Vinci

 

Aufstieg und Untergang der Völker

(Die Lebensgeschichte einer Zivilisation im Zeitraffer – ein Mini-Civilization)

 

Das Spiel

Vinci

von Philippe Keyaerts

für 3-6 Spieler ab 12 Jahren

Eurogames / Jeux Descartes

ca. 60 – 90 Minuten (je nach zu erreichender Siegpunktezahl und Mitspieler)

 

Die vergleichbaren Spiele

Empire (T,M)

Brittania (T,M)

Civilization (T,K)

 

Die WIN-Wertung

* SSS AA UU 3-6  h

 

Also, schauen wir mal, was für neue Zivilisationen zur Verfügung stehen, nachdem wir unser altes Reich dem Niedergang geweiht haben, weil es keine Chance zur weiteren Ausdehnung mehr hatte. Immerhin kassieren wir  solange es noch am Spielbrett existiert jede Runde wieder einige Siegpunkte, und zwar für jede besetzte Provinz (außer Bergprovinzen) einen.

 

Wir können zwischen 6 neuen Zivilisationen wählen, die jeweils durch 2 Zivilisationskärtchen repräsentiert werden. Auf diesen Kärtchen, die willkürlich paarweise zusammengelost wurden, sind die speziellen Eigenschaften des Volkes definiert.

 

Wir haben zum Beispiel das Volk der Tierzüchter mit dem Heerführer. Diese Zivilisation ist besonders stark im Angriff, denn sie erhält zu Beginn ihrer Runde 7 zusätzliche Spielsteine, mit denen Angriffe auf benachbarte Provinzen durchgeführt werden können. Allerdings können diese Spielsteine nicht für die Verteidigung benutzt werden, da sie vor Ermittlung der Siegpunkte wieder entfernt werden müssen. Unter Umständen müssen dann eroberte Provinzen wieder leergelassen werden, wofür es dann keine Siegpunkte gibt. Die Tierzucht würde uns für jede besetzte Provinz mit Tierzucht einen zusätzlichen Siegpunkt einbringen. Zusätzlich zu diesen speziellen Eigenschaften wird durch die Zivilisationskärtchen auch die Basis-Anzahl der Spielsteine bestimmt, die dem Spieler für Eroberungen zur Verfügung stehen. Das sind in unserem Fall 2+2  für die beiden Zivilisationskärtchen und nochmals 4, weil wir zu fünft spielen. Also können wir mit den 7 zusätzlichen für den Heerführer 15 Steine ins Spiel bringen. Klingt recht viel, ist es aber nicht, wenn wir bedenken, dass wir nach unserem Zug die 7 zusätzlichen wieder entfernen müssen. Wir werden wahrscheinlich im Schnitt mehr als 3 Spielsteine pro Eroberung brauchen. So können wir vielleicht 2 Tierzucht- und 2 andere Provinzen erobern und erreichen im ersten Zug 6 Siegpunkte. Mit etwas Glück sollten wir das vielleicht eine oder zwei Runden lang wiederholen können. Ganz gute Aussichten. Allerdings besteht die Gefahr, dass auf diese Zivilisation vermehrte Angriffe ausgeführt werden, denn je früher sie untergeht, desto früher verschwindet die Gefahr durch den Heerführer für die Umgebung.

 

Die zweite Zivilisation hat als Spezial-Eigenschaft Geldwirtschaft, die uns pro besetzte Provinz einen zusätzlichen Siegpunkt einbringt und Diplomatie, wodurch ein   bindender Waffenstillstand pro Runde mit einem Gegner verkündet werden kann; von diesem Gegner kann man bis zur nächsten eigenen Runde weder angegriffen werden, noch kann man ihn angreifen. Allerdings bringt man mit dieser Zivilisation nur 0 (für die Geldwirtschaft) und 3 (für die Diplomatie) Spielsteine zusätzlich zu den 4 Basis-Spielsteinen (bei 5 Spielern) auf das Spielbrett. Keine überzeugende Streitmacht. Es liegt auch schon ein Marker auf dieser Zivilisation, weil sie von einem Spieler übersprungen wurde. Eine Wahl dieser Zivilisation würde uns deshalb 2 Siegpunkte gratis bringen. Das wäre dann schon wieder zu überlegen. Mit den 7 Spielsteinen werden wir aber wahrscheinlich nur 2 Provinzen erobern können. Durch die Geldwirtschaft sind das 4 Siegpunkte, insgesamt daher 6 Siegpunkte. Eine oder zwei Runden später müssen wir dann sofort den Niedergang verkünden und eine neue Zivilisation auswählen, wodurch wir wieder eine Runde aussetzen müssen. Das untergehende Volk wird uns auch nicht zu vielen Siegpunkten verhelfen, da es wahrscheinlich nicht lange existieren wird. Die Aussichten sind also nicht allzu rosig.

