UNSERE REZENSION

 

Eroberungsfeldzüge pur

 

Ruthenia

 

Im Osten Europas

 

Risiko, wer kennt es nicht, das Spiel, in dem ganze Kontinente erobert (oder befreit - je nach Ausgabe) oder gleich die ganze Welt erobert werden muss. Denys Lonshakov vom ukrainischen Verlag 2Geeks hat mit seinem Spiel Ruthenia versucht, das recht einfache Risiko auf ein anderes Level zu heben, so zumindest mein Eindruck zu diesem Spiel. Eines möchte ich gleich zu Beginn klar stellen: Die 16 Seiten sehr eng geschriebene englische Anleitung hat es in sich. Ich habe ja schon einige „komplizierte“ Spiele nach ausführlichem Regelstudium gespielt, aber so etwas wie hier ist mir noch nicht vorgekommen. Das von meinen Mitspielern gern gesehene Vorablesen der Regel und das nachfolgende Erklären des Regelwerks kann man bei dieser Anleitung vergessen, weil man sich nicht alles merken kann, noch nicht mal ansatzweise. Da heißt es umso mehr, dass die Spielregeln gemeinsam erarbeitet werden wollen und unter 3 Stunden gemeinsamen Lesens ist das nicht möglich.

 

Doch worum geht es überhaupt? Ruthenia (oder auf Deutsch Ruthenien) ist der historische Landschaftsname, den im Laufe der Geschichte verschiedene Gebiete Osteuropas trugen, hauptsächlich im Bereich der heutigen Ukraine und Weißrussland (Quelle: Wikipedia). Das Spiel deckt den Zeitraum vom 7. bis zum 11. Jahrhundert ab. 4 Fraktionen kämpfen um Siegpunkte, wobei es allerdings 3 Spielende-Bedingungen gibt: Ein Spieler kontrolliert 8 Provinzen (was eigentlich gar nicht so viel ist), oder es gelingt jemandem die Heimatprovinz eines anderen zu erobern oder die Siegpunkteschwelle von 25 wird überschritten.

Der Spielplan wird entsprechend der Vorgabe mit den Armeeaufstellern (Anführern), je 2 pro Heimatprovinz, mit Markern für 3 sog. „reiche“ Provinzen, und diversen Markern für 2 Non-Player Fraktionen bestückt. Bei weniger als 4 Spielern wird jeder fehlende Spieler auch als Non-Player Fraktion geführt. Meines Erachtens nach funktioniert das Spiel aber nur mit 4 Spielern, das es sonst zu einem Ungleichgewicht in den Provinzeroberungen kommt, da ein menschlicher Spieler immer andere Züge macht als eine sich zufällig bewegende Non-Player Fraktion (wie ich es selbst erlebt habe). Als Spielkarten gibt es Stapel mit den für den Kampf wichtigen Söldnerkarten, Taktikkarten und Aktionskarten. Jeder Spieler hat außerdem noch in seiner Farbe div. Karten, die seine Truppen repräsentieren und div. Marker für Konstruktionen und Marker zum Markieren der eigenen Provinzen. Eine Armee besteht aus einem Anführer und mindestens einer Truppenkarte. Geld zum Kaufen und Erhalten von Söldnerkarten und für div. andere Zwecke gibt auch noch. Und wie bei richtigen Kriegen kommt man ohne Geld nicht sehr weit, daher muss man insbesondere zu Beginn des Spieles darauf schauen, dass es sich möglichst schnell vermehrt, damit es sofort wieder investiert werden kann, z.B. in Söldner und um Aktionskarten zu nutzen.

 

