UNSERE REZENSION

 

LEHRLINGE MACHEN KEINE KLEIDEr, LEIDER

 

ROKOKO

 

ENDlich einmal kein Worker-Placement!

 

Im „Brettspiel-Barock“ haben wir uns an vielen neuen, üppigen und prächtigen Spielmechanismen erfreuen dürfen: Mehrheiten-Wertungen, Ressourcen-Management, Worker-Placement, Kartendeck-Bau, etc. Dieses Zeitalter dürfte jedoch bereits zu Ende gegangen sein; im Wesentlichen wiederholen neue Brettspiele nur mehr bereits bekannten Mechanismen, in den besseren Fällen immerhin noch auf eine verfeinerte und elegante Weise weiterentwickelt – vielleicht befinden wir uns derzeit also im „Brettspiel-Rokoko“?

 

Im gleichnamigen Spiel leiten wir jedenfalls jeweils eine Schneiderei und sollen schöne Kleider für die adeligen Damen und Herren am französischen Hof anfertigen. Demnächst wird dort nämlich eine große Ball-Veranstaltung stattfinden und es fehlt noch an allen Ecken und Enden: Aus diesem Grund genügt unser Kleider-Handwerk nicht, wir sollen auch noch die Musikanten bezahlen, das mitternächtliche Feuerwerk finanzieren und den Brunnen sowie die Statuen für den Garten sponsern. Als Dank für all unsere Mühen bekommen wir natürlich kein schnödes Geld – mit ein wenig Ansehen, in der Form von Siegpunkten, sind wir schon zufrieden (vermutlich werden wir deswegen das Gespött der ganzen Ballnacht sein).

 

Auf dem (grafisch sehr schön gestalteten) Spielplan ist u.a. ein Palast mit fünf leeren Sälen zu sehen; nur die Musiker haben sich schon eingefunden, auf dem Dach sind das Feuerwerks-Projekt und im Garten die Statuen und der Brunnen zu erkennen – all das muss aber noch – und zwar von uns! – bezahlt werden. Die jeweils aktuell verfügbaren Entwürfe der Kleider werden (als Plättchen) in einer Reihe ausgelegt. Auch zum Fertigstellen eines Kleides braucht es natürlich „Zutaten“; aus diesem Grund ist auf jedem dieser Kleider-Entwürfe (bzw. Schnitt-Muster) ersichtlich, welche Farbe und Menge an Stoff dafür benötigt wird und ob auch noch Spitze bzw. Garn zu vernähen sind. Somit müssen wir zuvor Stoffballen, Spitze und Garn käuflich erwerben, um diese später in ein passendes Kleid „umzutauschen“. Ein fertiges Kleid kann dann in einem der Säle auf dem Spielplan platziert werden und wird – für die späteren Siegpunkte – mit einem Besitzmarker des jeweiligen Mitspielers gekennzeichnet; wobei das Kleider-Plättchen zuvor noch auf dessen Rückseite gedreht wird, auf welcher (Überraschung!) eine mit unserem Werk bekleidete adelige Person abgebildet ist.

 

So weit, so bekannt (und noch eher unspektakulär); in den letzten Jahren haben wir wohl die meiste Spielzeit damit zugebracht, um uns auf Feld X Rohstoffe zu besorgen, um diese auf Feld Y oder Z in Gebäude, Maschinen, etc., bzw. letztlich in Siegpunkte umzuwandeln. Hier funktioniert das aber nicht über Worker-Placement, sondern über Karten. Mit dem Ausspielen einer Karte kann ich mir also entweder Rohstoffe (bzw. rohe Stoffe) besorgen oder diese zu einem Kleid schneidern. Zwar ist das jetzt auch nicht so originell, bemerkenswert ist jedoch, dass jede Karte grundsätzlich jede der sechs möglichen Grundaktionen erlaubt (also ähnlich wie bei „Brügge“ von Stefan Feld). Dazu gibt es jedoch eine sehr wichtige Einschränkung, zumal die Karten entweder einen Meister, einen Gesellen oder einen Lehrling verkörpern. Wie unschwer zu erraten, darf ein Lehrling nicht alles machen: Man kann ihn nur zum Stoff-Einkauf schicken, als Geld-Bote für die Finanzierung der Ball-Ausstattung (Feuerwerk, Musiker, Statuen oder Brunnen) verwenden oder gleich kündigen (etwa weil er nicht einmal zum Sauber-Machen der Werkstatt taugt). Zum einen bringt das Kündigen eines Mitarbeiters ein einmaliges Extra-Einkommen (wobei ein Meister auch dafür am lukrativsten wäre); zum anderen hat man für das weitere Spiel weniger Karten zur Verfügung. Ein wesentliches Spielelement ist hier nämlich der Kartendeck-Bau: Alle beginnen mit den gleichen fünf Arbeiter-Karten und können diesen Personalbestand um bessere Kollegen ergänzen. Für ein derartiges Einstellen eines weiteren Mitarbeiters ist ausschließlich ein Meister kompetent. Schon aus diesem Grund wäre es also nicht sehr geschickt, ausgerechnet den eigenen letzten Meister „versilbern“ zu wollen, abgesehen davon, dass jede Kündigung natürlich auch eine Aktion kostet. Stellt man hingegen zu viele neue Arbeiter ein, hat man auch bei „Rokoko“ das Problem, dass die gewünschte starke Karte vielleicht nicht schnell genug wieder in der eigenen Kartenhand auftaucht. Immerhin passiert das Nachziehen der Karten hier nicht zufällig, zu Beginn jeder Runde suchen sich alle Mitspieler jeweils drei Karten aus – der restliche Stapel muss aber erst zur Gänze durchgespielt werden, bevor man wieder seine komplette Auswahl zu Verfügung hat. Außerdem darf eine soeben erworbene Arbeiter-Karte noch in derselben Runde genutzt werden.

