Ursuppe

 

Ursuppe von Doris Matthäus & Frank Nestel

3 bis 4 Spieler ab 12 Jahren

Doris & Frank Spiele 1997

ca. 120 Minuten

 

Gehen wir in der Evolutionsgeschichte mal ein schönes Stück zurück. Lassen wir dabei den Neandertaler ebenso wie den Homo erectus, den Australopithecus, ja selbst ihre affenartigen Vorfahren noch hinter uns. Passieren wir das Zeitalter der ersten Säugetiere, auch das der Dinosaurier. Geradewegs durch Mesozoikum und Paläozoikum bis zu jener Zeit, als auf dem von ständigen Vulkanen, Erdbeben und Meteoritenregen erschütterten, jungen Planeten noch keine frei sichtbare Form von Leben herrschte. Wir befinden uns nun im Präcambrium, ca. 1 Mrd. Jahre vor Christi Geburt, einem Montagmorgen um etwa 9.30 Uhr (so man das zwischen den Gewitterwolken vom Sonnenstand bestimmen kann). Das Wasser ist angenehm warm hier in der Nähe des Äquators, wohl auch bedingt durch den nahen Vulkan, der stets glühende Lava in die tosenden Fluten speit. Außer einem dumpfen Grollen hie und da tut sich eigentlich gar nicht. Nichts jedenfalls, was den modernen Homo ludens des Jahres 1998 n. Chr. aufregen würde, sollte man meinen. Aber weit gefehlt, denn in dieser lauwarmen Brühe, der Ursuppe, führen die ersten Einzeller einen Überlebenskampf, der nicht nur der Beginn allen Lebens auf unserer Erde darstellt, sondern auch Doris Matthäus und Frank Nestel zu einem äußerst originellen Spiel inspiriert hat.

 

Also, wie gesagt schwimmen die Amöben in der Ursuppe, in unserem Fall ein Spielplan in düsterem Blau gehalten, mit 19 großen Feldern. Von Schwimmen kann man dabei aber nicht unbedingt sprechen. Eher von Treiben, in welche Richtung es die Strömung gerade vorsieht. Und wenn sich so ein Amöblein mal wirklich, aus welchem Grund auch immer aus eigener Kraft bewegen will, ist es doch nur ein unkoordiniertes Zappeln, das heißt die Richtung gibt eine Windrosenkarte vor, gegen Bezahlung von Bewegungspunkten darf man mit Würfelwurf versuchen, die Richtung zu ändern.

 

Danach gibt sich die Amöbe dem Grundbedürfnis allen organischen Lebens hin, der Aufnahme von Nahrung, kurz: Fressen! Die Nährstoffe werden durch kleine Holzwürfel in den Farben der Spieler dargestellt. Eine Amöbe verschlingt dabei in jeder Runde jc einen Würfel der anderen Farben, verdaut diese und scheidet dann zwei körpereigene Stoffe, sprich Würfel der eigenen Farbe, aus. Anfangs ist die Ursuppe sehr nährstoffreich, aber mit der Zeit fressen die Amöben die Felder leer, und die Verteilung wird durch die einseitige Ausscheidung auch immer ungünstiger. Sollte durch Nährstoffmangel einmal eine Amöbe hungern müssen, erhält sie einen Schadenspunkt. Zweimal hungern kann aber auch der beste Einzeller nicht verkraften, der Tod ist die logische Folge. Immerhin bringt die sterbende Zelle wieder neue Nährstoffe, und der Kreislauf schließt sich wieder. So könnte es stunden-, jahrtausende -, ja sogar jahrmillionenlang ohne Fortschritt weitergehen. Aber der Selbsterhaltungstrieb bewirkt, daß die Amöben durch gcnetischeVeränderungen spezielle Fähigkeiten entwickeln, um besser überleben zu können. Die Spieler können dieses Grundprinzip der Evolution (Mutation & Selektion) nachvollziehen, indem sie für ihren Amöbenstamm Gene erwerben können. Die Möglichkeiten sind sehr mannigfaltig. Da gibt es Gene, die eine verbesserte Mobilität ermöglichen: Mit "Geschwindigkeit" darf sich eine Zelle zweima1 bewegen, mit "Bewegung" kann die Richtung etwas besser beeinflusst werden, "Stromlinienform" sorgt für kostenlose Bewegung etc. Andere Gene sind für die Nahrungsaufnahme nützlich: Mit "Ersatzkost" kann eine Amöbe einen bestimmten Nährstoff durch zwei beliebige ersetzen, mit "Genügsamkeit" überhaupt auf einen Nährstoff verzichten, und ähnliches. Weitere Gene können im Kampf gegen andere Gene verwendet werden ("Überlebenskampf", "Verteidigung", "Flucht", "Aggression" und "Panzerung"). Wirklich alles, was eine Amöbe in ihrem kurzen, primitiven Leben durchmacht, kann durch Genverbesserung verbessert werden. Zwanzig verschiedene Gene stehen zu diesem Zweck den Spielern in Form zu Genkarten zur Auswahl. Es ist schon herrlich anzusehen, wann aus den anfangs so hilflosen Amöbchen mit Fortdauer des Spiels so verschiedene Wesen werden: flinke, aggressive, zähe, furchtsame,. Klammernde, ausdauernde, und robuste.