 

Als dritte Zivilisation bieten sich die Barbaren ohne Spezial-Eigenschaft aber mit 6 Spielsteinen an. Das 2. Kärtchen erlaubt uns am Ende unserer Runde eine Festung zu bauen, wodurch die Eroberung dieser Provinz um einen Spielstein erschwert wird. Das erhöht natürlich unsere Überlebenschancen, wodurch wir vielleicht auch nach dem Niedergang unseres Reiches noch einige Runden überstehen und Siegpunkte erhalten. Außerdem kommen zu den 6 Spielsteinen für die Barbaren noch 4 Spielsteine für das Zivilisationskärtchen „Festungen“ und natürlich die 4 Basis-Spielsteine dazu. Insgesamt 14 Spielsteine sind schon eine erkleckliche Anzahl; dazu noch der Bonus mit den Festungen. In der ersten Runde sollten 5 Siegpunkte möglich sein, die auch gut verteidigt sind; d.h. wir können uns in den folgenden Runden noch weiter ausdehnen und durch die Gratis-Festungen die Verteidigung stärken. Allerdings kostet uns die Wahl dieser Zivilisation 4 Siegpunkte, da für jede übersprungene Zivilisation 2 Siegpunkte zu zahlen sind. Das sollte es aber wert sein, weil ja vor allem der nächste Spieler diese starke Zivilisation bereits für 2 Siegpunkte erhalten würde, wenn wir die erste oder zweite Zivilisation in der Reihenfolge wählen. Es wird nämlich nach jeder Auswahl nach vorne aufgefüllt und anschließend ein neues Kartenpaar als sechste Zivilisation ausgelegt.

 

Die vierte Zivilisation, die wir wählen könnten, besitzt Spione, wodurch pro Runde ein Angriff mit nur 2 Spielsteinen durchgeführt werden kann (normalerweise wird pro Verteidiger ein zusätzlicher Spielstein benötigt), und Spezialisierung, wodurch das andere Kärtchen einfach verdoppelt wird. Das bedeutet wir können 2 Angriffe mit Bonus durchführen und erhalten auch die 4 Spielsteine des Spione-Kärtchens zweimal. Zusätzlich bringt das Kärtchen „Spezialisierung“ selbst noch einen Spielstein. Insgesamt haben wir also mit den 4 Basis-Spielsteinen 13 Spielsteine. Auch nicht schlecht, vor allem wenn wir bedenken, dass wir die stärksten beiden Gegner mit nur 2 Spielsteinen besiegen können. Allerdings kostet uns die Auswahl 6 Siegpunkte, da wir 3 mögliche Zivilisationen überspringen würden.

 

Die letzten beiden Zivilisationen sind sicherlich bereits zu teuer, da sie 8 bzw. 10 Siegpunkte kosten würden. An Eigenschaften bieten sie wieder entweder zusätzliche Siegpunkte für bestimmte eroberte Gebiete oder besiegte Gegner, Bonus bei Angriff oder Verteidigung oder Ausnahmen von der Standardregel. Zum Beispiel können sich zusammenbrechende und aktive Reiche angrenzend zueinander befinden, was normalerweise nicht erlaubt ist; oder es kann der Niedergang eines Reiches am Ende der aktiven Runde verkündet werden, wodurch der Spieler nicht wie sonst eine Runde aussetzen muss; „Revolution“ bedeutet, dass die Startprovinz dieser Zivilisation nicht wie üblicherweise am Spielfeldrand liegen muss, sondern beliebig am Spielfeld gewählt werden kann etc.

