Gefährlicher als Edgar Wallace!

 

Wolfgang Hohlbein: Der Hexer von Salem

 

Cthulhu Arkham Horror light

 

Drachen, der Sagenkreis um Siegfried von Xanten, Robin Hood, König Artus, das Ägypten der Pharaonen, Tempelritter, Piraten und jüngst Howard Philipp Lovecrafts Neuengland – wenig ist vor der fleißigen Feder Wolfgang Hohlbeins und seinem Drang, wenn möglich alle Abenteuerwelten selbst im Geiste zu bereisen, sicher. Von der Literaturkritik eher abschätzig betrachtet, verkaufen sich seine Kinder- und Jugendbücher, die ältere Geschichten meist aus neuer oder ungewohnter Perspektive nicht unbedingt auf höchstem stilistischem Niveau, aber immerhin spannend – so viele, nicht selten begeisterte Leserstimmen – nacherzählen, mit beträchtlichem Erfolg.

Zu einigen seiner Fantasywelten gab es auch schon Spiele, etwa zur Enwor-Reihe, und ein paar Jahre nach Heiko Gills und Thomas Finns Rollenspiel über Robert Craven, den Hexer von Salem, hat nun Michael Rieneck (zu seinen bisherigen Veröffentlichungen zählen „Druidenwalzer“, 1999, „In 80 Tagen um die Welt“, 2004, „Nichtlustig“ nach den Cartoons von Joscha Sauer, 2007, alle bei Kosmos, oder zusammen mit Stefan Stadler „Cuba“, Eggertspiele 2007) das Brettspiel zum Buch geschaffen.

Wolfgang Hohlbein selbst wiederum schrieb eine Kurzgeschichte („Das Grauen von Arkham oder Das Spiel beginnt“, 16 Din A4 Seiten) die der quadratischen Schachtel beiliegt, und die Vorgeschichte erzählt. Zum Verständnis des Spieles ist sie zwar nicht nötig, kann aber durchaus der Einstimmung dienen.

Bis zu vier Personen schlüpfen in die Rollen der Gehilfen des Hexers (wohl aus dem Roman bekannt, jedenfalls aber in der Kurzgeschichte erwähnt) und sollen geheimnisvolle Dimensionenportale, die sich an bis zu fünf Orten in der kleinen Universitätsstadt Arkham geöffnet haben, aufspüren und sodann verschließen, um das Auftauchen eines überaus bösen uralten Wesens aus der Rasse der Großen Alten zu verhindern. Wer keinen Roman von Hohlbein gelesen hat, wem aber diese Schilderung dennoch bekannt vorkommt, hat entweder schon mit Erzählungen H. P. Lovecrafts oder mit dem Spiel „Arkham Horror“ (Chaosium 1987, Fantasy Flight Games 2005) Bekanntschaft geschlossen.

Tatsächlich handelt es sich beim Kosmos-Spiel „Der Hexer von Salem“ um eine sehr geraffte, vereinfachte und wesentlich leichter und schneller spielbare Version von „Arkham Horror“, ohne jedoch irgendeinen Bezug im Impressum zu erwähnen.

Wohltuend anders als beim illegitimen Bruder kann man das Spielmaterial hier leicht überblicken: ein quadratischer Spielplan (cca. 60 cm x 60 cm) mit den 8 Ereignisorten (Miskatonic Universität, Sanatorium / Irrenhaus, Zeitung, Hexenhaus, Gasthaus, Friedhof, Kirche sowie dem mysteriösen R’lyeh in einer anderen Dimension – der Einfachheit halber als unterseeisch dargestellt), einer Zeitleiste sowie Anlegefeldern für verschiedene Karten; 26 Kreaturenkarten, sechs Karten mit Großen Alten, zwölf Ereigniskarten, vier Kurzregeln, eine Startspieler- sowie eine Übersichtskarte der großen Alten, alle im Schnapskartenformat; vier Sätze zu je acht Ortskarten in den Spielerfarben, etwas kleiner; 34 Gegenstände- und Artefaktplättchen, acht Portalsmarken, vier Chips zum Anzeigen der Geistesstärke sowie vier Spielertafeln, alle aus festem Karton; schließlich fünf eher klobige Holzspielfiguren, die leider ein bisschen wie aus anderen Kosmosspielen übriggeblieben aussehen; ein Würfel, ein Zählstein sowie ein Leinensäckchen, um zufällige Marken zu ziehen, und das vierseitige Anleitungsheft runden den Inhalt ab.

