Mit Freunden

 

Alles einsteigen, Leichenzug fährt ab!

 

Mystery Express

 

Nächster Halt: Klein-Mordbuben!

 

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Spezial                 

 

Der Orient-Express verkehrte seit 1883 und verband Frankreich mit dem Balkan und führte ab 1888 bis nach Konstantinopel.  Ihre größte Zeit erlebte die als Luxusreisezug gegründete Eisenbahnverbindung, unterbrochen nur vom Weltkrieg 1914 – 1918, zwischen etwa 1890 und 1939.  Der Zweite Weltkrieg und die folgende Spaltung Europas führten zwar zu immer wieder geänderten Streckenführungen, das endgültige Aus kam aber tatsächlich erst mit dem Winterfahrplan 2009.  Längst keine exklusive Annehmlichkeit der begüterten Klassen mehr, trugen vor allem das geänderte Reiseverhalten und die Aushungerung der Bahnstrecken durch auf Geschwindigkeit und Gewinn getrimmte Verkehrspolitik zum Ende der berühmten Linie bei.  Für einen Nostalgiezug in dieser Dimension – die Reisezeit betrug zum Beispiel um 1900 siebzig Stunden auf einer Strecke von annähernd 3200 Kilometern – besteht im regulären Bahnbetrieb kein Bedarf mehr.

In Erinnerung bleiben die luxuriösen Salon- und Schlafwagen wohl am ehesten durch die Romane „Stamboul Train“ von Graham Greene (1932, in den Vereinigten Staaten von Amerika unter dem Titel „Orient-Express“ erschienen) und „Murder on the Orient Express“ von Agatha Christie (1934), und die Verfilmungen des letzteren (vor allem die Version von Sidney Lumet aus dem Jahre 1974).  Sean Connery, der darin einen der Verschworenen, Colonel Arbuthnot, verkörperte, hatte übrigens schon als Agent James Bond im Geheimdienst ihrer Majestät ein kurzes Abenteuer an Bord des Zuges zu bestehen gehabt (in „From Russia With Love“, 1963).

Die Bahnverbindung war auch in unserer Welt vor kriminellen Ereignissen (Taschendiebstähle, Entführungen, Überfälle, mindestens ein Mord) nicht gefeit, jedoch keineswegs das bevorzugte Ziel von Eisenbahnräubern oder ähnlichen zwielichtigen Existenzen.

Dies ändert sich aber mit dem Spiel „Mystery Express – Ein Zug-Krimi“ der französischen Autoren Antoine Bauza (zum Beispiel auch „Ghost Stories“) und Serge Laget (unter anderem „Das Geheimnis der Abtei“).  Drei bis fünf Reisende entdecken an Bord des Zuges, der sie von Paris nach Istanbul bringen soll, einen Mord.  Jeder für sich will die fünf entscheidenden Fragen (Wer? Wie? Wo? Warum? Wann?) klären und dadurch den Täter oder die Täterin überführen.  Fünf Runden hat man Zeit, bis der Bahnhof von Istanbul erreicht ist, wo die örtliche Mordkommission den Fall übernimmt und der oder die Schuldige entlarvt, Motiv, Tathergang, Tatort und Tatzeit enthüllt werden.

Das längliche Spielbrett bildet im oberen Drittel die möglichen Tatorte ab (sechs thematisch unterschiedliche Waggons), die beiden unteren Drittel werden von der Zeitleiste – Bahnhofsplakate für Paris, Straßburg, München, Wien, Budapest und Istanbul – und Ablageflächen für Informationskarten eingenommen.  Aus zu Beginn verteilten und im Laufe des Spieles neu dazukommenden Verbrechenskarten soll man jene verdeckt zufällig gezogenen Karten, welche die Bluttat genau beschreiben, herausfinden.