 

Diese Auswahl der Zivilisation ist das Herzstück dieses Spieles und vielleicht auch schon der Kritikpunkt. Denn dabei muss sehr viel gerechnet, die möglichen Angriffe geplant und die Überlebenschancen abgeschätzt werden. Dabei sind 6 Zivilisationen abzuwägen, was einige Zeit in Anspruch nimmt, in der die übrigen Spieler nur gespannt die Entscheidung abwarten können. In der auf die Auswahl folgenden Runde nimmt die Entwicklung des Volkes seinen geplanten Lauf. Man lässt die Spielsteine in einem Randfeld des Spielbretts eintreten und erobert angrenzend Provinz für Provinz, wobei man vor allem die Provinzen aussucht, die für das jeweilige Volk Zusatzpunkte bringen (Tierzucht, Landwirtschaft, Häfen, Minen). Danach verteilt man seine Spielsteine beliebig auf die eroberten Provinzen (Reorganisation) und zählt seine Siegpunkte, die in der Regel aus der Anzahl der besetzten Provinzen inklusive eines eventuell vorhandenen zusammenbrechenden Reiches und etwaiger Sonderpunkte bestehen. In der nächsten Runde kann man so viele Spielsteine wie gewünscht aus seinen Provinzen für den Angriff auf benachbarte Provinzen abziehen. Wenn dabei der letzte Spielstein aus einer Provinz genommen wird, gilt sie als unkontrolliert und muss wieder neu erobert werden.

 

Wenn man der Meinung ist, das eigene Volk hat den Höhepunkt überschritten, es ist keine weitere Expansion mehr möglich, erklärt man an Stelle seines Expansions-Zuges den Niedergang des Reiches. Die Spielsteine jeder Provinz werden auf 1 reduziert und bringen noch solange Siegpunkte für den jeweiligen Spieler bis die letzte Provinz durch einen Gegner erobert wurde oder bis der Spieler den Zusammenbruch eines weiteren Reiches vermelden muss. Dann stirbt das ältere Reich sofort. Einige Zivilisationskärtchen bringen ihrem Besitzer auch noch während des Niedergangs die Bonuspunkte für bestimmte Provinzen (Landwirtschaft, Tierzucht, Minen, Häfen), andere verlieren diesen Bonus. Nach der Untergangserklärung wählt man sich ein neues Volk aus den sechs vorhandenen Zivilisationskärtchen-Paaren und wartet eine Runde, um dieses neue Volk in die Geschichte eintreten zu lassen.

 

Dieser Spielablauf (Eintritt eines neuen Volkes, Ausbreitung, Zählung der Siegpunkte, Zusammenbruch eines Volkes bis zu endgültigen Auslöschung) kommt sicherlich denjenigen bekannt vor, die schon Empire oder Brittania gespielt haben. Der große Unterschied besteht darin, dass am Zuge eines Spielers die übrigen Spieler überhaupt nicht beteiligt sind; sie dürfen sich nicht einmal durch Würfeln verteidigen. Sie müssen tränenden Auges dem Wüten des Gegners zuschauen und können nur durch Jammern oder auch Drohen versuchen, dem Unheil Paroli zu bieten.

 

