UNSERE REZENSION

 

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Das Geheimnis von Monte Cristo

Spannende Schatzsuche im Château D’If

 

Heute muss es ja immer irgendwie englisch zugehen um hip zu sein, um die junge Generation zu begeistern und um ganz vorne mit dabei zu sein. Ein „Brettspiel“ klingt da so altbacken, dass es kaum jemanden hinter dem Ofen hervorlockt – nein, ein krasses Boardgame muss es sein, mit vielen Meeples und – noch krasser – mit einem coolen „Action Slide“, wie beim „Geheimnis von Monte Cristo“, das unlängst bei eggertspiele erschien. Der Begriff „Kugelbahn“ würde ja auch viel zu sehr nach Kinderspiel klingen.

 

Ein Kinderspiel ist das Werk von Arnaud Urbon und Charles Chevallier aber tatsächlich nicht, obwohl die Regel inklusive zahlreicher Illustrationen gerade einmal vier Seiten einnimmt und ebenso schnell gelesen wie verinnerlicht ist. Die Story der Schatzjäger, die mit ihren Booten von Marseille aus auf dem Weg zum Château D’If sind, um die sagenumwobenen Schätze des Grafen von Monte Cristo zu finden, ist zwar ziemlich aufgesetzt, aber wie üblich grafisch von Michael Menzel stimmungsvoll auf Spielplan und Versorgungskarten in Szene gesetzt.

 

Ich geb mir die Kugel

 

Herzstück des Spiels sind vier Aktionen, die immer in derselben Reihenfolge durchgeführt werden, wobei die Spielerreihenfolge über das eingangs erwähnte „Action Slide“ gesteuert wird. Jeder Schatzsucher hat dort in vier Bahnen vier (bei zwei Spielern sechs) Kugeln in seiner Farbe liegen, deren Position zu Beginn zufällig bestimmt wird. Ein Aktionsmarker zeigt an, welche der Bahnen gerade abgehandelt wird und somit, welche Aktion derjenige durchführen darf, dessen Kugel ganz unten in der Bahn liegt. Er wird der sogenannte „aktive Spieler“. Nachdem eine Aktion durchgeführt wurde, wirft der aktive Spieler seine Kugel an einer anderen Bahn ganz oben wieder ein und der Marker wandert zur nächsten Aktion. Im Einzelnen sind dies die folgenden:

 

VERSORGUNG:

Der aktive Spieler zieht so viele Karten, wie Spieler teilnehmen, sucht sich eine davon aus uns verteilt die übrigen an die Mitspieler. Die Karten besitzen mehrere Funktionen. So zeigen sie unterschiedlich viele Schatzsucher. Entsprechend der zugewiesenen Karte nehmen sich die Spieler reihum die dort abgebildete Anzahl an Figuren aus dem allgemeinen Vorrat und stellen sie vor sich ab. Diese dürfen im Château D’If eingesetzt werden. Zudem zeigen die Karten verschiedenfarbige Taschen. Diese sind später vonnöten, um die gehobenen Schätze abzutransportieren, denn laut Spielregel darf ein grüner Smaragd auch nur in einer grünen Tasche getragen werden, Rubine nur in einer roten und so weiter.

 

SCHATZSUCHER:

Wer Schätze finden will, sollte überhaupt erst einmal ein paar Schatzsucher ins Schloss schicken. Dies geschieht in dieser Aktion. Auch hier hat der aktive Spieler wieder einen Vorteil, denn während die übrigen Spieler lediglich eine Figur in einem Verlies des Châteaus (oder in einem der Bonusbereiche, die wir später noch näher kennenlernen werden) platzieren dürfen, sind es beim aktiven Spieler derer drei.

 

SCHATZTRUHE:

Gut, jetzt sind schon mal Schatzsucher im Château gelandet, fehlen nur noch die Schätze. Und damit die nicht ausgehen, werden in jeder Runde drei neue, zufällig gezogene Schatzplättchen in verschiedene Verliese gelegt. Sobald in einem Verlies vier Plättchen liegen, erfolgt sofort eine Wertung. Alte Abenteurerhasen erkennen auf den ersten Blick, dass sie hier die Möglichkeit haben, direkt zu beeinflussen, wann und vor allem wo eine Wertung stattfindet – sofern sie selbst die unterste Kugel an dieser Aktion liegen haben und aktiver Spieler werden. Und um genau diese Voraussetzung aktiv zu beeinflussen, gibt es noch Aktion Nummer vier:

 

REIHENFOLGE ÄNDERN:

Der aktive Spieler (und nur der!) darf entweder eine seiner Kugeln in einer beliebigen Bahn um eine oder zwei Positionen nach unten verschieben und so bestimmen, wann er wo das nächste Mal an die Reihe kommt, oder er erhöht den Marktwert einer bestimmten Edelsteinsorte, indem er den entsprechenden Marker auf einer Skala um ein oder zwei Positionen nach oben schiebt. Die neben den Steinen abgebildete Zahl zeigt an, wie wertvoll die jeweilige Sorte aktuell ist. So lässt sich nicht nur hervorragend die Spielerreihenfolge beeinflussen, sondern auch, wie viele Siegpunkte die eigenen Schatzsucher pro abtransportieren Stein abgreifen, wenn es im Schloss zu einer Wertung kommt.