Klingt nach einer weiteren Cluedo-Variante, und ist auch kaum etwas anderes.  Einige Unterschiede lohnt es jedoch festzuhalten.  Zum ersten fällt sofort die prächtige Ausstattung des Spieles auf.  Die Illustrationen von Julien Delval beschwören die Illusion einer vergangenen Zeit herauf, am ehesten denkt man an die Epoche zwischen Fin de Siècle und frühe 1920er Jahre.  Aufwändig auch die Karten – sie differieren nicht nur in der Farbe der Rückseite (für Motiv, Tatort, etc.), selbst das stilisierte Emblem der fiktiven Eisenbahngesellschaft bietet kleinste Varianten in jeder Verwendungsgruppe, für den Tatzeitpunkt gibt es ein eigenes Set, komplett anders in Form, Farbe und Größe zu den übrigen Karten.  Liebenswerte Gimmicks ergänzen den Satz raffiniert gestalteter Spielfiguren aus Kunstharz, selbstverständlich ebenfalls in unterschiedlichem Kolorit.  So darf sich die jeweilige Startperson der einzelnen Runden mit einer Trillerpfeife schmücken, eine kleine Reisetasche übernimmt eine nicht unwichtige Rolle, und eine glänzend-schwarze Miniaturdampflok zeigt den Rundenfortschritt auf der Fahrtstrecke an.  Des weiteren ist jede Karte in doppelter Ausführung (Zeitkarten dreifach) vorhanden, es gilt also, den jeweils fehlenden Zwilling (bzw. Uhren-Drilling) zu ermitteln.  Auch die Art der Ermittlung weicht von Bekanntem ab:  in den sechs Wagen sind ebenso viele unterschiedliche Arten von Manövern vorgesehen, um auf das Verbrechen Rückschlüsse zu ziehen.  So kann man im Schlafwagen mit etwas Glück das Gepäck einer oder eines Mitreisenden – will sagen: die Handkarten einer Mitspielerin oder eines Mitspielers – durchsuchen, im Clubwagen neu zugestiegene Fahrgäste (Nichtspielerpersonen an den Haltestellen Straßburg und Wien) filzen oder im Abteilwagen einen Rundumtausch einer einzelnen Kategorie Karten veranlassen, und ähnliches mehr.  Als Bonus darf man in jeder Runde auch den Schaffner (ebenfalls eine Nichtspielerperson, jedoch mit eigener Spielfigur in mausgrau) befragen.  Jede Aktion darf nur einmal pro Reisegast und Runde ausgeführt werden, jede Aktion benötigt auch unterschiedlich lange (Spiel-)Zeit.  Wieviel davon vorhanden ist, variiert von Streckenabschnitt zu Streckenabschnitt.  Interessanterweise dauert etwa die Fahrt von Wien nach Budapest fünf Stunden, die Bahn braucht aber ebenso lange von Budapest nach Istanbul.