 

Neben den bereits genannten fünf Aktionsmöglichkeiten – Stoffe kaufen, Kleid schneidern, Geld für die Finanzierung des Balles überbringen, neue Arbeiter einstellen, alte Arbeiter kündigen – gibt es als sechste und letzte Aktion noch die Sicherung des Startspieler-Vorteiles für die kommenden Runde. Das bedeutet zwar Tempoverlust in der aktuellen Runde, wird dafür aber auch noch mit Geld versüßt. Als Startspieler darf man dann natürlich aus der vollen und frischen Auswahl an Rohstoffen, Kleidern und besseren Arbeitern schöpfen; als Ausgleich dafür sind die frühen Einkäufe bei Rohstoffen und Arbeitern teurer als wenn man erst später zuschlägt. Neben dem Startspieler-Bonus und der Kündigung von Mitarbeitern ist der Verkauf von fertigen Kleidern eine der wesentlichen Geld-Quellen; ein verkauftes Kleid fehlt einem aber natürlich für die Siegpunkte-Abrechnung.

 

Wofür gibt es am Ende nun Siegpunkte? Im Wesentlichen eigentlich für alles: Fertige Kleider, eine Mehrheit von eigenen Kleidern in einem (oder mehreren) der fünf Säle, Anwesenheit in allen fünf Sälen, das (Mit-)Finanzieren von Feuerwerk, Musikern bzw. Statuen; dennoch wirkt es nicht beliebig, was ich tue bzw. worauf ich mich konzentrieren und was ich vernachlässigen möchte. Auch manche der Arbeiterkarten weisen als exklusive Bonusfunktion das Lukrieren von Siegpunkten auf. Diese Extra-Aktionen der Arbeiter (u.a. auch Geld oder sonstige Vorteile) werden bei den erst später ins Spiel kommenden Karten natürlich immer stärker. Zwar sind die Anzahl dieser Karten und deren Sonderfunktionen schon bei Beginn bekannt, dennoch ist es nicht so leicht, sich eine bestimmte Karte zu sichern (bzw. darauf zu spielen). Bei der Aufteilung der Karten (auf die sieben Runden) kann nämlich jede entweder eine Runde früher oder später auftauchen, sodass es sogar notwendig sein könnte, zwei Runden hintereinander Startspieler sein zu müssen. Will man jedoch unbedingt bestimmte Kombinationen herstellen, bedeutet das ein mehr oder weniger spekulatives Aufgehen (oder Scheitern) der eigenen Strategie, damit man letztlich „aus dem Schneider“ ist.

 

Bei der Vielfalt dieser Nebenfunktionen wäre etwas weniger vielleicht mehr gewesen, manche erscheinen nämlich eher unnötig bzw. nicht sehr attraktiv (aber vielleicht lernt man diese erst durch häufigeres und gezielteres Spielen schätzen). Dafür sind insbesondere auch die Symbole der jeweiligen Boni sehr gut verständlich gestaltet; wenn etwas dennoch nicht ganz klar sein sollte, findet man sich leicht und schnell auf dem entsprechenden Übersichtsblatt zurecht. Auch sonst sind die Symboliken des Spielbrettes sowie die Spielanleitung zu loben, offenbleibende Fragen gibt es eigentlich nicht und das Meiste ist sogar selbst erklärend bzw. sehr intuitiv zu verstehen. Beispielsweise wird das Mitfinanzieren des Brunnens mit regelmäßigem Extra-Einkommen belohnt – das Plätschern von Wasser wird also auf sinnfällige Weise auf das Sprudeln von Geld übertragen. Oder: Meister, Gesellen und Lehrlinge sind auf prägnante Weise durch die Farben und Formen ihrer Fingerhüte gekennzeichnet; auf dem Spielplan wiederum ist deutlich markiert, welcher Fingerhut – also welcher Arbeiter – welche Aktion nicht durchführen darf. 