Die Eroberungen werden nämlich nicht durch Würfeln, sondern ähnlich wie bei Civilization durch Übermacht entschieden. Für jede Provinz sind grundsätzlich 2 Spielsteine nötig, für Wald- und Bergprovinzen 3. Zusätzlich muss für jeden verteidigenden Spielstein (zu Spielbeginn beherbergt jede Provinz einen einsamen prähistorischen Verteidiger) ein zusätzlicher Spielstein eingesetzt werden. Erfolgt der Angriff aus einer Gebirgsprovinz verringert sich die Anzahl der benötigten Spielsteine um 1. Außerdem muss man noch die entsprechenden Boni für das angreifende bzw. verteidigende Volk berücksichtigen und schon weiß man die für die Eroberung dieser Provinz erforderliche Spielsteinanzahl. Diese müssen in die zu erobernde Provinz eingesetzt werden und stehen für weitere Angriffe nicht mehr zur Verfügung. Die restlichen Spielsteine können für die Ausbreitung in eine Nachbarprovinz verwendet werden, solange bis kein Spielstein mehr übrig ist. Unterlegene Verteidiger müssen einen Spielstein entfernen, überlebende Spielsteine können am Ende des Spielzugs des aktiven Spielers auf andere eigene Provinzen, so vorhanden, verteilt werden. Für den aktiven Spieler ist wichtig, dass am Ende seines Spielzugs die besetzten Provinzen ein zusammenhängendes Gebiet bilden. Spielsteine in nicht angrenzenden Provinzen werden entfernt. Ein Zerreißen des Reiches, während ein anderer Spieler an der Reihe ist, spielt keine Rolle, wenn es gelingt, das Reich während des eigenen Zuges wieder zu einer Einheit zusammenwachsen zu lassen.

 

Das Spiel endet, wenn ein Spieler die zum Sieg notwendige Punktzahl erreicht hat.

 

Im Großen und Ganzen ist es ein Spiel mit ziemlich einfachen Regeln und wirklich schnell erklärt. Nur die Möglichkeiten der einzelnen Zivilisationskärtchen muss man genau studieren. Hier ist vielleicht ein Nachteil, dass es nur 2 Regelzusammenfassungen mit der Beschreibung der einzelnen Zivilisationskärtchen gibt, so dass es bei den ersten Spielen ein regelrechtes Gerangel darum gibt. Die Regel ist recht kurz und aufgrund der Einfachheit der Spielregeln auch sehr klar. Das Spielmaterial ist funktionell. Gespielt wird auf einer modern-künstlerisch gestalteten Europakarte mit kräftigen Farben mit einfachen Holz-Spielsteinen. Die Zivilisationskärtchen sind handlich und übersichtlich gestaltet, wenn man das Spiel bereits öfter gespielt hat.

 

Der Vorteil dieses Spieles ist, dass man es nach kurzem Regelstudium schnell beginnen kann. Der Nachteil besteht darin, dass es praktisch keine Interaktion gibt und es daher vor allem bei sechs Spielern zwischen den Spielphasen immer wieder lange Spielpausen für den Einzelnen gibt. Mehr Spieler bringen natürlich mehr „Äktschn“ am Spielpan, weniger Spieler vielleicht noch etwas mehr Taktik. Die optimale Spieleranzahl könnte 4 bis 5 sein.

 

Meine Meinung ist zwiegespalten. Es ist sicher ein gutes, strategisches und logisches Spiel. Die wichtigste Entscheidung, die getroffen werden muss, ist das Auswählen der Zivilisation. Die weiteren Handlungen sind damit fast zwangsläufig vorgegeben, weil es überhaupt keine Glückskomponente oder Interaktionen gibt, die den Ablauf beeinflussen. Es ist alles relativ leicht ausrechenbar. Dadurch kann sich das Spiel unter Umständen manchmal recht ziehen, wenn zu viele Rechner am Tisch sitzen (ich nenne keine Namen, auch meinen nicht) oder bei den ersten Spielen, wenn die Zivilisationskärtchen alle noch neu sind. Mir fehlt an dem Spiel entweder die Komplexität zwischen vielen Entscheidungen auswählen zu müssen, wodurch man auch zwischen den Spielzügen das Spielgeschehen beobachten muss, weil sich ständig die Entscheidungskriterien ändern, oder echte Interaktionsmöglichkeiten, die diese „Einer spielt, die anderen fadisieren sich“-Charakteristik verhindern.

 

Wer allerdings ein klar strukturiertes, doch anspruchvolles Spiel mit wenig Regeln und ohne Glücksfaktor sucht und gerne sein eigenes Spiel spielt, ohne von anderen abhängig zu sein, wird hier auf seine Rechnung kommen.

 

Meine persönliche Wertung stuft das Spiel nicht als „Superspiel“, auch nicht als „sehr gutes Spiel“ aber doch als „gutes Spiel“ ein (darunter gibt es auch noch „nicht schlecht“, „Durchschnitt“ und „schwach“).