UNSERE REZENSION

 

Und die nächste Fahrt geht rückwärts!

Coney Island

Wie man sich einen Vergnügungspark baut

 

Als ich erfuhr, dass es in dem neuen Spiel von Michael Schacht um den berühmten Vergnügungspark „Coney Island“ geht, riss ich mich geradezu um die Besprechung, da ich mich als erklärter Freizeitpark-Fan als geradezu prädestiniert für diese Aufgabe erachtete.

Die schöne Gestaltung des Spielmaterials, die durchaus ein wenig Parkatmosphäre schafft (wenn auch nur, wenn man gute Augen hat, denn die detaillierten Zeichnungen sind lediglich winzig auf den ohnehin schon kleinen Plättchen aufgebracht), tut ein Übriges, um Lust auf die erste Partie zu machen.

 

Schausteller treten auf den Plan

Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn bei Coney Island geht es nicht darum, Spaß auf den zahlreichen Attraktionen zu haben – im Gegenteil, denn zu Beginn liegt der Parkplan jungfräulich vor uns und erst im Laufe des Spiels treten Schausteller auf den Plan, die später größeren Attraktionen wie Achterbahn, Autoscooter, Wildwasserbahn oder Schiffsschaukel weichen müssen. Im Grunde handelt es sich also um ein lupenreines Aufbauspiel.

Wir verkörpern mehrere Ausstellerfamilien, die zu Beginn noch in ihren Wagen auf einem persönlichen Ablagetableau hausen, bevor sie in der Aktionsphase als Ballonverkäufer oder Fakir eingesetzt werden können. Davor gibt es aber erst einmal ein wenig Einkommen, denn um einen attraktiven Vergnügungspark zu bauen, braucht man eine Menge Geld. Ein wenig davon erhalten wir zu Beginn jeder Runde, wie viel genau, ist auf den Plätzen in den Wohnwagen abzulesen, die aktuell unbesetzt sind. Je mehr Schausteller sich also gerade auf dem Parkgelände tummeln, desto mehr Einkommen gibt es.

Ziel ist es aber nicht, der Reichste zu werden, sondern die größte Aufmerksamkeit zu erregen, denn dafür gibt es Aufmerksamkeitspunkte, die uns am Ende den Sieg bescheren. In der Einkommensphase erhalten die Spieler daher nicht nur Geld, sondern auch ein paar Aufmerksamkeitspunkte und die wichtigen Baustoffwürfel, ohne die später gar nichts geht. Denn neben Geld erfordert der Bau von Attraktionen logischerweise auch den Einsatz diverser Baustoffe.

 

Aller guten Dinge sind drei

Herzstück jeder Spielrunde ist die Aktionsphase, in der bis zu drei Hauptaktionen durchgeführt werden dürfen (die bis zu fünf Nebenaktionen sparen wir uns für später auf). Netterweise sind auch diese Aktionen – wie so ziemlich alles Relevante – auf den Schaustellertableaus aufgedruckt und harmonisch in das Gesamtbild integriert. Hier hat sich wirklich mal jemand Gedanken gemacht.

Wer es bezahlen kann, nimmt eine Baufeldtafel vom Stapel und legt sie auf dem Parkplan ab. Nur auf diesen Baufeldern dürfen später Attraktionen errichtet werden. Teure Tafeln liefern gleich beim Ablegen einen Bonus in Form weiterer Aufmerksamkeitspunkte, von zufällig gezogenen Baustoffen (es gibt rote und weiße) oder der Erlaubnis, eine Aktion in dieser Runde doppelt aufzuführen.

Mit Aktion Nummer zwei kommen nun endlich unsere Schaustellerplättchen auf den Plan, selbstverständlich gegen Abgabe der entsprechenden Baustoffe, während die dritte Aktion endlich richtig viele Aufmerksamkeitspunkte erzielen kann, denn hier kommen die Großbauprojekte ins Spiel, die bis zu vier Bauplätze abdecken können. Der Bau kostet auch entsprechend bis zu fünf Baustoffe. Berücksichtigt man, dass es nicht erlaubt ist, Geld oder Baustoffe zu horten und niemand mehr als fünf davon besitzen darf, ist das ein horrender Preis.

Dafür gibt es aber auch ordentlich etwas abzuräumen in Form von Aufmerksamkeitspunkten. Diese Großbauprojekte dürfen jedoch nur dort errichtet werden, wo bereits Schaustellerplättchen liegen – alle Beteiligten bringen ihrem jeweiligen Besitzer ebenfalls ein Stück vom Kuchen ein, Danach wandern die überbauten Plättchen wieder zurück in die Wagen auf dem Spielertableau – mit dem Nachteil, dass in der nächsten Runde das Einkommen sinkt.

