TALISMAN

 

Stellen Sie sich vor, Sie spielen "Mensch, ärgere Dich nicht". Plötzlich ist der Spielplan keine einfache Umlaufbahn mehr, sondern in drei Ebenen geteilt, das Zielfeld liegt nicht mehr am Anfang, sondern in der Mitte der Karte und auf und zwischen den Feldern sind seltsame Zeichnungen. Jeder Spieler erhält nur eine Spielfigur, dafür sind diese etwas verschieden. Auf dem Weg zum Ziel wird man nicht nur von den anderen Mitspielern, sondern auch von den einzelnen Spielfeldern bekämpft. Hinausgeworfen wird auf Raten, anstatt sofort und strikt.

 

Kein Zweifel: Sie spielen ''Talisman". Stellen Sie sich vor, Sie spielen ein Fantasy-Spiel mit schier unendlichen Variationsmöglichkeiten. Da wimmelt es nur so von bösen Drachen und Goblins; es gilt einen Talisman zu erringen, um durch das "Tal des Feuers" zur "Krone der Herrschaft" zu gelangen. Sinistren Fremden, unheimlichen Geisterwesen und freundlichen Begleitern begegnet man auf seinem gefahrvollen Weg, man kann Schätze ohne Zahl oder sogar eines der lange verloren geglaubten Artefakte finden. Magie ist eines der Mittel zum Zweck. Als strahlender Held, strebsame Kreatur oder hinterlistiger Bösewicht hat man nur ein Ziel: Die Macht!

Hilfe kann man sich von den Göttern oder Geistern erbitten doch selbst die kleinste Gunst des Schicksals ist man einander neidig. Kein Zweifel: Sie spielen "Talisman".

Diese "kalt-warm"-Einleitung trifft wohl am ehesten das Meinungsbild über "Talisman", wahrscheinlich das beliebteste Fantasv-Brettspiel im deutschen Sprachraum. Für diejenigen Leser, die noch immer nicht wissen, worum es sich bei "Talisman" genau handelt, möchte ich Aufbau und Regeln des Spieles zusammenfassen. Für Informierte: ich halte mich bei dieser Besprechung an die "2nd Edition" von Games Workshop und beschreibe im Anschluß die Schmidt-Version.

Also: Im Jahr 1983 erschien bei der britischen Firma Games Workshop ein Fantasy-Spiel mit dem Namen "Talisman - the magical quest game", erfunden von einem gewissen Robert Harris. Die Ausstattung war damals noch als ziemlich primitiv zu bezeichnen: die Titelgraphik war sehr einfach und farblos, die beigelegten Ereigniskarten hatten nur schwarz/weiße Zeichnungen.... Trotzdem wurde das Spiel ein Riesenerfolg. Warum? Ganz einfach: es war SPIELBAR. Das Regelwerk war zwar eher lang, jedoch die Grundregeln konnte jeder dressierte Orang-Utan binnen kürzester Zeit begreifen. Der Rest behandelte nur Spezialereignisse, Detailbeschreibungen und Graphiken.

1985 kam die zweite Auflage auf den Markt, bereits in Farbe und mit einem Ausstattungsstandard, wie man ihn heute mit dem Namen "Games Workshop" verbindet.

Der Spielplan zeigt ein Fantasy-Land und teilt sich in verschiedene Regionen: die "äußere Region", mit so profanen Gegenden wie der Stadt, dem Dorf, der Kapelle, der Taverne, Ackerland, Wäldern....

Von dieser durch einen Fluß getrennt ist die sogenannte mittlere Region, mit Orten wie dem Tempel, der Wüste, den Runensteinen, der verwunschenen Lichtung etc. Noch weiter innen, von der mittleren Region durch das "Portal der Macht" (möge selbige mit Dir sein) getrennt, die "innere Region", mit der Ebene der Gefahr, der Krypta und anderen gefährlichen Plätzen. Am Ende dieser Region liegt das Tal des Feuers, hinter dem sich die Krone der Herrschaft verbirgt.