Die vier Rollen im Spiel sind völlig gleichwertig und verfügen über keinerlei spezifische Fähigkeiten, also ist egal, wer welche Person übernimmt. Einzig wer Startspieler und damit gleichzeitig, wer im Uhrzeigersinn der letzte Spieler wird, verbindet sich mit je einer besonderen Aufgabe.

 

Der Aufbau nach der Wahl der Figuren und zugehörigen Karten gestaltet sich ebenfalls einfach. Alle Figuren starten in der Universität, die weiße Hexerfigur auf dem Zahlenfeld. Der Zählstein (Necron-Stein) wird auf das erste, dunkelgrüne Feld der Zählleiste platziert. Sechs der acht Portalsplättchen werden verdeckt auf die Portalsfelder gelegt, die restlichen zwei ebenfalls verdeckt beiseite getan. Neben dem bereits sichtbaren Portalsfeld bei der Universität liegen somit zwei bis vier weitere Dimensionentore auf dem Spielplan. Alle Mitspieler ziehen nun aus dem Säckchen jeweils ein Gegenstands- oder Artefakt-(Siegel-)plättchen und legen es auf ihrer Tafel in einem entsprechenden Kästchen ab (drei Gegenstände und ein Artefakt kann man jeweils gleichzeitig maximal besitzen). Danach werden je drei weitere zufällige Plättchen an sechs der Ortsfelder angelegt. Die Gegenstände (Zauberbuch „Necronomicon“ – ebenfalls bei Lovecraft entlehnt –, Dolch, Schauglas, Elixier) erfüllen verschiedene Aufgaben im Spiel und sind in spezifischen Kombinationen nützlich oder auch unerlässlich, um Monster zu besiegen. Die sechs Großen Alten Karten werden rund um R’lyeh ausgelegt, nur die erste mit der Wesenseite nach oben, die sechste Karte auf das Unterwasserfeld.  Diese stellt den zu erwartenden Endgegner dar. Die Artefakte / Siegel (drei Arten) verschließen oder, wenn es dumm läuft, öffnen Dimensionsportale. Kreaturenkarten und erst einmal acht der Ereigniskarten (wenn diese alle im Spiel gewesen sein werden, werden alle zwölf gemischt, und wieder acht zufällig ausgewählt) werden bereitgelegt.

Wer Startspieler ist, zieht je nach Spielerinnenanzahl und sodann in jeder Runde eine oder zwei Kreaturenkarten und legt diese im Uhrzeigersinn neben die Ortsfelder mit den Nummern 1 bis 6. Die Jagd beginnt. Man reist mithilfe der Ortskarten je einmal zu den passenden Plätzen, ein Geheimgang dient als Joker und einziger Weg nach R’lyeh (der Einsatz kostet aber einen Punkt Geistesstärke), an der Universität erhält man alle Reisekarten wieder zurück. Man versucht von nun an herauszufinden, wo Dimensionenrisse klaffen (Schauglas einsetzen, Portalmarke geheim anschauen), und diese zu verschließen (Artefakt ablegen). Siegel an schlichten Mauern öffnen leider dort Tore, die nicht mehr geschlossen werden können, wodurch das Böse automatisch gewinnt. Gleichzeitig müssen die Spieler darauf achten, die geheimen Großen Alten Karten aufzudecken (Necronomicon benützen), um den Endgegner rechtzeitig, aber auch keinesfalls zu früh, zu erkennen, um eine Figur mit den passenden Gegenständen versehen aus ihrer Reihe nach R’lyeh zu schicken, und hinter ihr das letzte offene Dimensionentor bei der Universität zu verbarrikadieren. Die Welt wäre gerettet, die Person in R’lyeh vermutlich verloren, aber wer weiß das schon so genau?

