Unsere Rezension

 

(K)ein Kinderspiel

Die Brücke am Rio d‘Oro

3d-Schatzsuche mit Risikofaktor

 

Mit „Die Brücke am Rio d’Oro“ macht AMIGO den Spielen mit dreidimensionalem Aufbau in der Schachtel Konkurrenz, die sonst eher bei Verlagen wie KOSMOS vor allem Kinder begeistern. Folglich liegt beim ersten Blick auf die Schachtelrückseite, die das fertig aufgebaute Szenario zeigt, den Schluss nahe, dass es sich auch bei Frederic Moyersoens neuem Werk um einen Vertreter der Gattung „Kinderspiel“ handelt. Doch weit gefehlt!

 

Indy lässt grüßen

In bester Indiana Jones Manier ist es unsere Aufgabe, im Wettstreit mit bis zu drei weiteren Schatzjägern eine wacklige Hängebrücke zu überqueren, die geheimnisvolle Schatzhöhle zu erreichen und beladen mit Gold und Edelsteinen den Rückweg ins sichere Camp anzutreten. Der Aufbau auf dem Spieltisch ist dabei beeindruckend. Der Schachteleinsatz mutiert zur tiefen Schlucht, durch die sich ein reißender Strom schlängelt, darüber führt eine dreidimensionale Hängebrücke (aus stabiler Pappe), deren Bretter allerdings nur locker aufliegen – und einige davon haben schon einen ordentlichen Knacks. Ein falscher Schritt und es geht mit Sack und Pack abwärts!

Zurück ins Camp gebeamt

Da sich „Die Brücke am Rio d’Oro“ dann aber doch als Familienspiel sieht, ist unsere einzige Spielfigur mit einem Sturz in die Schlucht nicht verloren und unser Leben ausgehaucht, sondern lediglich die Schätze, die wir im Rucksack bei uns tragen (bis zu drei sind erlaubt), fallen in die Schlucht und werden (zumindest in unserer Fantasie) in den Fluten begraben. Offenbar sind wir aber immer in der Lage, uns mit einem beherzten Sprung doch noch am Rand der Schlucht festhalten zu können und mit letzter Kraft ins Camp zu schleppen, von wo aus wir in der nächsten Runde erneut starten dürfen. Politisch korrekt geht es also obendrein zu. Was nicht heißt, dass beim Wettlauf um die meisten Schätze keine Spannung herrscht.

Schon zu Beginn haben vier Trittbretter der Brücke einen Knacks und werden mit der „Knacks-Seite“ nach oben gedreht. Ausgestattet mit jeweils einer Spielfigur ist es die Aufgabe der Hobby-Indys, die Brücke zu überqueren und jeweils bis zu drei herrlich glänzende, gläserne Edelsteine in ihrem Rucksack zurück ins Lager zu transportieren. Zur Fortbewegung dienen drei Würfel, die neben einer bestimmten Anzahl von Füßen ganz spezielle Symbole zeigen. Während es mit dem grünen Würfel nur recht langsam, dafür aber sicherer vorwärts geht, lassen sich beispielsweise mit Hilfe des roten Würfels große Sprünge machen – wobei man aber Gefahr läuft, eben eine solche auszulösen und wie eingangs erläutert samt Schätzen in die Schlucht zu stürzen.

Sind wir nicht beladen, stehen uns alle drei Würfel zur Verfügung, wir dürfen alle werfen und entscheiden uns dann, ob, und wenn ja, welchen oder sogar welche davon wir einsetzen wollen. Ist die gewürfelte Seite eines Würfels komplett abgehandelt, ist der nächste an der Reihe. Dabei gilt: Alles kann, nichts muss. Trotz des Würfelglücks haben wir also dennoch Entscheidungen zu treffen, die vor dem Hintergrund, dass wir uns ja auch noch untereinander im Wettrennen befinden, oft gar nicht so leicht zu fällen sind.

Dass jeder transportierte Schatz, den wir auf unserer Rucksackkarte ablegen, die Würfelauswahl um eins reduziert, ist dabei ein weiterer Punkt, der das Entscheidungsdilemma erhöht. Erst, wenn die Figur wieder im Lager steht, wird der Rucksack geleert, alle Würfel sind wieder verfügbar und die Edelsteine sind vor Verlust sicher.