Nach besagter Krone streben nun einige Abenteurer, denn sie bedeutet uneingeschränkte Macht (und, nebenbei, mit hoher Wahrscheinlichkeit den Sieg). Diese Protagonisten können menschlicher Natur sein oder auch nicht (Troll, Zwerg...) und haben die verschiedensten Ausbildungen. Aus diesen unterschiedlichen Anlagen ergeben sich 14 Charaktere, die alle unterschiedliche Eigenschaften haben. Relevante Faktoren sind Stärke, "Graft" (nur ungenügend als "Köpfchen" übersetzbar) und spezielle Fähigkeiten. Diese sind sehr unterschiedlich gelagert: Ein Elf verläuft sich z.B. nie im Wald (er würde wahrscheinlich von seinem Klan exkommuniziert werden), ein Krieger hat bessere Kampfmöglichkeiten, ein Ghul kann Tote zu Zombies machen, die ihm als Gefolgsleute dienen und vieles mehr. Ein weiterer Faktor ist die Gesinnunq. Gut, neutral oder böse steht zur Auswahl - jedes hat seine speziellen Vor- und Nachteile. Gute und böse Charaktere erhalten zwar Unterstützung von den Göttern bzw. Geistern, haben jedoch auch gewisse Auflagen ('Pfui, ein böser Magier greift doch den Heiligen Gral nicht an!" - "Aber er ist doch so prakti..." -, "RUHE,!"). Neutrale Gesellen kümmern sich nicht um solche Details, sind aber auf sich gestellt. Zusätzlich hat jeder Charakter einen Satz Lebenspunkte (die blauen Flecken von der letzten Wirtshausrauferei sind völlig ausgeheilt) und einen Goldsack, die landesübliche Währung.

 

So ausgestattet stürzt sich nun jeder ins Abenteuer. Der Zugmechanismus ist bereits mehr als primitiv. Man würfelt und zieht die Augenzahl wahlweise im oder gegen den Uhrzeigersinn entlang der Ebene, in der sich der Charakter befindet. Auf dem Zielfeld angekommen befolgt man die dortigen Anweisungen. Meist heißt das: "Ziehe eine Karte". Man zieht also eine der "Abenteuer-Karten", wie sie genannt werden, und erlebt so ein Abenteuer. Dabei kann es sich um ein Ereignis (Wintereinbruch, Halloween..) handeln, das alle Spieler betrifft, man kann auf Monster oder Geisterwesen treffen. die man mit Stärke bzw. ''Graft'' bekämpfen muss, man kann auf Fremde treffen oder Gefolgsleute finden (warum sich z.B. die Prinzessin dem Troll anschließt ist mir immer noch ein Rätsel), Gegenstände entdecken (vom einfachen Goldsack bis zu seltenen Artefakten - alles sehr praktisch, leider kann man nur vier Dinge schleppen oder entdeckt einen magischen Ort. Alle wichtigen Details stehen auf den jeweiligen Karten vermerkt - zusätzliches Nachschlagen ist also nicht nötig. Fühlt man sich stark genug, kann man versuchen, in die mittlere Ebene vorzustoßen, wo das Risiko wesentlich höher ist. Dort kann man versuchen, sich einen Talisman zu organisieren, denn nur mit diesem darf man das Tal des Feuers betreten (offensichtlich eine Mischung aus Verdienstkreuz und Asbestanzug), um zur Krone der Herrschaft zu marschieren.

A propos Krone. Zwischen der mittleren Ebene und der Krone liegen immerhin noch einige Felder der inneren Ebene, die es in sich haben. Daher sollte jeder Spieler seine Figur einigermaßen aufgerüstet haben (Standard etwa: Ein großer grüner Drache - räumt ihn weg!").

Ist ein Spieler endlich am Ziel seiner Wünsche angelangt, so steht ihm noch eine Phase des Bangens bevor: Er muss nun mit einem speziellen Zauberspruch, den er durch die Krone erhält, die anderen Spieler um ihre restlichen Lebenspunkte bringen. Selbige finden das um allgemeinen nicht schön und setzen alles daran, selbst zur Krone vorzustoßen, um den Besitzer zu bekämpfen, oder sie werfen ihm jede nur erdenkliche Form von Magie an den Hals. Ist dann in der Endphase nur mehr der augenblickliche Besitzer der Krone aktiv, so endet das Spiel mit dem Sieg desselben.