 

Kleine Gefälligkeiten

Als seien dies noch nicht genügend Möglichkeiten, um an Baustoffe und die heiß begehrten Sieg-… Verzeihung: Aufmerksamkeitspunkte zu kommen, kann man gegen ein diskretes Angebot von zwei Geldscheinbündeln die Gunst einiger illustrer Personen erwerben – ob Werbejunge, Mäzen oder Wanderarbeiter, ja selbst die Polizei ist käuflich. Und das ist gut, denn da die Baustoffe in der Einkommensphase blind gezogen werden, hat jemand wie ich immer das Pech, für geplante Bauvorhaben natürlich stets die falsche Farbe aus dem Beutel zu ziehen. Gut, dass sich mithilfe dieser Nebenaktionen zum Beispiel Baustoffe tauschen, zusätzliche Baustoffe gegen Abgabe von Geld oder Aufmerksamkeitspunkten erwerben oder gar eine Aktion doppelt ausführen lassen. Nicht zu unterschätzen ist auch der Journalist, der Zeitungsplättchen verteilt, von denen jedes bei Spielende bis zu drei zusätzliche Aufmerksamkeitspunkte generiert.

Diese Vorteile bleiben uns jedoch nur solange hold, wie die entsprechende Karte vor uns liegt. Und die kann schnell wieder weg sein, denn legt ein anderer Spieler ebenfalls zwei Bündel auf den Tisch, wandert jede dieser Figuren (welche die eingangs erwähnten Nebenaktionen symbolisieren) ohne Umwege direkt in die Auslage der Konkurrenz.

Das alles ist harmonisch aufeinander abgestimmt und wenn man erst einmal die unterschiedlichen Möglichkeiten überblickt, kann man mit den Handlungsoptionen wunderbar jonglieren (um im Freizeitpark-Jargon zu bleiben). Die absolute Gewinnstrategie gibt es aber nicht, allein schon, weil die Farbe der Baustoffe in der Regel beim Ziehen dem Zufall überlassen bleibt – und weil man sich auf dem Spielplan ständig in die Quere kommt und die Handlungen der Mitspieler nicht einfach vorherzusehen sind. Teilweise muss man sogar zusammenarbeiten, denn der Bau einiger Großbauprojekte erfordert die Anwesenheit gleich mehrerer Schaustellerfamilien. Abgeschieden vor sich hin planen und bauen ist also von vornherein ausgeschlossen.

Wo ist die Atmosphäre hin?

Wenn dann nach weit über einer Stunde einer der Schausteller mindestens 60 Aufmerksamkeitspunkte erzielt hat oder der Stapel mit den Zeitungsplättchen aufgebraucht ist oder alle Baufeldtafeln platziert wurden oder nur noch eine Sorte an Großbauprojekten im Spiel ist (ja, es gibt vier Bedingungen für das Spielende, von denen nur eine erfüllt sein muss – es gilt daher, alle stets im Auge zu behalten), bleibt ein zwiespältiges Gefühl zurück.

Die Mechanismen greifen, wie wir das von Michael Schacht gewohnt sind, harmonisch ineinander, sind perfekt austariert und funktionieren hervorragend. Dennoch wirkt das gesamte Konstrukt ein wenig verkopft. Zu winzig sind die Plättchen, zu abstrakt die Optimierungsaufgabe, als dass sich die eingangs erhoffte Atmosphäre dauerhaft einstellen würde. Hier hätte man ebenso eine Stadt bauen können oder eine Gartenanlage in Indien. Letztlich ist das Thema völlig austauschbar. Und das ist schade, denn was Schacht mit Coney Island abliefert, hat durchaus seinen Reiz.

Als erklärter Freizeitpark-Fan heißt das aber für mich, dass ich mich künftig erst etwas näher informieren werde, bevor ich mich vom Thema blenden lasse und mit eventuell zu hohen Erwartungen ins Spiel einsteige. Vielleicht steige ich aber auch einfach ins Auto und fahre in einen echten Freizeitpark. Das hat den großen Vorteil, dass man ihn nicht erst noch mühsam aufbauen muss…

 

Stefan Olschewski

 

Spieler: 2-4

Alter: 10+

Dauer: 60+

Autor: Michael Schacht

Grafik: Dennis Lohausen

Preis: ca. 30 Euro

Verlag: Argentum Verlag 2011

Web: www.argentum-verlag.de

Genre: Taktisches Aufbauspiel

Zielgruppe: Für Familien

Version: multi

Regeln: de en fr nl

Text im Spiel: nein

 

Kommentar:

Tolles Material

Gut komponierte Mechanismen

Trotzdem eher abstrakt, wenig Atmosphäre

 

Vergleichbar:

Coloretto, Zooloretto

 

Andere Ausgaben:

White Goblin Games, Niederlande

 

Meine Einschätzung: 4

 

Stefan Olschewski:

Perfekt funktionierendes Konstrukt aus Mechanismen. Ein typischer Schacht, bei dem das bunte Thema trotz aller Liebe zum Detail aufgesetzt wirkt.

 

Zufall (rosa): 1

Taktik (türkis): 3

Strategie (blau): 2

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 1

Interaktion (braun): 2

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0