Der Rundenablauf gliedert sich in eine Planungsphase, Bewegungs- und Kampfphase, Bürokratiephase und Phase für die Bewegung und Kämpfe der Non-Player Fraktionen. Klingt eigentlich recht einfach, ist es aber nicht, denn alleine die div. Möglichkeiten in der Bewegungsphase müssen ständig nachgelesen werden, bis sie verinnerlicht sind, von den unterschiedlichen Kampfarten ganz zu schweigen. In der Planungsphase können Konstruktionsaufträge für eine Flotte (ja auch Schiffe gibt es, sonst wäre es ja zu einfach, zum Glück gab es damals noch keine Flugzeuge oder Zeppeline sonst würden die wahrscheinlich auch noch vorkommen), eine Festung, einen Markt oder Tempel erteilt werden. Diese können entweder von Armeen, sofern ihre Anführer die entsprechende Fähigkeit haben oder gegen Geld von angeheuerten Arbeitern in Angriff genommen werden. Alle Konstruktionen sind übrigens nicht sofort fertig gestellt, dies ist erst in der Bürokratiephase der Fall, sofern die entsprechende Provinz nicht vom Feind erobert oder geplündert wurde. Außer Konstruktionen kann noch ein Handelsauftrag an eine Flotte erteilt werden, d.h. dass aus einem Geld später zwei Geld wird oder eine Wohltätigkeitsveranstaltung (1 Geld) im Tempel stattfinden, was später einen Siegpunkt bringt.

 

In der Phase Bewegung/Kampf werden pro Spieler max. 4 Bewegungsaufträge an seine Armeen erteilt. Aber auch die max. drei Flotten pro Spieler können bewegt werden. Dies geschieht reihum, indem Marker mit Pfeilen zu den Armeen gelegt werden, auf der Markerrückseite ist dann später ersichtlich, ob es sich um eine Eroberung oder um eine Plünderung handelt, die natürlich völlig unterschiedlich abgehandelt werden. Man kann seine Bewegungsmarker aber auch dazu nutzen eine Armee auf eine Flotte zu bewegen, um damit dann an einem entfernten Gebiet überraschend an Land zu gehen. Mit Flotten kann man feindliche Flotten angreifen oder eigene Angriffe oder angegriffene Flotten unterstützen. Nun noch eine kleine Anmerkung zum „Wahnsinn“ des Regelwerkes. Alleine die Möglichkeit der Armeen und Flotten, die man noch vor dem Legen eines Bewegungsmarkers hat - Truppen umgruppieren, Bewegung innerhalb des eigenen Gebietes unter Berücksichtigung der Festungen, Bewegung der Flotten in eigenen Gewässern/entlang der Flüsse - wird auf einer ganzen Seite der Anleitung beschrieben. Wenn alle Spieler mit dem Legen der Bewegungsmarker fertig sind, werden diese umgedreht, dann sehen alle was die anderen Spieler vorhaben. Aufgrund dieses Wissens kann man jetzt noch seine offenbarten Bewegungen wieder aufheben, um nicht z.B. eine plötzlich angegriffene Provinz ungeschützt zurück zu lassen.

 

Danach werden alle Kämpfe eines Spielers abgewickelt; man nehme also das Regelwerk zur Hand, und studiere die div. Möglichkeiten - Flotte(n) gegen Flotte(n), Spieler gegen Spieler, Angriff auf eine unbesetzte Provinz, Kampf an der Grenze einer Provinz, Spieler greift eine Non-Player Fraktion an und umgekehrt, Kampf zwischen zwei Non-Player Fraktionen, Kampf mit drei Seiten oder mehr. Auf die Feinheiten der div. Kampfarten möchte ich gar nicht näher eingehen, alleine der Kampf Spieler gegen Spieler, der in mehreren „Clashes“ abgewickelt wird, nimmt 4 Seiten im Regelwerk ein, wobei ich sagen muss, dass dieser, wenn man ihn einmal durchschaut hat, durchaus interessant ist und mit vielen überraschenden Wendungen mit Hilfe von Taktik- und Aktionskarten gespielt wird. Ein solcher Kampf kann sich allerdings je nach Größe der Armeen bis zu 10 Minuten hinziehen (zumindest bis man mal verstanden hat, wie es geht); wie sich das mit den auf der Schachtel angegebenen 120 Minuten ausgehen soll, weiß ich nicht, die meinten wahrscheinlich 120 Minuten pro Spieler. Nicht verschweigen möchte ich, dass die Anführer der Armeen noch div. Sonderfähigkeiten haben, die ihnen Vorteile z.B. im Kampf gegen andere Spieler, im Kampf gegen Non-Player Fraktionen, bei der Bewegung, bei Plünderungen mit Armeen oder Schiffen bringen (schließlich soll es doch nicht zu einfach sein, oder?). 1 Siegpunkt gibt es für je 2 zerstörte Truppen des Gegners und gleich 5 für die Eroberung einer feindlichen Heimatprovinz und für eine bestimmte Anführerspezialfähigkeit (und wahrscheinlich noch irgendwas was ich mittlerweile wieder vergessen habe, da ich diese Rezension schreibe ohne mir noch mal die 16 Seiten komplett durchzulesen). Für feiges Zurückziehen aus einem Kampf verliert man 1 Siegpunkt, das ist aber manchmal besser als seine ganzen Truppen zu verlieren.