 

Kleiner Bonus gefällig?

 

Ja, die oben beschriebenen Aktionen sind nicht allzu kompliziert und ja, für ein Spiel, das bei eggert erscheint, ist dies vielleicht etwas wenig. Wie praktisch, dass es noch den Bonusbereich im oberen Bereich des Spielplans gibt, der alternativ zur Platzierung einer Figur im Château besetzt werden kann. Dieser Bonus greift sofort und bringt z.B. eine „Jokertasche“, die als Tasche einer beliebigen Farbe gilt, drei zusätzliche Schatzsucher, die ganz ohne Versorgungskarte in den Besitz des Spielers übergehen oder direkt zwei Siegpunkte. Die vierte und letzte Bonusoption ist die Verstärkung der Schatzsucher in den Verliesen und ist im Grunde identisch mit der Aktion „SCHATZSUCHER“. Wer eine Figur auf diesem Bonusfeld abstellt, darf sofort bis zu zwei weitere Figuren aus seinem persönlichen Vorrat in die Verliese setzen.

 

3 mal 3 ist 9 – die Wertung

 

Kommen wir endlich zu dem Punkt, der echte Abenteurer am meisten interessiert: Wie komme ich an die Schätze ran?! Auch das verläuft – ganz entgegen der langläufigen Meinung bezüglich des Verhaltens raffgieriger Schatzsucher – schön ordentlich und klar geregelt. Sobald in einem Verlies genau vier Schatzplättchen ausliegen, was in der Regel erstmals schon nach rund 15 Minuten der Fall ist, geht es ans Einsammeln. Und zwar reihum in allen sechs Verliesen, auch wenn dort noch keine vier Plättchen liegen. Wer in einem Verlies die meisten Figuren stehen hat (bei Gleichstand hat der Vorrang, der zuerst da war), darf als Erster seine Taschen packen. Was aber ein ehrenhafter Schatzsucher ist, hält sich dabei selbstverständlich an den bekannten „Ehrenkodex“: Bitte nur ein Stein pro Rucksack und bitte nur in einen Rucksack derselben Farbe, die der Stein besitzt.

 

Spielmechanisch gesprochen muss der Spieler also für jedes Plättchen mit dem Wert 1, das er aus dem Verlies entfernen will, eine Versorgungskarte mit einem Rucksack in der entsprechenden Farbe abgeben. Hat das Plättchen einen Wert von 2 oder 3, sind entsprechend mehr Rucksäcke vonnöten. Sind danach noch Plättchen vorhanden, ist der Spieler mit den zweimeisten Schatzsuchern an der Reihe und so weiter. Haben alle mehr oder weniger erfolgreich die Verliese geplündert, folgt endlich die Siegpunktvergabe, denn wieso hätte Michael Menzel sonst so eine schicke Kramerleiste in Form eines Banners am unteren Ende des Spielplans verewigt?

 

Hier ist ordentlich was rauszuholen, denn der Wert jedes gesammelten Plättchens wird mit dem aktuellen Marktwert der entsprechenden Edelsteinsorte multipliziert. Ist also beispielsweise ein Saphir gerade 3 Punkte wert und ich besitze ein 3er Saphirplättchen, bringt dies direkt 9 Punkte ein. Die erfolgreichen Schatzsucher kommen in den allgemeinen Vorrat zurück und weiter geht’s! Und zwar etwa 60 Minuten lang, bis schließlich der Sieger feststeht, der als erster 40 Siegpunkte erreicht oder überschreitet.

 

Die Karten liegen offen

 

Das tun sie im wahrsten Sinne des Wortes. Jeder der bis zu vier Mitspieler weiß jederzeit, wer wie viele Figuren vor sich hat, wie viele Rucksäcke in welcher Farbe und dank des Action Slide sogar, wann wer das nächste Mal mit welcher Aktion an die Reihe kommt. Die strategischen Möglichkeiten scheinen unbegrenzt und Optimierer freuen sich auf eine lange Spielenacht, bei der den ausgiebigen Überlegungen, das Optimum an Siegpunkten aus einem Zug herauszuholen, nur mit dem Einführen einer Sanduhr Einhalt geboten werden kann. Doch wie so oft ist der tatsächliche Spielverlauf ganz anders.