Störend treten noch die Kreaturen auf, die jede Runde neu erscheinen. Von jedem Wesen (außer den Sonderkarten Necron – schlecht für die Spieler – und Hexer – günstig für sie) gibt es zwei Karten. Eine Karte an einem Ort behindert die Spieler. Wollen sie dorthin, um das Portalplättchen anzusehen und ausliegende Gegenstände aufzusammeln, müssen sie, sofern nicht zufällig die Hexerfigur anwesend ist, würfeln und möglicherweise Einbußen erleiden (Geistesstärke, Gegenstände, oder das Wachsen des Chaos auf der Zählleiste). Wird eine Zwillingskarte aufgedeckt, treten noch schlimmere Folgen ein – möglicherweise verlieren die Spieler kollektiv einige Gegenstände, oder ähnlich Unerfreuliches. Die Wesen kann man mithilfe von Gegenständen oder mit Unterstützung des Hexers am selben Ort (und einem Dolch) jedoch auf den Ablagestapel vertreiben. Nach dem letzten Zug der Runde wird eine Ereigniskarte aufgedeckt. Meist wandert dadurch die Hexerfigur weiter, und sehr oft passiert etwas Unangenehmes – ein zusätzliches Monster taucht auf, oder das allgemeine Chaos steigt.

In jedem Zug können die Spieler nur jeweils eine Aktion, die das Ablegen eines Plättchens bedingt, ausführen, sie sollten also gut überlegen und – ausdrücklich erlaubt! – beratschlagen, wer wo was erledigt. Besonders auf die Wiederherstellung der geistigen Stärke (Elixier trinken) darf nie vergessen werden.

Trotz erstaunlich vieler Möglichkeiten zu verlieren, und nur einer einzigen Art zu gewinnen, funktioniert „Der Hexer von Salem“ meist recht gut. Den Bewahrern der Ordnung wird es freilich nicht leicht gemacht. Sollten die Karten – sowohl Ereignis- als auch Kreaturen- – unglücklich gemischt sein, wird es sogar ausgesprochen haarig. Das Fortbewegungssystem mittels Ortskarten stellt zum Beispiel sicher, dass jede Spielfigur in jeder Runde weitergezogen wird, fördert damit allerdings ein geradezu generalstabsmäßig koordiniertes Vorgehen der Spieler. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass diese schon im Vorfeld aufeinander abgestimmt sein müssen. Eine zufällig zusammengesetzte Runde dürfte an solchen Bedingungen nicht viel Freude haben. Letztendlich muss ja dann auch, um den aufsteigenden Großen Alten endgültig zu besiegen, will sagen, in seine Dimension zurückzuverbannen, eine Figur quasi aufgegeben werden – das Ziel R’lyeh ist eine Einbahnstraße. Die geringe Identifikationsmöglichkeit mit den vorgegebenen Rollen erleichtert einerseits dieses Opfer, führt allerdings den Aufwand an graphischer Finesse der Spielertafeln (immerhin: von den eckigen Holzfiguren trennt man sich ohnehin viel leichter) einigermaßen ins Absurde.

Diese bisweilen befremdliche Diskrepanz zieht sich aber durch das ganze Spiel. Auch die übrigen Spielkarten sind beinahe zu liebevoll gestaltet, bedenkt man deren einzigen Verwendungszweck. Darin besteht nun, ganz abgesehen von der atemberaubenden Ähnlichkeit der Wesen und Zustände von Hohlbeins Arkham mit denjenigen von Lovecrafts fiktiver amerikanischen Stadt, doch wieder eine gewisse Ähnlichkeit mit „Arkham Horror“ aus dem Fantasy Flight Games Verlag, wo die unzähligen Karten viel zu viele Anreize boten, um für den wirren Spielspaß je entsprechend gewürdigt werden zu können. Die Kartonplättchen sind dagegen rein nüchtern und zweckmäßig gestaltet, mehr muss nicht, weniger sollte nicht sein.