 

In der Bürokratiephase werden die in Auftrag gegebenen Konstruktionen fertig gestellt, div. Einkommen kassiert - Flottenhandelsauftrag, Heimatprovinz, reiche Provinz, normale eigene Provinz und von den Märkten. Siegpunkte gibt es für jede Provinz, die man kontrolliert und jede Wohltätigkeitsveranstaltung in den Tempeln. Danach müssen dann noch die Söldnertruppen mit Geld erhalten werden und es können neue Commander, eigene Truppen oder neue Söldnertruppen angeheuert werden. Ja sogar können die eigenen Truppen gegen Geld trainiert werden, was für den Kampf wichtige Taktikkarten bringt und dadurch auch noch das Würfelglück ins Spiel kommt. Wer seine Söldnertruppen nicht erhalten kann, verliert einen Siegpunkt pro Karte.

 

In der letzten Phase werden noch die Non-Player Fraktions-Verstärkungen und deren eventuelle Bewegungen und Angriffe abhängig von der Markeranzahl pro Provinz durchgeführt. Die Details, immerhin auch fast eine Anleitungsseite, möchte ich uns hier ersparen.

 

Nun zum Fazit: Ein Spiel für Fans von Spielen mit seeeeeehr komplexen Regeln. Der Verlagsname 2Geeks spricht hier Bände. Falls man alle Regeln verstanden hat, diese auch in mehreren Spielen sich verinnerlichen konnte und immer mit denselben Mitspielern spielt, kann dieses Spiel durchaus Spaß machen. Ich kann mir vorstellen, dass der Autor alleine am Kampfsystem 1 Jahr oder länger getüftelt hat. Ich sehe nur das Problem, dass Ruthenia ein ausgesprochenes Vielspieler (um nicht zu sagen Freakspiel) ist, und ob die nur einige wenige Spiele zu Hause haben und daher Ruthenia immer und immer wieder spielen, wage ich mal zu bezweifeln, denn nur so kann Ruthenia seine strategischen Möglichkeiten und Tiefen entfalten. Jede Fraktion spielt sich schließlich ein wenig anders. Mich persönlich hat Ruthenia nicht so sehr begeistert, denn schließlich heißt es ja Spieleabend und nicht (Anleitungs-)leseabend. Wer Spaß am Regel lesen hat, muss sich unbedingt auf Boardgamegeek die überarbeiteten Regeln herunterladen, da das Spiel mit der Originalregel nicht spielbar ist, da z.B. ein ganzer Absatz fehlt (zumindest in der Auflage die mir vorlag).

 

Gert Stöckl

 

Spieler: 2-4

Alter: 13+

Dauer: 120 min+

Autor: Denys Lonshakov

Grafik: Alexey Nikanorov, Alexander Taranenko

Preis: auf Anfrage

Verlag: TwoGeeks

Web: -

Genre: Gebietseroberungen, Kriegssimulation

User: für Experten

Version: en

Regeln: en

Text im Spiel: ja

 

Kommentar:

Extrem komplexes Regelwerk

Angegebene Spieldauer wird massiv überschritten

Nur für absolute Experten

 

Vergleichbar:

alle Eroberungs- und Regionsbeeinflussungsspiele mit komplexen Regeln

 

Meine Einschätzung: 2

 

Gert Stöckl:

Ruthenia bietet ein Gebietseroberungsspiel und Kriegssimulation für Experten und Freaks, denen umfangreiche und sehr detaillierte Regeln nichts ausmachen.

 

Zufall (rosa): 1

Taktik (türkis): 2

Strategie (blau): 3

Kreativität (dunkelblau): 0

Wissen (gelb): 0

Gedächtnis (orange): 0

Kommunikation (rot): 0

Interaktion (braun): 1

Geschicklichkeit (grün): 0

Action (dunkelgrün): 0