Blackbeard gegen Anne Bonny

 

Winds of Plunder

 

Gold und Enterhaken vor Havanna und Jamaika

 

Es empfiehlt sich bereitzuhalten: Fünfzig Mann, eines Toten Mannes Kist’ und ’ne Buddel voll Rum, diverse Augenklappen, Enterhaken, Zündschlosspistolen, mindestens einen Papagei sowie gestreifte Leiberln, dann kann die richtige Stimmung gar nicht ausbleiben.

Während es seit Beginn der Schifffahrt immer schon Piraterie gegeben hat, und gerade heute die Straße von Malakka, die Malaysien von Indonesien trennt, wegen der zahlreichen Seeräuber als gefährlichste Meerenge der Welt gilt, denken die meisten Europäer und Amerikaner bei dem Wort Piraten doch an ganz andere Gefilde und eine bestimmte Zeit: die Karibische See im XVII. und XVIII. Jahrhundert, Segelschiffe, die verwegen vor dem Wind kreuzen, Männer (und einige Frauen) mit merkwürdigem Modegeschmack und klingenden Namen: Captain Kidd, François L’Olonois, Henry Morgan, William „Blackbeard“ Teach oder gar Anne Bonny und Mary Read. Dass im wirklichen Leben die wenigsten Seeräuber wie Errol Flynn aussahen, wegen fehlerhafter Ernährung die meisten Menschen, aber besonders Seeleute, an Skorbut (Zahnausfall, schlechte Wundheilung, hohes Infektionsrisiko, Muskelschwund) litten, und nur einzelne wohlhabend und friedlich ihren Lebensabend erlebten, braucht uns hier nicht weiter zu interessieren.

 

„Winds of Plunder“ von GMT-Games aus Kalifornien, die auf Strategie- und Kriegsspiele spezialisiert sind, führt in jene aus Hollywoodfilmen bekannte Welt. Die hohen europäischen Mächte haben nach dem Spanischen Erbfolgekrieg ihr Augenmerk wieder dem Seehandel zugewandt, und da stören Kaperfahrten auf eigene Rechnung die Geschäfte königlich konzessionierter Fernhändler doch sehr, also erklärt man gemeinsam den Privat-Pirat-Unternehmern den Krieg. Bis die Marine jedoch die Karibik erreicht, haben die fröhlichen Freibeuter und Filibustiere noch neun Kapersaisonen, sprich Spielrunden, Zeit, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen.

 

Der Spielplan stellt in vier Sektoren unterschiedlicher Farbintensität die Mitte der Karibischen See und einen Teil der Küstenlinie Zentralamerikas dar. Zwölf Häfen (in jedem Sektor drei) darunter Havan(n)a, Jamaika und Guadeloupe, sind eingetragen, und in diese gilt es einzulaufen, Ladung (Proviant und Kanonen) aufzunehmen, Seeleute zu heuern, zufällig am selben Dock liegende Schiffe der Kollegen zu entern oder Schätze zu heben. Seeschlachten jedoch finden nicht statt. Für all diese Aktivitäten werden Punkte vergeben, bisweilen auch wieder abgezogen. Am Ende der neunten Runde wird zusammengezählt, und wer insgesamt die meisten Punkte aufbringt, darf sich als Gouverneur von Tortuga zur Ruhe setzen (unser Vorschlag, das steht so nicht in den Spielregeln).

 

Jeder Spieler beginnt mit seinem Holzschiff in einem zufällig gelosten Starthafen, dann wird (und in der Folge in jeder Runde erneut) die Windrichtung bestimmt. Darüber sollte man nicht zu viel nachdenken, in „Winds of Plunder“ spielen die titelgebenden Luftströmungen zwar die entscheidende Rolle, kommen aber durch Mehrheitsbeschluss zustande. Um seiner Stimme mehr Gewicht zu verleihen, darf man zusätzlich Holzwürfel einsetzen. Da man aber mit nur zehn Würfeln startet, und einmal eingesetzte teuer zurückkaufen muss, fangen hier bereits die ersten Köpfe zu rauchen an. Wer allerdings die meisten Würfel bietet, erhält zur Belohnung den Blackbeard-Stein (eine quadratische Kartonmarke) und damit in gewissen Situationen, etwa bei Stimmengleichstand, eine Schiedsrichterfunktion. Bei der Endabrechnung verleiht er auch einen Siegpunktebonus. Die Winde (zum Glück nur die vier Hauptwindrichtungen) also bestimmen, für Segelschiffe nicht ganz unlogisch, Fahrtrichtung und Fahrtweite. Ost oder West heißt ein oder zwei Sektoren in die passende Richtung, wo dann jeder der drei Häfen angesteuert werden darf. Nord oder Süd veranlasst Schiffe, einen Ankerplatz im selben oder in einem beliebigen benachbarten Seesegment nördlich oder südlich des Ausgangspunktes anzusteuern. Es herrscht Zugzwang. Wer auf diese Weise allerdings tatsächlich keinen anderen Hafen erreichen könnte, hat die Möglichkeit, anstelle anderer Aktionen (etwa Aktionskarten oder zusätzliche Würfel erwerben) im wahrsten Sinne des Wortes gegen den Wind zu segeln. Zu dieser (Verzweiflungs-)Tat ist jedoch niemand verpflichtet.

Eventuell erworbene Aktionskarten, darunter so hübsche Dinge wie das Auslösen einer Rattenplage, einer zünftigen Wirtshausrauferei, einer Meuterei oder der verbilligte Ankauf von Proviant, können jederzeit ausgespielt werden, außer bei der Ankunft in einem Hafen.