Die Spielanleitung, kein unwichtiger Punkt, ist klar formuliert und eindeutig. Eine übersichtlichere Gliederung wäre aber durchaus nützlich, auch ein drittes Blatt (mithin sechs Seiten) hätte nicht geschadet, schon allein, um die Schriftgröße etwas leserfreundlicher zu gestalten. Kommt es über eine Aktion zu verschiedenen Interpretationen, findet sich der betreffende Absatz derzeit nicht leicht. Eine Regel freilich wurde in allen Testspielen generell verworfen und als ähnlich sinnvoll erachtet, wie die verschiedenen Münzmetalle in den ersten Ausgaben von Dungeons & Dragons Rollenspielen (erinnert sich sonst noch jemand an die Elektronmünzen?): den Spielern ist es nicht gestattet, irgendjemandem mitzuteilen, ob er beim Blick durch das Schauglas ein Portal oder eine geschlossene Wand entdeckt hat. Gegen Ende des Spiels, wenn eine Person nach R’lyeh aufbrechen muss, darf man aber dennoch erwähnen, ob alle Portale bereits verschlossen sind. Gegenstände (außer Artefakte) kann man übrigens stets tauschen oder verschenken, wenn mehrere Figuren am selben Ort stehen – warum also nicht diese wichtige Information? Das scheint unplausibel, unnötig, sogar ein bisschen kindisch.

Aus diesen Abwägungen ergibt sich die Frage nach der Zielgruppe. Wer könnte Vergnügen an diesem Spiel haben? Die Altersempfehlung „ab 12 Jahren“, die Horrorthematik (unter den Kreaturen befinden sich Untote, Seelenfresser, Blutjäger und ähnlich freundlich veranlagte Zeitgenossen), sowie teilweise die Ausführung des Spielmaterials legen durchaus ein erwachsenes Publikum nahe. Einige andere Elemente, nicht zuletzt die „Pssst! Mein Geheimnis!“-Bestimmung, zielen deutlich auf jüngere Anwärter. Mit gewissen Einschränkungen und Modifikationen kann man „Der Hexer von Salem“ allerdings sicher eher reiferen Spielern empfehlen, die gut aufeinander eingespielt sind, und gerne auch einmal einen kurzen Horrorspielabend verbringen möchten. Denn die Zeitangabe stimmt erfreulicherweise: keine Partie hat länger als achtzig Minuten gedauert, Regelstudium eingeschlossen.

 

Martina & Martin Lhotzky, Marcus Steinwender

 

Kid                       

Family                  

Adult           ein    

Expert                           

 

Alter                    

Spezial                 

 

Spieler: 2–4

Alter   : 12+

Dauer : ca. 60 min

 

Autor           : Michael Rieneck

Grafik          : Franz Vohwinkel

Vertrieb       : Kosmos

Preis            : ca 24,00 Euro

Verlag          : Kosmos 2008

  www.kosmos.de

 

Genre          : Horror-Fantasy-Abenteuerspiel

Zielgruppe    : Für Jugendliche/Erwachsene

Mechanismus: Reisekarten nutzen, Aufgaben erledigen

 

 

Bewertung                      

Zufall:                             6

Planung:                         5

Kommunikation:               7

Atmosphäre:                   5

 

 

Kommentar:

Stimmiges Material

Gestraffte Regeln

Teilweise Inkonsequenz in den Mechanismen

 

Vergleichbar mit:

Arkham Horror

 

Martina, Martin und Markus:

In H. P. Lovecrafts Welt von Arkham, gemildert durch Wolfgang Hohlbeins Nacherzählung, führen viele Wege ins Verderben. Eine wirklich gute Überlebenschance haben die Spieler nicht – aber die sollten sie nützen, dann bereitet auch Hexenhorror eine schöne Stunde.