Kyoto

 

Eine unbequeme Wahrheit

Wir befinden uns im Jahre 1997. Die ganze Menschheit ist sich einig über den Klimaschutz. Die ganze Menschheit? Nein! Unbeugsame Flugreisende hören nicht auf herumzufliegen; unbeugsame Autofahrer hören nicht auf herumzufahren; unbeugsame Burgeresser hören nicht auf mit dem Fleischkonsum; unbeugsame etc. hören nicht auf mit etc.

 

Also müssen wieder mal wir die Welt retten – bitte, gerne. Wenn da nicht unsere jeweils eigenen Interessen bzw. jene der von uns geheim vertretenen Öl-, Agrar-, Atom-, etc., - Lobbys wären, welche unseren Herzen (bzw. Siegpunktebörserln) doch um einiges näher liegen als die Zukunft der nächsten Generationen. Die beiden Währungen sind hier Geld und Karten: Auch im Spiel gibt natürlich niemand gerne Geld her, zumal das (zweit-)meiste Barvermögen letztlich mit Siegpunkten belohnt wird. Immerhin können dem Gemeinwohl gespendete Beträge (zumindest teilweise) zurückfließen, und zwar dann, wenn der „Umweltfonds“ ausreichend gedeckt ist und man als Vorsitzende(r) der aktuellen Runde daraus eine Entlohnung entnehmen darf. Bei den Karten zählt jedoch sogar jede einzelne zu Spielende jeweils einen Siegpunkt, hier schmerzt Freigiebigkeit grundsätzlich also umso mehr. Außer man darf vermuten, dass eine konkurrierende Nation die Interessen z.B. der Atomlobby vertritt: Diesfalls fällt es nämlich deutlich leichter, sich von den eigenen Atom-Handkarten zu verabschieden, kostet das doch auch den Mitspieler Siegpunkte. Hierbei kann auch Bestechung ein denkbarer (bzw. spielmechanisch zulässiger) Aspekt sein, doch ist dieses Spielelement eher nur selten tatsächlich sinnvoll einsetzbar. Jedenfalls erhöht der vorgegebene Zeitdruck (von maximal 90 Sekunden pro Verhandlungsrunde) den Stresslevel bei allen Beteiligten!

 

Mit diesen verblüffend einfachen Mitteln wird unsere private Weltklimakonferenz am Spiel- bzw. Verhandlungstisch auf durchaus realistische Weise umgesetzt, samt den jeweiligen entlarvenden Egoismen: „Wer möchte etwas zum Schutz der indigenen Lebensräume beitragen? – Kanada wäre zwar bereit, hat aber bereits bei der Ozonschicht so viel investiert, warum nicht China? – China möchte liebel die Chinesen schützen als Mindelheiten – Immer bleibt alles an der EU hängen, na gut, eine Million für den Umweltfonds und unser Verzicht auf Heizstrahler; da fehlt aber immer noch was – Wenn China doch etwas beisteuert, würde Kanada eine weitere Million spenden – Oje, leider, leider, die Zeit ist um; in der Verhandlungs-Pause müssen wir jetzt auf das Aussterben der Schildkröten anstoßen – Wel blaucht schon Schildklöten?“.

 

Die spinnen, die Menschlichen!

 

Am vergnüglichsten ist das Spielerlebnis – einen entsprechenden Sarkasmus vorausgesetzt – wenn alle mit pseudorussischem, -chinesischem, -französischem Akzent bzw. rollenspielähnlich agieren. Und durchaus bitter, aber wahr: Wenn wir (un-)bewusst scheitern, das Tiersterben, die Erderwärmung und/oder die Luftverschmutzung letztlich also zu letal geworden sind. Dann ist der „Spaß“ nämlich vorzeitig zu Ende und das Land mit den zweitmeisten (!) Siegpunkten gewinnt. Dieser Ausgang macht nicht bloß das vermutete bzw. jeweils erhoffte Endergebnis auf spannende Weise noch unabwägbarer, zusätzlich wird damit ein „schöner“ Gefühlsmix aus Scham, Schuld und Schadenfreude evoziert.

 

Denn im alternativen (positiven) Fall können sich die zwölf Runden manchmal doch auch als etwas zu repetitiv bzw. zu langatmig anfühlen. Bei einem derartigen Spielverlauf gilt es wiederum noch mehr aufzupassen, um zum einen zwar genug für das gemeinsame Ganze zu „spenden“, zum anderen aber auch noch ausreichend Karten und Geld für das eigensinnige Eigene zurückzubehalten – denn häufig liegen die jeweiligen Endergebnisse letztlich gar nicht sehr weit auseinander!

 

In beiden Fällen ein Hingucker ist das Rednerpult – für die/den rundenweise wechselnden Vorsitzende/n – aus Karton; auch die Spielkarten haben stimmige Grafiken, bei welchen es sich lohnt, genauer hinzuschauen. Beim Material besonders löblich: Keinerlei Plastik, hingegen eine kleine Aufbewahrungsschachtel für die Karten und die Marker.

 

Kyoto ist ein pseudo-kooperatives, satirisch-zynisches Verhandlungs- und Bluffspiel mit originellem und zum Thema passendem Spielmaterial für alle Spielrunden ab Teenager-Alter (jedoch eher nichts für mundfaule und/oder zu altruistische bzw. zu empfindsame Gemüter).

 

Harald Schatzl

 

Spieler: 3-6

Alter: 10+

Dauer: 30+

Autor: Sabine Harrer & Johannes Krenner

Gestaltung: Christian Opperer

Verlag: Pegasus Spiele / Deep Print Games 2020

Web: www.pegasus.de, www.deep-print-games.com

Genre: Verhandeln, Bluffen

Zielgruppe: Mit Freunden

Version: de

Regeln: de en

Text im Spiel: ja

 

Meine Einschätzung: 6

... beim gemeinsamen „Scheitern“ – fünf Sterne, wenn die Erde „gerettet“ wird

 

Zufall (rosa): 1

Taktik (türkis): 1

Strategie (blau): 0

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 1

Kommunikation (rot): 3

Interaktion (braun): 2

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0

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