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WEINWÜRFEL & CO

 

Grand Cru

 

Nach der Spielanleitung Weinwürfel von Rebenplättchen lesen

 

Der Ernteertrag des Weinherbstes 2010 soll wetterbedingt wenig ergiebig ausgefallen sein. Im Spieleherbst 2010 sind hingegen gleich vier Wirtschaftsspiele zum Thema Weinbau erschienen: Neben „Grand Cru“ noch „Vinhos“ (Huch & friends), „King´s Vineyard“ (Mayday Games) und „Toscana“ (Aqua Games). (Als früheres Spiel fällt mir bloß „Vino“ (Goldsieber 1999) ein). „Grand Cru“ wird vom Verlag mit einem Komplexitätsgrad drei (von vier „Fuchs-Tatzen“) bewertet. Das trifft unter der Einschränkung zu, dass es auch noch komplexere Spiele mit fünf oder sechs „Tatzen“ gibt – etwa das Konkurrenz-Spiel „Vinhos“ dürfte in diese Kategorie fallen. Der Grundmechanismus bei „Grand Cru“ ist eigentlich sehr einfach, geradezu banal: Wir kaufen Weinreben-Plättchen (die  gibt es in fünf Sorten/Farben), welche jede Runde (= ein Spieljahr) einen Ertrag von jeweils einem Weinwürfel in der entsprechenden Farbe abwerfen. Nach dem „Ernten“ dieser Weinwürfel – oder vielmehr „Lesen“, wie wir önologisch gebildeten Winzer wissen – können diese verkauft werden, womit das spielsiegentscheidende Geld verdient wird. Diverse Sonderfunktionen und -aktionen gestalten den Spielablauf vielfältiger und reizvoller, sind in der ersten Partie aber etwas verwirrend.

 

Ein schönes Spielelement ist zunächst die variable Anzahl an Spielrunden sowie die variable Anzahl an Aktionen pro Runde. Den Mitspielern steht zu Spielbeginn jeweils bloß ein Tableau zur Verfügung, auf dem ein kleiner Weinberg (für die Plättchen) sowie mehrere Fässer (zur Lagerung der Weinwürfel) abgebildet sind; ansonsten sind wir pleite. Für das Startkapital muss ein Kredit aufgenommen werden. Das Spiel endet, sobald ein Mitspieler sein ganzes Fremdkapital zurückgezahlt hat (der deswegen aber nicht gewonnen haben muss) – oder sobald jemand bankrott gegangen ist, weil er keine weiteren Kredite zur Zahlung der Zinsen mehr aufnehmen kann. Mit mehr als (insgesamt) 77 Franc darf man sich nämlich nicht belasten (ja, hier wird tatsächlich noch – oder schon wieder? – in Franc gerechnet). Der hier maßgebliche „Zahlenraum 100“ (wie VolksschullehrerInnen zu sagen pflegen) bietet eine erfreuliche Überschaubarkeit der eigenen Berechnungen. Man muss sein (ohnehin vom Wein benebeltes) Hirn nicht mit Zahlen mit vielen Nullen belasten, sondern kann sich ganz auf die gewünschten bzw. möglichen Spielstrategien konzentrieren. Vordringlich ist jedenfalls der verpflichtende Zinsendienst jede Runde: 3 bis 13 Franc klingen zwar nach wenig, für unsere Mikrokredite bedeutet das aber eine Soll-Verzinsung zwischen 17 und 43 % p.a.! Und der jährliche Verdienst ist lange Zeit äußerst bescheiden. So sieht man sich in den ersten Runden häufig mit der Entscheidung konfrontiert, dass man bloß wegen der jährlichen Zinsenlast weitere Kredite aufnehmen muss, welche die Zinsen im Jahr darauf natürlich noch mehr in die Höhe treiben. Das damit verbundene Bangen um die eigene wirtschaftliche Existenz erzeugt ein witziges, eigentümlich sich-getrieben-fühlendes, beinahe schon tunnelblickartiges Spielgefühl.