 

Etwas störend ist lediglich die Farbwahl: Sowohl vier der fünf Spielerfarben als auch die Kleiderfarben sind nämlich rot, gelb, blau und grün. Bei manchen Spielsituationen kann das schon etwas verwirrend und unübersichtlich sein. Beim Spielmaterial sind die Holzteile für Garn und Spitze deutlich weniger attraktiv als die Spielplan- und Kartengrafik ausgefallen. Ein wenig schade finde ich auch, dass das Geschehen auf dem Spielplan eher statisch ist: Dieser wird eigentlich nur für das Platzieren der Kleider und der jeweiligen Besitzmarker genutzt, danach „bewegt“ sich jedoch nichts mehr. Erst bei der Abrechnung werden einige Adelige vom obersten Stockwerk auf die Dach-Terrasse verschoben, um sich am Feuerwerk zu ergötzen (was uns natürlich weitere Siegpunkte bringt). Vielleicht hätte es also gut getan, wenn manche der Arbeiter-Sonderfunktionen die Möglichkeit bieten würden, bereits platzierte Kleider/Adelige in einen anderen Saal umlegen zu dürfen.

 

Die Interaktion zwischen den Mitspielern besteht im Wesentlichen im Wegschnappen der diversen Ressourcen, Arbeiter-Karten, Kleider-Entwürfe und der Plätze (bzw. Mehrheiten) auf dem Spielplan. Meistens gibt es auch für den Zuspätkommenden noch brauchbare alternative Möglichkeiten, sodass sich das nicht sehr aggressiv bzw. frustrierend anfühlt; dennoch bleibt es spannend, ob man die eigenen Wunsch-Aktionen auch wie geplant durchführen kann bzw. ob man taktisch doch noch schnell auf etwas Anderes umschwenken sollte. In einer Partie zu zweit gibt es natürlich eine deutlich höhere Motivation zu einer konfrontativeren Spielweise, sodass der Kampf um die diversen Mehrheiten hier prägnanter ausfallen kann. Aufgrund des gemeinsamen Aussuchens der eigenen drei Karten zu Beginn jeder Runde bleiben die Wartezeiten in einem vernünftigen Rahmen, zumal man sich ja schon beim Auswählen überlegt haben sollte, welche Aktionen man als nächstes gerne machen möchte. Lediglich im Extremfall – ein Mitspieler hat nur mehr vier, der andere schon ca. ein Dutzend Karten zur Auswahl und plant auch schon für die übernächste Runde vor – muss man etwas Geduld aufbringen. Für die gesamte Spieldauer wären vielleicht nur sechs – statt sieben – Runden besser gewesen, dafür können so auch längerfristige Strategien Erfolg versprechen.

 

Angenehm fällt insbesondere auch auf, dass alle – nach der relativ wenig zeitaufwändigen Regelerklärung – sofort losspielen können. Es bedarf keiner langwierigen Herum-Tüftelei über die ersten Züge, man kann alles einmal ausprobieren und wird schon sehen was daraus folgt, da es keine „Strafen“ (etwa wegen fehlender Nahrung für Arbeiter, oder dgl.) für Spielfehler gibt. Selbst wenn einem das Geld ausgeht, kann man immer noch einen Arbeiter kündigen, und muss deswegen bei der End-Wertung nicht chancenlos sein. Das insgesamt schöne, positive und sehr runde Spielerlebnis wird auch durch das gewählte Thema verstärkt. Und es ist zwar klischeehaft, doch wird das Schneidern von Kleidern und das „Anziehen“ von „Püppchen“ gerade auch Mitspielerinnen wohl eher ansprechen, welche sonst weniger leicht zum Ausprobieren von derartigen Spielen zu bewegen sind.

 

Harald Schatzl

 

Spieler: 2 - 5

Alter: 12+

Dauer: 120+

Autor: Matthias Cramer, Stefan und Louis Malz

Grafik: Michael Menzel, Andreas Resch

Preis: ca. 35 Euro

Verlag: eggertspiele / Pegasus Spiele 2013

Web: www.pegasus.de

Genre: Ressourcen-Management

Zielgruppe: Mit Freunden

Version: multi

Regeln: de en

Text im Spiel: nein

 

Kommentar:

sehr gute Anleitung und Symbolik

schöne Grafik

auch zu zweit und zu fünft spielbar

bei vier und fünf Mitspielern eher zu lange Spieldauer

 

Vergleichbar: Fresko (ohne Worker-Placement); Brügge (jede Karte bietet die gleichen Grundaktionen); Säulen der Erde (jede Runde sind bessere Arbeiterkarten verfügbar); Concordia (moderater Kartendeckbau)

 

Andere Ausgaben:

Arclight, Eagle Games, Filosofia, White Goblin Games, Hobbity.eu

 

Meine Einschätzung: 6

 

Harald Schatzl:

 „Rokoko“ bietet bei einem relativ geringen Regelaufwand zwar keine neuen oder gar originellen Mechanismen, dafür ein wirklich sehr schönes, spannendes, rundes und positives Spielerlebnis sowie ein attraktives Thema. Das „tapfere Schneiderlein“ verdient immerhin sechs Sterne „auf einen Streich“.

 

Zufall (rosa): 1

Taktik (türkis): 3

Strategie (blau): 2

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 0

Interaktion (braun): 1

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0