Soweit die Grundregeln. Falls sich einige Talisman-Experten wundern sollten, ich habe bewußt einiges etwas unscharf erklärt, um nicht zu sehr ins Detail zu müssen.

Für all jene die dem Talisman-Fieber verfallen sind, war Games Workshop nicht untätig und hat eine ganze Reihe von Erweiterungsboxen auf den Markt geworfen. Da diese aber erst kürzlich ausführlich besprochen wurden, möchte ich sie nur mehr dem Namen nach, in chronologischer Abfolge, erwähnen: "Expansion Set", "Adventure", "Dungeon", "Timescape" und "City". Über Die Qualität derselben gehen die Meinungen auseinander; sicher ist dass sie die Vielfältigkeit des Spieles noch erhöhen.

Nun zu einem eigenen Problem: der deutschsprachigen Ausgabe von Schmidt Spiele. Diese enthält das Material aus dem Grundspiel und dem "Expansion Set" und hat etwa die doppelte Größe des Originals. Die Qualität des Spielmaterials ist im allgemeinen besser als bei der Games Workshop-Ausgabe, aber der Teufel steckt im Detail. Es wäre schon schlimm genug gewesen, hätte Schmidt Spiele einen Übersetzer beschäftigt, der vom Spiel selbst keine Ahnung hat - nein, es mussten gleich deren zwei sein, die sich nicht einmal abgesprochen haben dürften. So spricht einer der beiden hartnäckig von der Gruft, der andere von der Krypta. Für Unbeleckte, die keine Ahnung davon haben, dass es im Original "Crypt" heißt, eine hübsche Nuß zu knacken. Dem nicht genug, wurden die diversen Karten auch mit ziemlicher Lieblosigkeit behandelt. Eine Abenteuerkarte wird als Kaufkarte deklariert (und alle suchen verzweifelt nach dem Preis und dem Laden für das Ding), ein Einsiedler wird durch eine Unterlassungssünde unnötig und ein Goblin verliert seine Kampfkraft. Diese Bearbeitung kann man selbst mit größter Nachsicht nur als "schleißig" bezeichnen. Da wir gerade von ''schleißig" reden: Auch den Workshoplern ist derartiges passiert. Die Ergänzungsboxen sind vom Format her etwas größer als das Basisspiel. Das stört zwar nicht weiter (man stopft schließlich alles in die Grundpackung hinein), aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund ist der Bogen mit den Zusatzregeln im "Dungeon" genau A4 (statt der üblichen 20x28cm). Fazit: Der Zettel biegt sich in der Box ständig um, falls man es nicht übers Herz bringt, ihn abzuschneiden oder zu falten.

 

Nun zum schwierigsten Teil dieser Besprechung: der subjektiven Beurteilung. Zunächst muss ich zugeben: Ich bin ein Talisman-Fan. Es ist mir völlig klar, dass die Anforderungen an die Spieler eher gering und der Glücksfaktor eher hoch sind, dennoch denke ich, dass dem einzelnen Spieler genügend Möglichkeiten bleiben, dem Spiel seine Strategie aufzuzwingen. Dass man jeden Charakter anders spielen muss um einigermaßen gut über die Runden zu kommen ist selbst einem Neuling völlig klar. Auch ist bei diversen Partien immer wieder zu bemerken, dass bestimmte Spieler- Charakter-Kombinationen dominieren. So gesehen kann es sich nicht um ein reines Glücksspiel handeln.

 

Andererseits habe ich selbst schon Partien erlebt, die durch geradezu unheimliches Glück eines Mitspielers vollkommen auf den Kopf gestellt wurden. So etwas kann natürlich die anderen Spieler ziemlich frustrieren und letztendlich zu einer unbefriedigenden Partie führen. Doch muss ich aus meiner Erfahrung mitteilen, dass diese Konstellationen eher die Ausnahme waren. Zusammenfassend sei gesagt, dass Talisman für alle Spieler, die ein gepflegtes Fantasy-Ambiente schätzen und die sich an einem hohen Glücksfaktor nicht weiter stoßen, auf jeden Fall zu empfehlen ist.

 

WlN-Wertung:

** Talisman (Games Workshop) WWW S I UU AA D 2-5 (2-6) h