 

Stehlen und Schubsen

Vor allem in voller Besetzung ist es immer recht eng auf der Brücke und darum werden im Weg stehende Figuren in bester Roborally-Manier einfach ein Brett in Zugrichtung weitergeschoben, wodurch sogar Kettenreaktionen eintreten können, die oft für einen unfreiwilligen Tauchgang im Flussbett sorgen, denn wer in eine Lücke geschoben wird, stürzt ab. Wie aber kommen überhaupt Lücken in die Brücke? Dafür (und für andere kleine Gemeinheiten, die sich Autor Moyersoen ausgedacht hat, um die Interaktivität unter den Spielern – und den Ärgerfaktor – zu erhöhen) sind die oben angedeuteten weiteren Symbole auf den Würfeln verantwortlich. Wer sich nämlich dafür entscheidet, einen Würfel einzusetzen, muss auch die neben den Fußstapfen abgebildeten Aktionen durchführen. So kann er zum Beispiel der Figur, auf deren Feld er seinen Zug beendet, einen Edelstein klauen, bevor er sie weiterschubst. Oder er repariert bei Bedarf ein angeknackstes oder gar fehlendes Brett, das dann wieder völlig intakt auf die Brücke gelegt wird. Ein gewürfelter Blitz bedeutet Gefahr und der dann zu werfende Gefahrenwürfel bestimmt, welche. Während in der Hälfte aller Fälle nichts passiert, verliert der Spieler am Zug ansonsten entweder einen seiner Schätze oder das Brett, auf dem er gerade steht, wird beschädigt und erhält einen Knacks. Hat es schon einen, wird es komplett von der Brücke entfernt, die Schätze stürzen in den Fluss und der Spieler darf im nächsten Zug erneut vom Camp aus sein Glück versuchen.

Diese wenigen, aber keineswegs banalen Regeln reichen aus, um ein erstaunlich taktisches und vor allem turbulentes Familienspiel auf den Tisch zu bringen, das echtes Abenteuerflair vermittelt. Stets zählt man die Edelsteine der anderen, hadert bei vollem Rucksack mit sich, ob man Schritt für Schritt langsam aber sicher den Rückweg antreten sollte und Gefahr läuft, überrollt und bestohlen zu werden, oder ob man volles Risiko geht und einem letztlich im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Die Spieler kommen sich prima in die Quere und schenken sich gegenseitig nichts – vor allem keine Schätze!

Es gewinnt, wer zuerst eine vorgegebene Anzahl an Schätzen ins Camp gebracht hat oder wer am Ende, wenn die Schatzhöhle am anderen Brückenende abgegrast wurde, die meisten Schätze in seinem Camp vorweisen kann.

 

Fazit

Somit ist die eingangs gestellte Frage nach dem Kinderspiel klar mit „nein“ beantwortet. Denn auch (und manches Mal gerade) Erwachsene werden schnell vom Abenteuerfieber gepackt und bringen auch ohne Anwesenheit des Nachwuchses „Die Brücke am Rio d’Oro“ als Warmup oder Absacker nach anstrengenden Personaleinsatzspielen auf den Tisch. Das Spiel ist stabil produziert, von Michael Menzel gewohnt ansprechend gestaltet und mit hochwertigem Material (Glasnuggets, große Holzfiguren, enorm stabile Stanzteile) ausgestattet, sodass die Käufer sicher lange etwas davon haben werden. Die angenehme Spieldauer von oft nicht mehr als 20 Minuten, die kompakte Verpackung und der moderate Preis werden, so meine Vorhersage, dafür sorgen, dass „Die Brücke am Rio d’Oro“ den Weg auf so manchen Spieltisch finden wird.

        

Spieler: 2-4

Alter: 8+

Dauer: 30+

Autor: Frederic Moyersoen

Grafik: Michael Menzel

Preis: ca. 20 Euro

Verlag: Amigo Spiele 2011

Web: www.amigo-spiele.de

Genre: Würfel/Lauf- und Sammelspiel

Zielgruppe: Für Familien

Alter: 8

Version: de

Regeln: de

Text im Spiel: nein

 

Kommentar:

Kompakte Verpackung

Erwürfelte Elemente taktisch nutzbar

Interaktion etwas spielerabhängig

 

Vergleichbar:

Andere Lauf/Sammel-Spiele

 

Andere Ausgaben:

Derzeit keine

 

Meine Einschätzung: 5

 

Stefan Olschewski:

Ein erstaunlich taktisches Würfelspiel mit Ärgerfaktor für Kinder, Familien und den Freundeskreis. Spannend, optisch und haptisch ansprechend und keineswegs so banal wie es zunächst den Eindruck erwecken mag.

 

Zufall (rosa): 2

Taktik (türkis): 2

Strategie (blau): 0

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 3

Interaktion (braun): 2

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 2