PERLEN DER SPIELKUNST

 

OLD TOWN

 

REKONSTRUKTION EINER GEISTERSTADT

 

Liebe Leserin, lieber Leser! Überraschungen in der Welt der Spiele scheinen eher seltener zu werden. Umso erfreulicher, dass es dem fast unbekannten Stephan Riedel mit seinem Logik- und Kombinationsspiel „Old Town“ mit einiger Verspätung gelungen ist, zu Beginn des letzten Jahrzehnts auf dem deutschen Spielemarkt aufzuzeigen. Nach dem 2. Platz beim italienischen Spielewettbewerb „Premio Archimede“ im Jahr 2002 wurde dieser Leckerbissen auch dem deutschen Publikum zugänglich gemacht. Wenn auch nur in bescheidener Auflage im kleinen Clickerverlag. Wie Stephan Riedel auf seiner Homepage schreibt, kam ihm die erste Inspiration bereits 1996 auf einem Urlaub in Neuseeland, wo er Fundstellen mit „Überresten“ eines alten Friedhofs besuchen konnte. Um was nun geht es bei diesem Newcomer? Einfach gesagt um die Rekonstruktion einer verfallenen Geisterstadt, die irgendwann am Ende des 18. Jahrhunderts ihren Lebensodem ausgehaucht hat. Gemeinsam, wenn auch als Gegenspieler, versuchen zwei bis vier Hobbyarchäologen, die Lage von sechzehn einstmals blühenden Gebäuden wieder exakt zu bestimmen. Dazu dient ein alter Lageplan, der durch ein typisch amerikanisches Orthogonalnetz von Straßen, eine Eisenbahnlinie und diverse Landschaftselemente, wie etwa Büffelweide oder Friedhof, klar gegliedert ist. Für jeden Hinweis, der die Lage eines Gebäudes genauer spezifiziert oder gar endgültig festlegt, gibt es Punkte, die letztlich darüber entscheiden, wer die beste archäologische Leistung geboten hat. Viele Fragen türmen sich vor den archäologischen Spürnasen auf, so diese erst einmal den Weg ins Österreichische Spielemuseums in Leopoldsdorf finden. www.spielen.at

 

Unser obligater Lichtkegel fällt zunächst auf eine trostlos heruntergekommene alte Westernstadt, die jeder  Spieler mit Hilfe von Gebäudeplättchen (insgesamt gibt es deren achtzehn) zu rekonstruieren versucht. Der eigentliche Spielablauf wird durch drei unterschiedliche Arten von Informationskarten gesteuert. Der einfachste Kartentyp gibt vier Standorte für Gebäude an. Sobald eine dieser Karten gespielt wird (z.B. „Die Schule grenzt an die Bisonweide“), kommen die entsprechenden Marker auf die angezeigten Bauplätze. Dort, und nur dort, könnte das entsprechende Gebäude in der großen Zeit des Westens gestanden haben. Nicht verwendete Marker bringen dem Spieler sofort Siegpunkte. Komplizierter zu erfassen ist der zweite Kartentyp. Hier werden zwei Gebäude zueinander in Beziehung gesetzt. Textlich stellt sich dies so dar: „Das Hotel lag in der Main St. gegenüber meinem Gebäude.“ Die Bauplätze für das Hotel sind klar definiert, nämlich an der Main St., mit „mein Gebäude“ ist dagegen eines der beiden vor dem Spieler liegenden gemeint. Und dieses darf frei gewählt werden. Auch die dritte Informationskartenart verwendet den etwas schwammigen Begriff „mein Gebäude“. Hier werden sogar acht potenzielle Bauplätze angegeben (z.B. „Mein Gebäude lag am nördlichen oder südlichen Stadtrand“.) Diese Karten kommen jedoch erst etwas später ins Spiel, zu einem Zeitpunkt, wo die Zahl der freien Bauplätze bereits stark ausgedünnt ist. Das war es dann auch schon, theoretisch zumindest. Um den Spielablauf flüssig zu machen, und zudem jede erdenkliche „Old Town“-Konstellation abzudecken, gibt es eine Reihe von Spezialregeln. Wichtig ist es zu wissen, dass Karten, die die Situation auf dem Spielplan nicht verändern, oder solche, die im Widerspruch zu den bereits errichteten Gebäuden oder ausliegenden Markern stehen, bloß tote Information enthalten. Weitere Sonderregeln muss sich jeder Old Town Connaisseur in persönlicher Kleinarbeit im Detail aneignen, darum kommt man einfach nicht herum. Das Spiel endet mit dem prachtvollen Blick auf die rekonstruierte Westernstadt. Wer am meisten zum Wiederaufbau beigetragen hat, darf sich als stolzer Meister der Gebäudearchäologie fühlen.    

 

Rückmeldungen an: hugo.kastner@chello.at               

Homepage: www.hugo-kastner.at

 

EMPFEHLUNG # 84

Spieler: 1-4

Alter: 10+

Autor: Stephan Riedel

Gestaltung: Stephan Riedel

Dauer: 45+

Preis: 20 Euro

Jahr: 1999

Verlag: Clicker Spiele

    

Taktik: 6 von 9

Info±: 0 von 9

Glück: 3 von 9

 

Das ständige Abwägen, welche taktischen Möglichkeiten das Stadtbild hergibt, ist ungemein reizvoll. Mit einer kleinen Einschränkung: In der Endphase des Spiels sind bisweilen Zwangszüge unvermeidlich, sodass der Glücksfaktor die Waagschale um eine Nuance zu stark nach unten drückt. Dafür wieder großes Lob für die Solitärvariante. Acht Szenarien für Einzelspieler in drei Schwierigkeitsstufen werden im Begleitheft angeboten, mit zum Grundspiel leicht veränderter Regel. Ein harte Nuss, fürwahr, besonders die hohen Schwierigkeitsstufen.    

 

Hugos EXPERTENTIPP

 

Warnung! „Old Town“ bietet eine erbärmliche Regel. Beim ersten Lesen ist es sogar für einen erfahrenen Spieler nicht einfach, die folgende Partie korrekt durchzuspielen. Stephan Riedel hat dies zweifellos erkannt und auf seiner Homepage eine „Neue Regel“ präsentiert. Schließlich will auch „Old Town“ im Sinne des Autors gespielt werden. Sobald der Mechanismus klar ist, sollte die auf Riedels Homepage vorgestellte Profiregel mit der Wahl null bis zwei Karten zu spielen, befolgt werden.  

 

Hugos BLITZLICHT

 

Ein bis vier Experten sitzen mit einem kaum unterdrückbaren, erwartungsvollen Kribbeln um die Grundmauern einer verfallenen Geisterstadt. Und mit einem ebensolchen verlassen Gewinner und Verlierer die Stätte ihres Wirkens. Was zählt ist die fertige Westernstadt, mit ihren illustren Gebäuden, dem Saloon, der Kirche, der Bank, dem Drugstore, der Postkutschenstation oder dem Barbier. Und frohgelaunt wird nach Denkmustern à la „Logiktrainer“ gemeinsam auf die neu erblühte, archäologische Meisterleistung angestoßen. Cheers! 

 

VORANKÜNDIGUNG

 

RAJA

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