Hugo Kastner empfiehlt

 

Perlen der Spielkunst

 

AGRICOLA

 

Bauernwirtschaft im 17. Jahrhundert

 

Liebe Leserin, lieber Leser!. Über eines sind sich alle Kritiker einig: „Agricola“ ist eines der frischesten und reichhaltigsten Spiele der letzten Jahre. Wie Uwe Rosenberg, dem Bohnanza-König, dieses Werk gelungen sein könnte, darüber darf spekuliert werden. Bruno Faidutti vermutet auf seiner hervorragenden Kritikerseite, dass Rosenberg beim ebenso anspruchsvollen Denkspiel „Caylus“, das zwei Jahre zuvor erschien, das Herzstück der frühen Wirtschaft, das Bauerntum, schmerzlich vermisst haben könnte. Ein Grund mehr, sich Gedanken zu machen und mit dem inzwischen wohlbekannten, zig-fach prämierten System des Hof-Managements ins Licht der Öffentlichkeit zu treten. Als Ideen-Zuträger für die an Sammelkartenspiele erinnernde Welt der „Ausbildungen“ und „kleinen Anschaffungen“ mögen wohl seine zahlreichen Spieletester gedient haben, von denen in der Erstausgabe immerhin 138 namentlich erwähnt werden. Nur so kann es überhaupt gelungen sein, innerhalb von nur wenigen Monaten dieses spielerische Schwergewicht – wer die Schachtel in Händen hält, darf dies auch wörtlich verstehen – in den Verkauf zu bringen. Inzwischen ist die Welt des Landlebens um Moorbauern und andere Sonderkarten erweitert, mit gewaltigem Potenzial nach oben. Sogar Agricola-Weltmeisterschaften wurden bereits veranstaltet. Wo ist hier wohl die Grenze? Für den Uneingeweihten empfiehlt sich ein Besuch im Österreichischen Spielemuseum in Leopoldsdorf, da hier der ludophile Acker besonders fruchtbar zu sein scheint! Letzterer Satz ist mit semi-kritischem Augenzwinkern zu verstehen.  www.spielen.at

Mein Lichtkegel reicht kaum aus, um die Masse von Bauern, Schafen, Wildschweinen, Kühen, Holz, Lehm und Schilf, Getreide und Gemüse, Nährwerte, Zäune und Ställe, Acker-, Holzhütten-, Lehm- und Steinplättchen, Spielpläne und zuletzt die nahezu 300 Karten für Anschaffungen und Ausbildungen ausreichend zu beleuchten. Und hier spreche ich ausschließlich vom Grundspiel, einer zwei Kilo schweren, prall gefüllten Agrarbox. Das Regelheft hat es ebenfalls in sich, mit dicht gefüllten Erläuterungen zum Ablauf und detaillierten, in Minischrift gehaltenen Erklärungen zu jeder einzelnen Anschaffungs- und Ausbildungskarte. Sie werden sich dieses Spiel wahrlich im Schweiße Ihres Angesichts erarbeiten müssen. Aber was Sie dafür bekommen, ist ein einfach großartiger Ertrag an Spielvergnügen. Im Prinzip ist der Ablauf dieses Knüllers leicht erklärt. Es geht über 14 Runden, in denen Ihre Personen verschiedene Aktionsfelder besuchen dürfen. Diese erlauben es, das Spielziel ökonomisch anzusteuern, das da wäre: Hütten bauen und renovieren, Kinder gebären, Vieh züchten, Ställe und Weiden errichten, Äcker pflügen und Getreide und Gemüse anbauen. Dabei sollten kleine und große Anschaffungen sowie eine bessere Ausbildung Ihren Personen helfen. Vergessen dürfen Sie auch nicht, dass sich Ihre wohl gepflegten Tiere auch vermehren werden, doch hier muss in guten Zeiten Weideplatz geschaffen werden, oder vielleicht sogar der eine oder andere Stall. Am Ende des Tages wollen zudem alle Ihre Personen zu essen bekommen, und damit ist es nötig, immer wieder rechtzeitig für Nahrung zu sorgen. Betteln funktioniert zwar auch – aber ob Sie dann das ertragreichste Gut haben werden, steht in den Sternen. Apropos Sterne. „Agricola“ verdient uneingeschränkt die höchste Auszeichnung: 5-Sterne im Spiele-Gourmet.

 

Besprechung von Hugo Kastner

Rückmeldungen an: hugo.kastner@chello.at

 

Homepage: www.hugo-kastner.at

 

EMPFEHLUNG # 73 AGRICOLA

 

Spieler: 1-5

Alter: 12+

Dauer: 150+

 

Autor: Uwe Rosenberg

Grafik: Klemens Franz

Preis: ca. 45 Euro

Jahr: 2007

Verlag: Lookout Games

 

Taktik: 6 von 9

Info±: 2 von 9

Glück: 1 von 9

 

Der Glücksfaktor bei „Agricola“ ist minimal, und überhaupt nur bei der Zuteilung der Kartenhand spürbar. Doch auch dagegen haben Spielexperten bereits Drafting-Systeme entwickelt. Wie dem auch sei, für den Liebhaber strategisch-taktischer Wirtschaftsspiele mit Grundtendenz „Optimierung“ darf dieser Zufallsfaktor der Anfangskarten durchaus als Herausforderung verstanden werden, das Beste daraus zu machen. Auch Landwirte im 17. Jahrhundert konnten nicht immer alle „Schicksalsschläge“ voraussehen.

 

Hugos EXPERTENTIPP

Versuchen Sie im ersten Spiel die Familienvariante, denn die ist schon anspruchsvoll genug. Erst dann können Ausbildungen und Anschaffungen die volle Würze des frühneuzeitlichen Landlebens vermitteln, denn erst dann werden Sie die Myriaden von Möglichkeiten, die Ihnen offen stehen, richtig einzuschätzen wissen. Im nächsten Schritt würde ich die „Moorbauern“ (Erweiterung) hinzunehmen, denn damit werden Sie noch einmal eine Nuance mehr an Intensität beim Landleben verspüren    

 

Hugos BLITZLICHT

„Agricola“ ist kein Familienspiel, „Agricola“ ist kein seichtes Ding für Zwischendurch, „Agricola“ ist auch kein reines Strategiespiel wie etwa Schach – „Agricola“ ist ein Optimierungsspiel mit Sammelkartencharakter, mit wunderbar ineinander verzahnten Elementen, mit Tiefgang und mit enormem Wiederspielreiz. Mehr als einer meiner Bekannten wurde von Partie zu Partie stärker Agricola-süchtig. Kompliment an Uwe Rosenberg für sein Geschenk an die Spielgemeinde!   

 

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