 

Der Einkauf der Weinreben- bzw. der Funktionsplättchen ist auf eine interessante Art gelöst:  Entweder ich kaufe ein Plättchen um 7 Franc – was doch eher teuer ist, zumal man ja mehr als ein Plättchen benötigt – oder ich versuche, einen Spezial-Preis von 1 bis 6 Franc zu bekommen. Damit ist jedoch das Risiko verbunden, dass ein Mitspieler für das von mir gewünschte Plättchen einen höheren Preis zu zahlen bereit ist und mir dieses somit entweder verloren geht oder ich doch mehr als zunächst erhofft bezahlen muss. Was wie ein weiterer mühsamer und tüftelanfälliger Versteigerungsmechanismus erscheint, ist tatsächlich eine schöne Innovation: Jedes Anbieten bzw. das weitere Erhöhen kostet nämlich eine zusätzliche Aktion zu der späteren (und noch dazu unsicheren) Kauf-Aktion. Vielleicht ist es also doch besser, gleich um 7 Franc zu kaufen, weil man sich damit (möglicherweise frustrierte) andere Aktionen erspart? Eine Spielrunde (bzw. ein Spieljahr) kann nämlich – abhängig von der Strategie der Mitspieler – schon nach (nur) vier Aktionen vorbei sein! Zuviel Herum-Getue auf dem Einkaufsmarkt verhindert sohin leicht das Ernten und den Verkauf der Weinwürfel.

 

Dieser originelle Einkaufs-Mechanismus hat aber seine Schattenseiten: Zum einen kann in manchen Spielrunden ein Automatismus ohne Interaktion entstehen, bei dem jeder seine Plättchen um jeweils 1 Franc kauft. Oder „klug“ spielende Strategen können sich aufgrund einer weniger rationalen Spielweise willkürlich behandelt vorkommen: Etwa will Spieler A das rote Weinrebenplättchen um 1 Franc kaufen. Spieler B möchte weniger gierig erscheinen und will das lila Weinrebenplättchen um 3 Franc kaufen. Dennoch erhöht Spieler C nicht den Preis der roten Weinrebe, sondern jenen der blauen. Und Spieler D kümmert das alles wenig, er verkauft lieber Weinwürfel. Ergebnis: Spieler A erhält billigst eine rote Weinrebe, Spieler B erhält nichts und hat sogar (entschädigungslos) eine Aktion verloren.

 

Der Autor ist gegenüber Hausregelvarianten aber sehr liberal eingestellt. Zunächst hat es im Internet eine heftige Diskussion darüber gegeben, ob das Spiel wegen der minimal möglichen nur vier Aktionen pro Runde „kaputt“ sei, weil dadurch ein Mitspieler gezielt die Strategien seiner Kontrahenten zerstören könne. Dem wurde das Argument entgegen gehalten, dass die anderen eben mehr auf diesen Mitspieler achten müssten und diesem gewisse Funktionsplättchen entweder gar nicht oder eben nur zum Preis von 7 Franc überlassen dürfen. Der Autor hat im Zuge dieses Streites gemeint, dass man gerne auch mit (mindestens) fünf oder sechs Aktionen pro Runde spielen könne, wenn einem das besser erscheint. Meine Anregung wiederum war, dass man quasi als Entschädigung für jedes Überbieten beim Einkauf (bzw. für jedes Hinauswerfen auf der Versteigerungstabelle) einen Punkt auf der „Prestigeleiste“ erhält. (Mit den Punkten dieser „Prestigeleiste“ können zum Ende jeder Runde diverse Sonderaktionen durchgeführt werden – vergleichbar den vielen „worker placement“-Spielen). Der Autor findet diese Idee „durchaus interessant“, weder er noch ich haben diese jedoch getestet. (Und gleich noch zwei weitere Anregungen, die mir sinnvoll erscheinen: Für das Nutzen des Plättchens „Reiche Ernte“ sollten 2 – und nicht bloß 1 – Franc bezahlt werden müssen. Und in der Schlussabrechnung sollte die Bewertung der verkaufbaren, bereits reifen Weinwürfel nicht bloß mit 1 Franc, sondern mit dem jeweils aktuellen, abgerundeten halben Verkaufspreis erfolgen).

 

Viel Interaktion kann es auch beim Verkauf der Weinwürfel geben: Die aktuellen Verkaufspreise für die fünf Farben sind nämlich einer (gemeinsamen) Kurstabelle zu entnehmen und sinken bei jedem Verkauf jeweils um 1 Franc (pro Farbe). Eine Preissteigerung wiederum ist ganz einfach (als eine eigene Aktion) möglich. Von einer Preissteigerung profitiert primär aber natürlich ein Mitspieler, der unmittelbar nach mir Weinwürfel in der gleichen Farbe verkaufen kann (und will) – gleichzeitig treibt mir dieser Mitspieler damit „meinen“ Verkaufspreis wieder in den (Wein-)Keller. Dieser Mechanismus kann in „unkooperativen“ Spielrunden dazu führen, dass gar niemand Preissteigerungen vornimmt, um nicht den Mitspielern eine Auflage zu bieten; was insgesamt zu weniger Verkaufserlösen und zu einer deutlich längeren Spieldauer führt (sofern dadurch nicht bald jemand bankrott geht).

