs gibt es nur wenige im Besitz der Stadt. Im Laufe des Spiels können die Spieler selbst welche bauen und auch die Stadt baut noch welche. Die meisten dieser Gebäude erlauben den Spielern Aktionen durchzuführen. Das reicht vom Bauen von Gebäuden (nur so können Spieler welche bauen) oder Schiffen, über das erhalten bestimmter Waren, bis zum Umwandeln oder Verkaufen von Waren. Zum Umwandeln ist zu sagen, dass alle Marken zweiseitig bedruckt sind, auf der Vorderseite der Grundrohstoff, auf der Rückseite das verarbeitete Produkt. Mittels Gebäudeaktionen können all diese früher oder später umgewandelt, also umgedreht werden. So kann man sein Vieh, wenn man die Aktion des Schlachthofes nützt, in Fleisch umwandeln. Als Zusatzprodukt erhält man dabei noch Felle. Andere Umwandlungen erfordern  Energie, die man bezahlt indem man Holz oder Kohle abgibt, oder bringen zusätzlich Geld. In jedem Fall legt der Spieler seinen Personenstein (der 2. Holzspielstein den jeder Spieler erhält) auf das entsprechende Gebäude und bezahlt dafür dem Besitzer die auf der Karte angegebene Eintrittsgebühr, sofern er es nicht selbst besitzt.

Ein Gebäude auf dem ein Personenstein liegt kann von keinem Spieler genutzt werden, das Gebäude ist also blockiert bis der Spieler eine andere Gebäudeaktion nützt. Zusätzlich zur Hauptaktion kann ein Spieler auch Gebäude zum vollen Wert, der auf jeder Karte angegeben ist, kaufen, oder zum halben verkaufen, falls er dringend Geld benötigt.

 

Danach endet der Zug und der nächste Spieler in Sitzreihenfolge beginnt seinen Zug, indem er sein Schiff auf das nächste Nachschubplättchen legt, nachfüllt, eine Aktion macht, usw. Wenn ein Spieler seinen Stein auf das siebente und letzte Plättchen gelegt und seinen Zug beendet hat, endet eine Spielrunde. Dann wird die oberste Rundenkarte abgearbeitet. Die Spieler müssen nun die auf der Karte angegebene Anzahl an Nährwerte abgeben um die (imaginären) Arbeiter zu bezahlen. Diese Nährwerte können beliebig zusammengesetzt werden. Im Normalfall geben die Spieler Warenmarken ab, auf denen Nährwerte angegeben sind (z.B. Fisch oder Fleisch). Man kann aber auch mit Geld (Franc) bezahlen. Wer weder Geld noch Waren hat, muss einen oder mehrere Schuldscheine aufnehmen bis alle Arbeiter ernährt sind. Diese Schuldscheine können jederzeit für einen kleinen Mehrpreis zurückbezahlt werden. Wer sie dennoch bis zum Ende behält, erhält dafür Minuspunkte. Auf den meisten Rundenkarten ist zusätzlich eine Erntezeit vermerkt. In dieser vermehren sich Korn und Vieh der Spieler (Agricola lässt wieder grüßen). Außerdem kann durch ein Symbol angegeben sein, dass die Stadt ein Gebäude oder Sondergebäude baut. Ist die Karte abgehandelt, setzt der nächste Spieler das Spiel fort indem er sein Schiff wieder auf das erste Nachschubplättchen legt.

 

So läuft das Spiel bis alle Rundenkarten durch sind. Wie viele Runden das sind, hängt von Spieleranzahl und Variante (kurz oder normal) ab. Am Ende hat jedenfalls jeder Spieler die gleiche Anzahl von Aktionen durchgeführt, zwischen 50 im normalen Solospiel und 22 im Kurzspiel zu fünft. Dann kann abgerechnet werden. Es gewinnt wer am reichsten ist, es zählen Bargeld, Schuldscheine und Wert der Gebäude und Schiffe.