 

Natürlich liegen alle Materialien offen und natürlich kann ich grob abschätzen, was die anderen vorhaben. Wenn dann aber die Aktion „REIHENFOLGE ÄNDERN“ zuschlägt, mutiert die Strategie zur Taktik, um wenigstens einigermaßen erfolgreich auf die Änderung der Preise oder Spielerreihenfolge reagieren zu können, die der Vorgänger soeben eingeläutet hat. Hier erhält das ansonsten brave Spiel sogar einen kleinen Ärgerfaktor.

 

Leider aber ist vieles dann doch nicht planbar. Zu zufällig verteilt sind die Taschen und Figuren auf den Versorgungskarten, sodass die Jokertasche nur als Notnagel herhalten kann, aber den Einsatz einer Figur im Schloss kostet; zu beliebig sind die Farben und Werte der Plättchen, die aus dem Beutel gezogen und vom aktiven Spieler in den Verliesen verteilt werden. Letztlich reagiert man eher auf die Aktionen der Mitspieler und das Spielgeschehen an sich, als dass man es selbst treibt.

 

Vielspieler werden nach den ersten Partien merken, dass das Glück doch eine größere Rolle spielt als anfangs angenommen und beginnen – wenn überhaupt – aus dem Bauch heraus zu spielen. Und darauf scheint „Das Geheimnis von Monte Cristo“ auch ausgelegt zu sein. Erneut ist es eher die spielende Familie, die hier an den Tisch gelockt werden soll, was dank der gelungenen Ausstattung mit hölzernen Figuren, Glitzersteinchen zum Anzeigen des Marktwertes und des bei aller Funktionalität dennoch atmosphärisch dicht gestalteten Spielplans durchaus gelingen dürfte.

 

Wirklich neu?

 

Gibt es denn sonst nichts zu kritisieren? Höchstens, dass das laut Verlagstext „neuartige und bisher noch nicht dagewesene Action Slide“ so neu dann doch nicht ist. Man hätte sicher auch einfach vier Skalen à la „Caylus“ nebeneinander setzen können und die Marker, welche die Spielerreihenfolge anzeigen, per Hand verschieben. Der Effekt wäre derselbe gewesen.

 

Und witziger weise passiert sogar genau das auf dem „Markt“ in „Das Geheimnis von Monte Cristo“. Ob ich eine meiner Kugeln auf der Bahn nach unten verschiebe oder einen Edelstein auf einer Skala nach oben, wodurch die ursprüngliche Reihenfolge geändert wird, ist Jacke wie Hose. Nur mit dem Unterschied, dass der Action Slide einfach viel cooler aussieht. Dennoch: Zwei Wege innerhalb desselben Spiels zu nutzen, um spieltechnisch dasselbe zu erreichen, wirkt nicht ganz zu Ende gedacht.

 

Und damit wären wir wieder am Anfang angelangt. Das Action Slide klingt cool, es sieht cool aus, es funktioniert auch gut und man kann es dem Verlag nicht verübeln, dass er mit dieser „Coolness“ als Eyecatcher versucht, die jüngere Zielgruppe von Playstation und Co. an den Spieltisch zu bringen.

 

Mit „Das Geheimnis von Monte Cristo“ könnte es gelingen, denn „das Auge spielt ja bekanntlich mit“!

 

Stefan Olschewski

 

Spieler         : 2-4

Alter            : 10+

Dauer           : 60+

Autor           : Arnaud Urbon, Charles Chevallier

Grafik          : Michael Menzel

Preis            : ca. 30 Euro

Verlag          : eggertspiele 2011

Web             : www.eggertspiele.de

Genre          : Strategisches Sammelspiel

Zielgruppe    : Für Familien

Version        : de

Regeln         : de en fr fi

Text im Spiel : nein

 

Kommentar: Sehr schöne Grafik * Gute, kurze Regel * relativ hoher Glücksanteil * eher taktisch als strategisch

 

Vergleichbar: andere Personeneinsatzspiele mit verschiedenen Aktionsoptionen und Mehrheitenwertung

Andere Ausgaben: Ausgaben bei Z-Man Games, Filosofia Editions, Asmodee und

Meine Einschätzung: 4

Statement Stefan Olschewski

Eingängige Mechanismen sorgen für viel Spieltiefe bei leichtem Zugang. „Action Slide“-Idee wirkt aber aufgesetzt, alles in allem ein gutes Familienspiel mit etwas Taktik und mehr Glück!. Thematisch stimmiges Abenteuerflair, obwohl die Mechanismen eher trocken sind

 

Vergleichbar:

Zufall                            1

Taktik                  2

Strategie__                  2

Kreativität           0

Wissen_               0

Gedächtnis          0

Kommunikation   2

Interaktion                   1

Geschicklichkeit  0

Action                  1