In den Häfen liegen Karten offen auf (allerdings werden sie zuerst noch verdeckt platziert), die zeigen, was den Kapitän dort erwartet. Proviant, Mannschaft, Waffen, Schatzkarten und Siegpunkte (als Münzen) sind in unterschiedlichen Kombinationen abgebildet, jede Karte ist ein Unikat. Landet ein Schiff in einem Hafen, wird die Karte gegen entsprechendes Verrücken der Markierungssteine der jeweiligen Kategorie(n) oder gegen eine Schatzkarte getauscht, auf den letzten freien Platz der Ablageleiste gelegt, und die vorderste Karte von dort wandert in den Hafen, bereit den nächsten Kapitän anzulocken. Wie erwähnt, können unter bestimmten Voraussetzungen auch im gleichen Hafen liegende Schiffe geentert werden, oder, sollte man die passende Schatzkarte besitzen (oder umgekehrt den richtigen Zielort angesteuert haben), darf man auch einen Schatz heben, die Schatzkarte zurückgeben, und den entsprechenden Markierungsstein vorrücken. Auf diesem Markierungsfeld, das schon ganz anders als die Felder für Proviant, Mannschaft und Bewaffnung (jeweils ein Schiffsrumpf auf dem Spielplan) aussieht, kann man nie zurückfallen, die Schätze, egal was man damit dann gemacht hat, ob mit losen Weibern durchgebracht oder in eine Tabakplantage investiert, sind ja gehoben worden.

Der Kapitän mit der größten Mannschaft, den meisten Kanonen oder dem größten Proviantvorrat darf sich auch die entsprechende Bonuskarte nehmen, die er erst weitergeben muss, wenn ein anderer Spieler mehr Einheiten in der jeweiligen Kategorie vorweisen kann – das Prinzip ist spätestens aus Klaus Teubers Siedler-Spielen wohlvertraut. Diese Bonuskarten bringen ebenfalls Vorteile während des Spiels (Zusatzaktion vor oder nach dem Segeln, beim Entern, beim Eintauschen der Hafenkarten) und in der Endabrechnung.

Das Spielmaterial ist einfach, aber liebevoll gestaltet, die diversen Karten wirken ein bisschen klobig, dafür umso haltbarer. Ein großes Lob gibt es für das Regelheft in vier Sprachen (Englisch, Französisch, Deutsch & Italienisch). Ein übersichtliches Inhaltsverzeichnis, eine fast immer klare Gliederung des Textkörpers, sowie eine (zugegeben nur mit dem englischen Original verglichene) gute Übersetzung erleichtern den Zugang außergewöhnlich. Zusätzliche historische Hintergrundinformationen über Seeräuberei in der Karibik um 1700, sowie Einblick in den Entwicklungsprozess des Spieles, erfreuen als nette Geste und tragen zur stimmigen Atmosphäre bei. Daneben gibt es noch Kurzspielregelblätter und Übersichtstabellen für die Aktionskarten (ebenfalls viersprachig), kurzum an Hilfestellungen herrscht kein Mangel. Selbst der Internetauftritt der Herstellerfirma zu „Winds of Plunder“ (http://www.gmtgames.com/nnwp/main.html) darf als freundlich, nahezu generös bezeichnet werden.

 

Die (englische) Beschriftung auf dem Spielplan und den meisten Karten beschränkt sich auf ein Minimum wie Ortsnamen oder Abkürzungen. Der etwas ausführlichere Text der Aktionskarten erklärt sich durch Abbildungen fast von selbst, wird aber auf beigelegten Übersichtsblättern und im Regelheft erläutert und ebenfalls in den vier genannten Sprachen wiederholt. Gerade bei den Aktionskarten, deren Sinn sich bisweilen tatsächlich nicht ganz leicht erschließen lässt, scheint dies durchaus angebracht.

Da viele Handlungen von allen Kapitänen gleichzeitig durchgeführt werden, gerät der Spielfluss auch nur selten ins Stocken, die Wartezeiten auf den eigenen Zug können gering gehalten werden. Die Gesamtspieldauer liegt – abhängig von der Anzahl der Mitspieler – geringfügig über den Verlagsangaben von 90 Minuten, übersteigt aber 2 Stunden nie. Als Minderheitenmeinung sei festgehalten, dass neun Spielrunden schon mal als zu wenig angesehen wurden. Spieler, die sich gut auf kurzfristige Strategien verstehen, werden dadurch freilich leicht bevorzugt, aber auch das kann dem rundum erfreulichen Spiel nichts anhaben.

 

Martina & Martin Lhotzky

mlhotzky@yahoo.co.uk

 

Überblick

 

Spieler: 3 – 5

Alter   : ab 10 Jahren

Dauer : Verlagsangabe 90 Minuten, im Test 2 Stunden

 

Autoren       : Alan Newman, Tony Nardo

Grafik          : Andrew Navaro, Scott Nicely

Vertrieb        : UGG

Preis            : ca. € 43,00

Verlag          : GMT Games

                     www.gmtgames.com

 

Bewertung

 

Genre          : Piratenspiel

Zielgruppe    : Freunde, Familie

Mechanismus: Richtung festlegen, Aktionen und Karten nutzen

 

Strategie                : ******

Taktik                    : *****

Glück                    : **

Interaktion             : *****

Kommunikation      : *****

Atmosphäre           : *****

 

Kommentar:

Mehrsprachige Regeln

Piratenspiel ohne Seeschlachten

Spießspaß lohnt den Preis

Gute Kombination von Mechanismen

 

Martin und Martina Lhotzky:

Ein taktisches und dennoch unterhaltsames Piratenspiel ohne große Seeschlachten. Der ausgefallene Bewegungsmechanismus, die begrenzte Rundenanzahl und viele unterschiedliche Möglichkeiten Siegpunkte zu sammeln sorgen für Spannung bis zum Schluss.