Fifteen Years of Extremities

 

CACAO

 

Minimalistische Meeples

 

Jahrzehntelang haben Spielfiguren im Wesentlichen wie ein kleiner Kegel ausgesehen, wodurch sie quasi die haptisch und ergonomisch perfekt geformte Umsetzung eines Menschen für den spielerischen Zweck waren (dabei gleichzeitig aber doch auch zu abstrakt und etwas langweilig). Mit dem Millennium und seit „Carcassonne“ hat die Spielewelt jedoch eine hölzerne (R-)Evolution erfasst: Die Figuren haben Arme und Beine bekommen! Zusätzlich wurden sie auf den Namen „Meeple“ getauft, der aus einer Verschmelzung aus den englischen Wörtern „my“ und „people“ gebildet worden sein soll.

 

Die nachfolgenden Jahre haben zwar eine Vielzahl an Varianten von Spielfiguren mit Gliedmaßen gebracht; mittlerweile dürfen wir ja auch schon tierische „animeeples“ und pflanzliche „vegimeeples“ verwenden (beides in großer Menge in „Caverna“ zu erleben). Die Original-Form aus „Carcassonne“ erfreut sich (und uns) aber weiterhin sehr hoher Beliebtheit. So ist etwa Ted Alspach nicht nur der Zeichner einer bis 2012 regelmäßig erschienenen Comic-Strip-Serie („Board 2 Pieces“) über das Leben und Treiben aller möglichen Spielfiguren, insbesondere der bereits als „klassisch“ zu bezeichnenden Meeples; er hat diese in seinem Spiel „Mutant Meeples” sogar mit Superkräften ausgestattet. Als Gegenstück dazu mag „Terror in Meeple City” (vormals „Rampage”) dienen: Hier haben die Meeples extrem viel Leid zu erdulden und werden tatsächlich auf das Spielbrett geworfen, geschleudert und verblasen, um letztlich von uns Monstern verspeist zu werden (das aber nicht in echt). Beeindruckend ist auch die Anzahl von 90 Meeples in sechs Farben, von welchen die gelben (= Blondinen) Röckchen tragen.

 

Mit sogar 102 Meeples hat uns bereits vor zehn Jahren die Erstauflage von „Antike“ in Erstaunen gebracht (in den weiteren Auflagen haben diese dann aber ihre Gestalt geändert, um "antiker" auszusehen). Das Highlight an Masse (gleichzeitig aber auch an Klasse) dürfte wohl „Keyflower“ sein, mit einem Maximum von 141 (!) Meeples (die hier „Keyples“ heißen). „Carcassonne“ wiederum ist in den letzten fünfzehn Jahren konstant bei 40 Spielfiguren geblieben (die vielen Erweiterungen unberücksichtigt gelassen). Ein Besorgnis erregender Rückgang der Population ist jedoch in der aktuellen Serie „Around the World“ zu verzeichnen: In „Carcassonne Südsee“ ist sie nämlich gleich um die Hälfte reduziert. Haben die Globalisierung und die Finanzkrise also auch schon die Spielewelt in ihren grausamen Griff bekommen? Immerhin konnte sich die Bevölkerung in „Carcassonne Goldrausch“ wieder auf 25 erholen (und trägt hier außerdem Cowboy-Hüte). „Cacao“ setzt diesen offensichtlichen Schrumpfungsprozess jedenfalls in konsequenter Weise fort und stellt mit jeweils nur 1 (in Worten: einem) Meeple sogar quasi einen negativen Rekord auf; und dieser fungiert nicht einmal als Häuptling, sondern bloß als Wasserträger (bzw. dient eigentlich nur als Punkteanzeiger auf den Spieler-Tableaus).

 

Dennoch verfügen wir auch in „Cacao“ über insgesamt 176 zusätzliche Arbeiter – wie ist das denn möglich? Die Antwort: Die Spielfiguren sind mit den Plättchen quasi „verschmolzen“ und allen stehen jeweils 11 dieser Arbeiter-Plättchen (in den vier Spielerfarben) zur Verfügung, wobei auf den vier Kanten dieser Plättchen jeweils null bis drei Arbeiter abgedruckt sind (in Summe stets vier). Somit ergibt sich sehr schlüssig deren Funktionsweise: Lege ich mein Plättchen mit einer Ein-Arbeiter-Kante etwa an ein Kakaoproduktions-Plättchen, ernte ich eine Kakaobohne; weist die Kante zwei Arbeiter auf, bekomme ich auch zwei Bohnen – dieselbe Logik gilt natürlich auch für drei oder null Arbeiter. Häufig wird ein Arbeiter-Plättchen aber nicht bloß an nur ein (sogenanntes) Urwald-Plättchen angelegt, sondern gleich an zwei (eventuell gar drei). Dann werden auch die Werktätigen an den anderen Kanten dieses Arbeiter-Plättchens in entsprechender Weise tätig. Der oder die Arbeiter an den noch freien bzw. ungenutzten Kanten brauchen sich aber nicht zu früh freuen; auch diese müssen nämlich das Bruttosozialprodukt steigern, sobald ich oder ein Mitspieler später ein Urwald-Plättchen an dieses Arbeiter-Plättchen anlege.