Damit wären wir bei der Aufzählung der unglücklich gewählten Spielelemente angelangt.  Auch bei Cluedo bestand von Anfang an – jenes klassische Detektivspiel kam immerhin schon 1948/49 auf den Markt – das logische Dilemma, dass man an der Leiche die Todesart nicht feststellen konnte.  Eigentlich wird doch selbst ein Laie erkennen, ob ein Mensch mittels einer Stichverletzung, eines schweren Gegenstandes auf den Schädel oder einer Strangulation vom Leben zum Tode gebracht worden ist.  Wer den Film „Clue“ (1985; Regie: Jonathan Lynne – möglicherweise die erste Verfilmung eines Gesellschaftsspieles) kennt, hat zumindest in Ansätzen eine Lösung für dieses Problem.  Dieses Rätsel wird in „Mystery Express“ ebensowenig befriedigend gelöst, wobei hier immerhin noch die Möglichkeit einer „unbekannten“ Todesart angeboten wird.  Völlig widersinnig erscheint jedoch das Element der Tatzeit.  Wenn der Zug den Pariser Ostbahnhof verlässt (das Original tat dies zum Beispiel auf seiner allerersten Fahrt um 18:30 Uhr) ist der Mord schon geschehen, die Reisenden nehmen sofort die Ermittlungen auf.  Als Tatzeit wird jedoch ein Rahmen von sage und schreibe acht Stunden (4:00 bis 12:00) geboten – hat das Reinigungspersonal am Bahnhof Gare de l’Est etwa nicht gründlich gewischt oder gestreikt?  Da die Tatzeit-Karten völlig anders als die anderen Verbrechenskarten aussehen – sie zeigen eine Uhr ohne Ziffern, die Zeigerstände sind somit nicht leicht lesbar –, werden sie auch in jeder zweiten Runde nach genau festgelegten, differierenden Methoden offen ausgelegt und gleich wieder verdeckt, Notizen darf man erst danach aus dem Gedächtnis anlegen.  Die unterschiedlichen Wege, Mitspieler zum Vorzeigen ihrer Handkarten zu nötigen sind zwar liebevoll durchdacht, aber ebenfalls nicht wirklich logisch und oft auch verwirrend.  Immerhin räumt die – sehr ausführliche und sogar passabel gegliederte, mithin gute – Spielregel gleich zu Beginn ein, es bestehe durchaus die Gefahr, dass niemand alle fünf Elemente der Tat ermittelt (dann gewinnt, wer am meisten Punkte richtig erraten hat).  Und wirklich, in keinem Probedurchlauf konnte das ganze Verbrechen aufgeklärt werden. Gewonnen hat, nebenbei bemerkt, jedes Mal die einzige Reisende (orange Figur), die als Sonderfunktion in jeder Runde eine Stunde mehr an Ermittlungszeit zugestanden kriegt, während alle anderen eine zusätzliche Karte (in der Farbe ihrer Spielfigur) ansehen dürfen – bloß ein Zufall?  Auch dieses Spiel bleibt nur mit der Mindestspieleranzahl im vom Verlag vorgegebenen Zeitrahmen, Verwirrung und Dauer nehmen mit Anzahl der Mitspieler beinahe exponentiell zu.

Anders als bei vergleichbaren Krimispielen endet eine Partie im „Mystery Express“ immer mit der Ankunft in Istanbul, also nach der fünften Runde, egal, ob irgendjemand oder gar niemand den wahren Tathergang entschlüsselt hat.

Die Annahme, dass Amateurdetektive ein Verbrechen nur lückenhaft aufklären können, ist gegenüber den übrigen Anteilen geradezu hyperrealistisch, lässt aber stets eine gewisse Unzufriedenheit zurück.  Der Anreiz, das Spiel ein drittes oder gar viertes Mal zu wagen, ist daher trotz der fabelhaften Ausstattung leider endenwollend.

 

Martina & Martin Lhotzky, Marcus Steinwender

 

Spieler         : 3 – 5

Alter            : ab 12

Dauer           : 90 – 120 Minuten

 

Autoren        : Antoine Bauza, Serge Laget

Grafik          : Julien Delval

Vertrieb A.   : Piatnik

Preis            : ca. 45,00 Euro

Verlag          : Days of Wonder 2010

                     www.daysofwonder.com

                    

Genre                    : Krimispiel

Zielgruppe             : Freunde

Mechanismen         : Ermittlung der fehlenden Karten

 

Zufall                     : 6

Wissen                  :

Planung                 : 6

Kreativität              :

Kommunikation      : 7

Geschicklichkeit      :

Action                   : 4

 

Kommentar:

Sehr schönes und stimmiges Material

Spiel endet immer in Endstation, nicht mit Lösung des Falls

Zu lange Spieldauer für Spannungsbogen

 

Vergleichbar: Cluedo (und diesem ähnliche Deduktionsspiele)

 

Atmosphäre           : 5

 

Martina, Martin und Marcus:

Das schöne Spiel im Mord-Express hält leider nicht ganz, was die tolle Aufmachung verspricht.  Zu lange Dauer bei unnötig komplizierten Täuschungs- und Enthüllungsmanövern, gepaart mit einer zu geringen Chance, das Rätsel anders als durch Zufall zu lösen.