 

Positiv ist am Spielgefühl hervorzuheben, dass die möglichen Aktionen (neben den Aktionen für den Einkauf noch Ernten, Preissteigerung, Verkauf und spezielle Aktionen aufgrund von Funktionsplättchen) in beliebiger, selbstgewählter Abfolge zu kombinieren sind und nur wenig Zeit in Anspruch nehmen, sodass grundsätzlich – ähnlich wie bei den Rondell-Spielen von Mac Gerdts (siehe WIN Jänner 2011) – kaum Wartezeiten aufkommen sollten. Auch hier ist es außerdem wesentlich, nicht bloß sein Kapital effizient einzusetzen, sondern auch die Aktionen (pro Runde) selbst. 

 

Neben einer möglichen Monotonie im letzten Spieldrittel fällt negativ zum einen das Spielmaterial auf: Zwar ist „Weinwürfel“ eine wunderhübsche Wortschöpfung, erinnert optisch aber mehr an den namenlosen Billigsdorfer-Wein im Tetra-Pack als an noble Burgunder (und Weintrauben sind bekanntlich rund und nicht eckig). Auch sonst ist alles eher lieblos und „gerade noch“ zweckmäßig ausgestattet. Zum anderen erscheinen einige der Spielmechanismen auch nicht wirklich stimmig zum gewählten Thema (etwa die wucherischen Zinsen für die Mikrokredite, das Unterbieten des Einkaufspreises für Weinreben, das Lesen der Weintrauben auch schon im Frühling, die willkürlichen Steigerungen der Verkaufspreise). Hier wäre mehr Humor und Mut zur Hässlichkeit tatsächlich mehr gewesen: Statt „Grand Cru“ der „Grindige Heckenklescher“! Dabei würden wir möglichst billig Tetra-Pack-Weine für den Diskontmarkt produzieren, um zu Spielende hoffentlich aus unserer prekären wirtschaftlichen Existenz herausgekommen zu sein. Und anstelle der Sonderedition in der Holz-Box hätte der Verlag als „Luxus-Verpackung“ einen 5-Liter-Tetra-Pack anbieten sollen.

 

Es wird ein Weinwürfel sein

Zuletzt ist noch die kleine Erweiterung des österreichischen Spielemuseums hervorzuheben: Mit den (in ihren Funktionen sehr stimmigen) Plättchen „Heuriger“ und „Gemischter Satz“ kommt Wiener Lokalkolorit ins Spiel. Zusätzlich sollten dann natürlich auch die Weinwürfel als Grüner Veltliner, Riesling, Zweigelt, Blauburger und „lila Jause“ eingewienert werden.

 

Harald.Schatzl@spielen.at

 

 

Spieler         : 2 - 5

Alter            : ab 12 Jahren

Dauer           : ca. 90 +

 

Autor           : Ulrich Blum

Grafik          : Alexander Jung

Titel            : ident

Preis            : ca. € 35

Verlag          : eggertspiele 2010

                    www.eggertspiele.de

        

Genre                    : Wirtschaftsspiel

Zielgruppe             : mit Freunden

Mechanismen         : Kaufen und Nutzen von Plättchen, Sonderaktionen mit „worker placement“

 

Kommentar:

variable Rundenzahl, Spieldauer und Aktionsanzahl

origineller Einkaufs-Mechanismus

leichte Spielthemaverfehlung

teilweise unstimmige Spielmechanismen

eher liebloses bzw. simples Spielmaterial

keine Kurzspielregeln für die Mitspieler

 

Vergleichbar:

für das „Abernten“ von Plättchen etwa Puerto Rico, Cuba; für die Sonderaktionen des „Weinfestes“ alle „worker placement“-Spiele

 

Meine Bewertung: 5

 

Harald Schatzl:

Die Spielmechanismen von „Grand Cru“ punkten mit durchaus origineller Eleganz, einer animierenden Frische und pfeffrigen Noten, können im Abgang jedoch leider auch zu einem unangenehm bitteren Nachgeschmack im Spielgefühl führen; das etwas unausgewogene Preis-/Spielmaterialverhältnis muss man sich erst „schöntrinken“.

 

Zufall                            1

Taktik                  3

Strategie__                  2

Kreativität          

Wissen_              

Gedächtnis          1

Kommunikation   2

Interaktion                   3

Geschicklichkeit 

Action