 

Wie jedes Lebewesen ist natürlich auch die Amöbe bestrebt, sich fortzupflanzen. Keine Angst, dieser Artikel bleibt absolut jugendfrei, denn die Einzeller vermehren sich ungeschlechtlich, nämlich durch Zellteilung. Für die Spieler ist die Vergrößerung ihres Amöbenstammes zudem wichtig für den Spielgewinn. Über den Erfolg eines Amöbenstammes entscheiden schließlich sowohl die Größe des Stammes als auch die Anzahl der Gene. Je mehr Zellen und Gene, desto weiter kommt man auf der Punkteleiste voran.

 

Leider steht dem uneingeschränkten Wachstum und der Weiterentwicklung der Amöben ein großes Hindernis im Weg: Die Ozonschicht. Ja, bereits in grauer Urzeit hatte die Dicke der Ozonschicht einen großen Einfluss auf alles Leben. Je mehr Gene ein Amöbenstamm besitzt, desto empfindlicher ist er für Umweltbelastungen. Jede Genkarte trägt eine Ziffer für ihre Empfindlichkeit, und wenn eine Amöbe zu hoch entwickelt ist (die Summe dieser Zahlen höher ist als die momentane Dicke der Ozonschicht, welche durch das Aufdecken einer Umweltkarte bestimmt wird), kommt es zu Gendefekten. Entweder müssen wieder Gene abgegeben werden und die damit verbundenen Fähigkeiten gehen wieder verloren, oder der Spieler muss die Differenz mit sogenannten "Biopunkten" zahlen. Biopunkte sind sozusagen die Währung, mit der die Spieler alles bezahlen können: Bewegung, Zellteilung, neue Gene, Kämpfe und eben oben angeführte Ausgleichszahlungen .

 

Jede Runde besteht also aus Bewegen und Fressen, Umweltkarte ziehen und damit Ozondicke und Bewegungsrichtung festlegen, Gendefekte ausgleichen, neue Gene erwerben, vermehren, sterben und Punktewertung für Amöbenanzahl und Genausstattung.

Und so geht der tägliche Kämpf ums Überleben weiter, viele Jahrtausende und Jahrmillionen. Für uns Spieler, die wir selten zuviel Zeit aufbringen können, endet der urzeitliche Biologieunterricht dann nach etwa zwei Stunden. Irgendein Amöbenstamm wird dann seinem Spieler genug Punkte auf der Zählleiste gebracht haben, um ihm den Sieg zu ermöglichen.

Es ist interessant, dass es trotz der vielen hundert Spiele, die Jahr für Jahr auf den Markt kommen, immer wieder welche gibt, die ein vollkommen neues Spielethema aufweisen. Mir ist bis jetzt noch kein Spiel untergekommen, das den Überlebenskampf von Amöben zum Inhalt hat. Doch die Originalität eines Themas allein macht noch kein gutes Spiel. Um dies herauszufinden, waren ein paar Spielrunden notwendig. Und sie zeigten, dass "Ursuppe" im wesentlichen gut funktioniert. Die verschiedenen Möglichkeiten, seinen Amöbenstamm zu entwickeln und die sich ergebenden Interaktionen mit anderen Spielern machen das Spiel interessant . Durch die recht knapp bemessenen Biopunkte (man möchte immer soviel machen. ..) muss man sich schon auf die eine oder andere Weise spezialisieren, wodurch das Spiel einen fast strategischen Charakter erhält.

 

Es hat sich in unseren Spielen aber gezeigt, dass die Regelung mit der Umweltkarte zwar wichtig ist, um zu verhindern, dass die Spieler einfach drauflos Genkarten kaufen. Jedoch im fortgeschrittenen Stadium, also nach ungefähr einer Stunde wirkt dieser Mechanismus eher hemmend. Ab diesem Zeitpunkt sind die Amöben schon relativ gut angepasst, weitere Verbesserungen sind kaum möglich, da man sonst die unausweichlichen Gendefekte nicht mehr bezahlen kann. Für den Rest des Spiels, welcher danach noch etwas zu lange dauert, gibt es nicht mehr viel Abwechslung. Doris & Frank neigen anscheinend dazu, ihre Spiele zu langatmig zu gestalten (siehe ("Fugger,Welser, Medici"), und auch "Ursuppe" könnte ruhig ein wenig kürzer sein. Man kann dem aber leicht selber Abhilfe schaffen, indem man den Zielbereich auf der Punkteleiste ein wenn nach vorne verlegt.

 

Ansonsten ist das Spiel gut gelungen, auch was die Aufmachung betrifft: viel Spielmaterial aus Holz, ein schönes und funktionelles Design mit witzigen Amöbenzeichnungen. Das hat auch seinen Preis, auf der Spiel '97 war "Ursuppe" eines der teureren Spiele. Trotzdem lohnt sich meiner Meinung nach die Beschäftigung mit den kleinen Einzellern.....