 

Die Grundregeln sind also relativ einfach, jedenfalls im Vergleich zu Agricola oder ähnlichen Spielen. Dennoch ist Le Havre alles andere als einfach und richtet sich wieder ganz klar an die Zunft der Vielspieler. Das Zusammenspiel der verschiedenen Aktionen ist zwar nicht wahnsinnig kompliziert und von geübten Spielern schon in den ersten Partie einigermaßen durchschaubar, auch da ist Agricola viel komplizierter, aber man muss das Sammeln, Umwandeln und Ausgeben der Waren gut planen, um mit den wenigen Aktionen auszukommen. Vor allem gegen Ende des Spiels, wenn die Spieler realisieren wie wenige Aktionen noch bleiben um das wertvolle Schiff noch zu bauen, die teuren Waren zu verkaufen und sich das sowieso nicht ausgeht, weil schon wieder einmal Energie fehlt. Und dann ist da noch der liebe Mitspieler, der das wichtige Gebäude just dann blockiert wenn man es selbst ganz dringend braucht. Wer nicht aufpasst, dem gehen schnell die Nährwerte aus, denn die gefräßigen Arbeiter wollen jede Runde mehr. Schuldscheine sind zwar nicht so schlimm wie die Bettelkarten in Agricola, man kann sie ja zurückzahlen, aber wollen tut sie trotzdem keiner. Insgesamt ist also auch hier wieder die Spielerfahrung ein wertvoller Vorteil.

 

Nach Uwe Rosenbergs Einschätzung und bisherigen Umfragen gefällt Le Havre den (Achtung: Englischer Ausdruck, aber mir fällt kein passender deutscher ein.) „Heavy Gamers“ sogar besser als Agricola. Es ist das geradlinigere Wirtschaftsspiel, bietet mehr Möglichkeiten seine Aktionen zu optimieren und bietet wohl auch die freiere Wahl der Strategie. Als Grundtendenz vielleicht richtig, ist das aber sicher nicht allgemein gültig. Mir selbst gefällt Agricola besser, die meisten die mich kennen würden mich aber als durchaus als „Heavy Gamer“ bezeichnen. Das liegt vor allem an der größeren Abwechslung die durch die Karten gegeben ist und daran dass Agricola vielschichtiger ist. Ein weiterer Punkt ist die Spieldauer, die bei Le Havre deutlich höher ist. Ein normales Zweipersonenspiel dauert gute 2 Stunden, bei 3 Spielern muss man schon mit 3 Stunden rechnen. Aber da kommt das Kurzspiel gerade recht. Wie schon erwähnt kann ich das durchaus empfehlen. Abgesehen vom kurzen Solospiel, das ist im Gegensatz zum normalen Solospiel recht langweilig, bietet es bei deutlich kürzerer Spieldauer einen kaum geminderten Spielspaß. So lässt sich dann eine Partie zu dritt dann auch in 2 Stunden spielen. Auf der ersten Seite der Regel findet sich übrigens eine Tabelle mit der Angabe der Spieldauer nach Spieleranzahl und Version. Da hat der studierte Statistiker Rosenberg ganze Arbeit geleistet, denn die Angaben stimmen erstaunlich genau.

 

Fans von komplexen Wirtschafts- und Aufbauspielen sollten, nicht nur wenn ihnen Agricola gefallen hat, auch Le Havre ausprobieren. Außerhalb der Zielgruppe wird es aber vermutlich weniger Freunde finden. Das Spielmaterial ist zwar hübsch, übersichtlich und praktisch, ich bewundere den Grafiker, wie er so viel Informationen in übersichtlicher Form auf die Karten gepackt hat, aber nicht ganz so putzig wie, vor allem das gepimpte, Agricola, was auch am trockeneren Thema liegen mag.

 

Kid                       

Family                  

Adult                    

Expert                   ein    

 

Alter                    

Spezial         1       

 

Spieler         1-5

Alter            12+

Dauer           100-200 min

 

Autor           Uwe Rosenberg

Grafik          Klemens Franz

Vertrieb       Heidelberger

Preis            ca. 35 Euro

Verlag          Lookout Games 2008

                   www.lookout-games.de

        

Genre                    Wirtschaftsspiel, Aufbauspiel

Zielgruppe             Für Vielspieler / Experten

Mechanismen         sammeln, bauen, ernähren, verkaufen

 

Zufall                     : 1

Wissen                  :

Planung                 : 7

Kreativität              :

Interaktion            : 3

Geschicklichkeit      :

Action                   :

 

Kommentar           

hübsche, übersichtliche grafische Gestaltung

umfangreiches Material

viele taktische und strategische Möglichkeiten

lange Spieldauer

                           

Vergleichbar:         

Agricola, Puerto Rico

 

Atmosphäre           : 7

 

Markus Wawra:

Nach den Spielen, die ich bisher ausprobieren konnte, stammt auch heuer wieder mein persönlicher Favorit des Jahrgangs aus Uwe Rosenbergs Feder: Le Havre ist ein wunderschönes komplexes Wirtschaftsspiel wie es sich Fans des Genres wünschen. Zwar nicht ganz so perfekt  wie der Vorgänger Agricola, aber dennoch ein Muss für meine Spielesammlung.