 

Schon durch diesen raffinierten Twist ändert sich das Spielgefühl gänzlich im Vergleich zu „Carcassonne“, obgleich die Ähnlichkeiten auf den ersten Blick frappierend erscheinen (viele quadratische Landschafts-Plättchen, auch die Spielschachtel hat die gleichen Dimensionen). Gewertet wird eben nicht das Plättchen, das ich anlege und auf das ich eine Figur einsetze, sondern die bis zu vier Nachbar-Plättchen in Kombination mit den (letztlich jeweils wieder bis zu vier) Arbeiter-Plättchen. Auch bin ich vorerst auf das Anlegen von Arbeiter-Plättchen beschränkt (wobei aber stets eine Auswahl von deren drei besteht). Neue Urwald-Plättchen kommen immer erst dann in die allgemeine Auslage, wenn zwei Arbeiter-Plättchen (egal welcher Spielerfarbe) diagonal zueinander zum Liegen kommen. Außerdem darf der aktive Spieler aus zwei offenen Urwald-Plättchen das ihm genehmere verwenden; sollte er gleich beide anlegen müssen, kann er immerhin den jeweiligen Standort aussuchen. Optisch entspricht die allgemeine Auslage dabei einem „Schachbrettmuster“, bestehend aus (sich abwechselnden) Arbeiter- und Urwald-Plättchen. Das bewirkt letztlich zwar ein etwas abstrakteres Gesamtbild als in „Carcassonne“, sieht aber jedenfalls immer noch sehr hübsch aus.

 

Dadurch ergeben sich ganz neue taktische Überlegungen: Natürlich will man zunächst einmal die eigenen Arbeiter effektiv nutzen, somit eine Kante mit zwei oder drei Werktätigen an ein besseres Urwald-Plättchen anlegen, eine Kante mit nur einem oder null an ein eher schlechteres. Gleichzeitig wird durch das Anlegen von Urwald-Plättchen meistens auch ein Mitspieler davon profitieren, sodass ich versuchen werde, bei dessen Kanten genau umgekehrt vorzugehen. Außerdem sollte vermieden werden, dass eigene Arbeiter überhaupt nichts Sinnvolles tun, etwa weil eine Kante bis zum Spielende den Rand der allgemeinen Auslage bildet oder wenn ein Arbeiter zwar Kakaobohnen ernten könnte, mein Lager (von fünf Stück) jedoch gerade voll ist. Andererseits werde ich zu einer noch offenen Zwei-Arbeiter-Kante eines Mitspielers gerne ein Urwald-Plättchen legen, das diesem gerade wenig bis gar nichts bringt (wobei derartige Maßnahmen im Spiel zu zweit natürlich effektiver vorgenommen werden können als zu viert). Derart den „besten“ Platz für ein Plättchen zu finden kann zwar schon etwas Nachdenklichkeit provozieren, zumal sowohl der Nachschub an Urwald- als auch an Arbeiter-Plättchen bekannt ist (bzw. nachgerechnet werden kann). Dennoch geht eine Partie üblicherweise flott voran, sogar schon in einer sehr angenehmen halben Stunde kann das Endergebnis feststehen. Außerdem ist jeder bei den Zügen und Überlegungen der Mitspieler eingebunden, da deren Platzierungen ja auch häufig Auswirkungen auf den eigenen Status haben.

 

Was bieten uns nun die Urwald-Plättchen? Neben der bereits erwähnten Ernte von jeweils einer Kakaobohne gibt es auch zwei Doppel-Plantagen, welche gleich zwei pro Arbeiter liefern (aufgrund der Lagerkapazität von maximal fünf Stück sollte hier aber besser keine Drei-Arbeiter-Kante angelegt werden). In Kombination dazu können mit anderen Plättchen diese Kakaobohnen verkauft werden, hier mit einer Varianz von zwei, drei oder (das aber nur einmal) gar für vier Goldmünzen (= Siegpunkte) pro Kakaobohne. Bei anderen Feldern lassen sich wiederum gleich direkt ein oder zwei Siegpunkte pro Arbeiter verdienen. Im Urwald werden auch noch fünf Tempel auftauchen, bei denen es zu Spielende jeweils eine Mehrheitswertung mit sechs bzw. drei Gold für den jeweils Erst-/Zweitplatzierten gibt. Wasserfelder helfen beim Voranschreiten des Wasserträgers (= unser einziger Meeple) auf den runden Spieler-/Dorf-Tableaus: Jeder beginnt hier bei minus 10 und kann über acht Aktivierungen auf plus 16 Punkte hochgesteigert werden (wobei die einzelnen Schritte keine gleichmäßigen Wirkungen haben, am Anfang und dann erst wieder am Ende des Rundkurses sind diese jeweils am effektivsten). Zu guter Letzt gibt es noch zwei mysteriöse Sonnenkultstätten: Die dabei lukrierten Sonnenscheiben können entweder für einen Siegpunkt umgetauscht werden; oder – und das ist deren reizvollere und interessantere Funktion – darf man sie knapp vor dem Spielende, wenn bereits alle Urwald-Plättchen ausliegen und nur mehr wenige Arbeiter-Plättchen verfügbar sind, dafür verwenden, ein bereits ausliegendes eigenes Arbeiter-Plättchen mit einem neuen zu überbauen, sodass die dann üblicherweise vier angrenzenden Urwald-Plättchen erneut genutzt werden können. Oder man konzentriert sich dabei auf eine bestimmte Funktion und hält eine Drei-Arbeiter-Kante parat (etwa für ein Wasserfeld bzw. für drei weitere Schritte des Wasserträgers). Ein wenig nachteilig ist allenfalls, dass sich ein gewisser Startspieler-Nachteil aufgrund der Möglichkeit des Überbauens noch verstärken kann, z.B. wenn der Letzte noch die Mehrheitsverhältnisse bei einem oder gar zwei Tempel-Felder für deren End-Wertung ändert.

 

Die grafische Gestaltung des Spielmaterials ist gelungen, der Mangel an realen Meeples wird immerhin durch die Holzspielsteine für die Kakaobohnen ausgeglichen. Jedoch wirken die Pappplättchen für die Goldmünzen/Siegpunkte etwas mickrig und ist das permanente Nehmen und Wechseln leider auch zu fummelig, da wäre eine allgemeine Wertungstafel (wie in „Carcassonne“) – stimmiger Weise auf einem kakaobohnenförmigen Plan und mit einem jeweils zweiten Meeple – besser gewesen (aber natürlich verhindern die Münzen die Möglichkeit der Berechenbarkeit des jeweiligen Punktestatus der Mitspieler). Denn obgleich der Schachteleinsatz hübsch gestaltet ist (jeder Meeple hat darin sogar sein eigenes „Bett“ bzw. eine eigene Aussparung) fällt doch alles (vor allem das ganze Gold) durcheinander, wenn man die Schachtel umdreht – das soll sich aber dadurch vermeiden lassen, wenn die Stanzbögen nicht entsorgt, sondern als Füllmaterial verwendet werden.

 

Harald Schatzl

 

Spieler: 2-4

Alter: 8+

Dauer: 45+

Autor: Phil Walker-Harding

Grafiker: Claus Stephan

Preis: ca. 25 Euro

Verlag: Abacussspiele 2015

Web: www.abacusspiele.de

Genre: Lege-Spiel

Zielgruppe: Familie

Spezial: 2 Spieler

Version: multi

Regeln: de en

Text im Spiel: nein

 

Kommentar:

Stanzbögen nach dem Auspacken nicht wegwerfen

auch für Vielspieler interessant

zu zweit ebenfalls sehr gut spielbar

Nur ein Holz-Meeple pro Mitspieler

 

Vergleichbar:

Carcassonne sowie alle anderen taktischen (Plättchen-)Legespiele

 

Andere Ausgaben:

Filosofia Edition, Z-Man Games

 

Meine Einschätzung: 5

 

Harald Schatzl:

Ein (oval-)rundes, taktisches und durchaus raffiniertes (An-)Legespiel mit einem konstruktiven Spielgefühl, das mit wenigen und unkomplizierten Regeln neuen und originellen Schwung in ein altbekanntes und -bewährtes Genre zu bringen vermag. In Wien und Niederösterreich aufgewachsene Mitspieler können außerdem jedes Auftauchen neuer Kakao-Plättchen mit einem fröhlichen „Gaugau“ kommentieren.

 

Zufall (rosa): 1

Taktik (türkis): 2

Strategie (blau): 1

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 1

Interaktion (braun): 2

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0